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Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 5. Berlin, 1843.

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Stellung und Politik Carls V.
einigkeit der Stände verschaffte ihm vielmehr eine täglich grö-
ßere Einwirkung.

Und selbst hiemit hätte er noch nichts ausgerichtet, hät-
ten sich nur wenigstens die Neugläubigen zur Vertheidigung
vereinigt. Wie weit aber war er ihnen an Weltübersicht
und Klugheit überlegen! er wußte zu bewirken daß sie einer
wider den andern die Waffen ergriffen.

Es liegt wohl am Tage, daß eine Politik die immer
offen hervorgetreten wäre, von der man gewußt hätte was
sich von ihr erwarten ließ, niemals dahin gelangt seyn
würde. Wer aber wäre im Stande gewesen diese Politik
zu durchschauen? Die entscheidenden Handlungen auf denen
ihre Erfolge beruhen, sind immer von Zweifel umgeben, in
Dunkel gehüllt.

Kein größeres Glück für den Kaiser, als daß die Deut-
schen sich der Stadt Rom bemächtigten: er legte Trauer
darüber an. Wer kann sagen, ob es irgend eine Bedin-
gung gab, unter der er Mailand an einen französischen Prin-
zen wirklich abgetreten hätte? doch hat er ein Jahrzehent
darüber unterhandelt.

Welches war seine wahre Meinung, die welche Held in
Schmalkalden aussprach, mochte dieser gleich seiner dama-
ligen Instruction entgegenhandeln, oder die welche Lunden
darstellte?

Wir haben die Zweideutigkeiten erörtert, in denen Carl V
sich bei der Gefangennehmung des Landgrafen nicht ohne ein
Bewußtseyn davon bewegte. Es wird schwerlich an Tag kom-
men, ob er zu der Ermordung Pier Luigis seine Einstimmung
gegeben hat oder nicht.

Ich will nicht behaupten, daß er jemals etwas ver-

Stellung und Politik Carls V.
einigkeit der Stände verſchaffte ihm vielmehr eine täglich grö-
ßere Einwirkung.

Und ſelbſt hiemit hätte er noch nichts ausgerichtet, hät-
ten ſich nur wenigſtens die Neugläubigen zur Vertheidigung
vereinigt. Wie weit aber war er ihnen an Weltüberſicht
und Klugheit überlegen! er wußte zu bewirken daß ſie einer
wider den andern die Waffen ergriffen.

Es liegt wohl am Tage, daß eine Politik die immer
offen hervorgetreten wäre, von der man gewußt hätte was
ſich von ihr erwarten ließ, niemals dahin gelangt ſeyn
würde. Wer aber wäre im Stande geweſen dieſe Politik
zu durchſchauen? Die entſcheidenden Handlungen auf denen
ihre Erfolge beruhen, ſind immer von Zweifel umgeben, in
Dunkel gehüllt.

Kein größeres Glück für den Kaiſer, als daß die Deut-
ſchen ſich der Stadt Rom bemächtigten: er legte Trauer
darüber an. Wer kann ſagen, ob es irgend eine Bedin-
gung gab, unter der er Mailand an einen franzöſiſchen Prin-
zen wirklich abgetreten hätte? doch hat er ein Jahrzehent
darüber unterhandelt.

Welches war ſeine wahre Meinung, die welche Held in
Schmalkalden ausſprach, mochte dieſer gleich ſeiner dama-
ligen Inſtruction entgegenhandeln, oder die welche Lunden
darſtellte?

Wir haben die Zweideutigkeiten erörtert, in denen Carl V
ſich bei der Gefangennehmung des Landgrafen nicht ohne ein
Bewußtſeyn davon bewegte. Es wird ſchwerlich an Tag kom-
men, ob er zu der Ermordung Pier Luigis ſeine Einſtimmung
gegeben hat oder nicht.

Ich will nicht behaupten, daß er jemals etwas ver-

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[109/0121] Stellung und Politik Carls V. einigkeit der Stände verſchaffte ihm vielmehr eine täglich grö- ßere Einwirkung. Und ſelbſt hiemit hätte er noch nichts ausgerichtet, hät- ten ſich nur wenigſtens die Neugläubigen zur Vertheidigung vereinigt. Wie weit aber war er ihnen an Weltüberſicht und Klugheit überlegen! er wußte zu bewirken daß ſie einer wider den andern die Waffen ergriffen. Es liegt wohl am Tage, daß eine Politik die immer offen hervorgetreten wäre, von der man gewußt hätte was ſich von ihr erwarten ließ, niemals dahin gelangt ſeyn würde. Wer aber wäre im Stande geweſen dieſe Politik zu durchſchauen? Die entſcheidenden Handlungen auf denen ihre Erfolge beruhen, ſind immer von Zweifel umgeben, in Dunkel gehüllt. Kein größeres Glück für den Kaiſer, als daß die Deut- ſchen ſich der Stadt Rom bemächtigten: er legte Trauer darüber an. Wer kann ſagen, ob es irgend eine Bedin- gung gab, unter der er Mailand an einen franzöſiſchen Prin- zen wirklich abgetreten hätte? doch hat er ein Jahrzehent darüber unterhandelt. Welches war ſeine wahre Meinung, die welche Held in Schmalkalden ausſprach, mochte dieſer gleich ſeiner dama- ligen Inſtruction entgegenhandeln, oder die welche Lunden darſtellte? Wir haben die Zweideutigkeiten erörtert, in denen Carl V ſich bei der Gefangennehmung des Landgrafen nicht ohne ein Bewußtſeyn davon bewegte. Es wird ſchwerlich an Tag kom- men, ob er zu der Ermordung Pier Luigis ſeine Einſtimmung gegeben hat oder nicht. Ich will nicht behaupten, daß er jemals etwas ver-

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Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 5. Berlin, 1843, S. 109. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation05_1843/121>, abgerufen am 21.11.2024.