der konnte es aber, in der verlegenen und schwierigen Lage in der er sich persönlich befand, selber nicht wünschen, und widerrieth es ihm.
Ein anderer Ausweg wäre gewesen, sich nach Ita- lien zu wenden und hier sich aufs neue zu rüsten. Allein auch da war der Krieg nicht eben glücklich gegangen, überall war das Landvolk durch die Truppenzüge in Aufregung ge- setzt. Es schien dem Kaiser nicht rathsam, sich mit seiner geringen Umgebung auf die dortigen Landstraßen zu wagen. Auch meinte er, wenn er einmal in Italien sey, eine Reise nach Spanien nicht gut ablehnen zu können; wie leicht, daß ihm dann bei der Überfahrt ein Unfall von den Franzosen oder gar den Osmanen begegne: die größte Schmach in sei- nen alten Tagen. Eher hielt er es für möglich den Ober- rhein zu erreichen und nach den Niederlanden durchzukom- men. Dazu hat er sich wirklich in diesen Tagen entschlossen und den Versuch gewagt. In tiefstem Geheimniß, mit Zu- rücklassung eines Briefes an Ferdinand, der aber erst abgege- ben werden sollte, wenn die Sache gelungen sey, brach der Kaiser am 6ten April nach Mitternacht von Insbruck auf, begleitet von seinen beiden Kammerherrn, Andelot und Ro- senberg, einem eigenen und zwei Dienern Rosenbergs. Sie hofften die große Straße durch die Clause nach Ulm noch frei zu finden. Durch Gebirg und Wald reitend kamen sie am 7ten Mittag nach Nassereith und nach kurzer Rast in die Nähe der Clause. Hier aber erfuhren sie, daß Moritz bereits auf dem Wege sey, um an demselben siebenten Füßen zu besetzen. Sie wären ihm in die Hände gegangen, wären sie fortgeritten, und eilten, nach Insbruck umzukehren. 1
1 Eigener Bericht des Kaisers an seine Schwester 30 Mai
Neuntes Buch. Sechstes Capitel.
der konnte es aber, in der verlegenen und ſchwierigen Lage in der er ſich perſönlich befand, ſelber nicht wünſchen, und widerrieth es ihm.
Ein anderer Ausweg wäre geweſen, ſich nach Ita- lien zu wenden und hier ſich aufs neue zu rüſten. Allein auch da war der Krieg nicht eben glücklich gegangen, überall war das Landvolk durch die Truppenzüge in Aufregung ge- ſetzt. Es ſchien dem Kaiſer nicht rathſam, ſich mit ſeiner geringen Umgebung auf die dortigen Landſtraßen zu wagen. Auch meinte er, wenn er einmal in Italien ſey, eine Reiſe nach Spanien nicht gut ablehnen zu können; wie leicht, daß ihm dann bei der Überfahrt ein Unfall von den Franzoſen oder gar den Osmanen begegne: die größte Schmach in ſei- nen alten Tagen. Eher hielt er es für möglich den Ober- rhein zu erreichen und nach den Niederlanden durchzukom- men. Dazu hat er ſich wirklich in dieſen Tagen entſchloſſen und den Verſuch gewagt. In tiefſtem Geheimniß, mit Zu- rücklaſſung eines Briefes an Ferdinand, der aber erſt abgege- ben werden ſollte, wenn die Sache gelungen ſey, brach der Kaiſer am 6ten April nach Mitternacht von Insbruck auf, begleitet von ſeinen beiden Kammerherrn, Andelot und Ro- ſenberg, einem eigenen und zwei Dienern Roſenbergs. Sie hofften die große Straße durch die Clauſe nach Ulm noch frei zu finden. Durch Gebirg und Wald reitend kamen ſie am 7ten Mittag nach Naſſereith und nach kurzer Raſt in die Nähe der Clauſe. Hier aber erfuhren ſie, daß Moritz bereits auf dem Wege ſey, um an demſelben ſiebenten Füßen zu beſetzen. Sie wären ihm in die Hände gegangen, wären ſie fortgeritten, und eilten, nach Insbruck umzukehren. 1
1 Eigener Bericht des Kaiſers an ſeine Schweſter 30 Mai
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0254"n="242"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#g">Neuntes Buch. Sechstes Capitel</hi>.</fw><lb/>
der konnte es aber, in der verlegenen und ſchwierigen Lage<lb/>
in der er ſich perſönlich befand, ſelber nicht wünſchen, und<lb/>
widerrieth es ihm.</p><lb/><p>Ein anderer Ausweg wäre geweſen, ſich nach Ita-<lb/>
lien zu wenden und hier ſich aufs neue zu rüſten. Allein<lb/>
auch da war der Krieg nicht eben glücklich gegangen, überall<lb/>
war das Landvolk durch die Truppenzüge in Aufregung ge-<lb/>ſetzt. Es ſchien dem Kaiſer nicht rathſam, ſich mit ſeiner<lb/>
geringen Umgebung auf die dortigen Landſtraßen zu wagen.<lb/>
Auch meinte er, wenn er einmal in Italien ſey, eine Reiſe<lb/>
nach Spanien nicht gut ablehnen zu können; wie leicht, daß<lb/>
ihm dann bei der Überfahrt ein Unfall von den Franzoſen<lb/>
oder gar den Osmanen begegne: die größte Schmach in ſei-<lb/>
nen alten Tagen. Eher hielt er es für möglich den Ober-<lb/>
rhein zu erreichen und nach den Niederlanden durchzukom-<lb/>
men. Dazu hat er ſich wirklich in dieſen Tagen entſchloſſen<lb/>
und den Verſuch gewagt. In tiefſtem Geheimniß, mit Zu-<lb/>
rücklaſſung eines Briefes an Ferdinand, der aber erſt abgege-<lb/>
ben werden ſollte, wenn die Sache gelungen ſey, brach der<lb/>
Kaiſer am 6ten April nach Mitternacht von Insbruck auf,<lb/>
begleitet von ſeinen beiden Kammerherrn, Andelot und Ro-<lb/>ſenberg, einem eigenen und zwei Dienern Roſenbergs. Sie<lb/>
hofften die große Straße durch die Clauſe nach Ulm noch<lb/>
frei zu finden. Durch Gebirg und Wald reitend kamen ſie<lb/>
am 7ten Mittag nach Naſſereith und nach kurzer Raſt in<lb/>
die Nähe der Clauſe. Hier aber erfuhren ſie, daß Moritz<lb/>
bereits auf dem Wege ſey, um an demſelben ſiebenten Füßen<lb/>
zu beſetzen. Sie wären ihm in die Hände gegangen, wären<lb/>ſie fortgeritten, und eilten, nach Insbruck umzukehren. <notexml:id="seg2pn_14_1"next="#seg2pn_14_2"place="foot"n="1">Eigener Bericht des Kaiſers an ſeine Schweſter 30 Mai</note></p><lb/></div></div></body></text></TEI>
[242/0254]
Neuntes Buch. Sechstes Capitel.
der konnte es aber, in der verlegenen und ſchwierigen Lage
in der er ſich perſönlich befand, ſelber nicht wünſchen, und
widerrieth es ihm.
Ein anderer Ausweg wäre geweſen, ſich nach Ita-
lien zu wenden und hier ſich aufs neue zu rüſten. Allein
auch da war der Krieg nicht eben glücklich gegangen, überall
war das Landvolk durch die Truppenzüge in Aufregung ge-
ſetzt. Es ſchien dem Kaiſer nicht rathſam, ſich mit ſeiner
geringen Umgebung auf die dortigen Landſtraßen zu wagen.
Auch meinte er, wenn er einmal in Italien ſey, eine Reiſe
nach Spanien nicht gut ablehnen zu können; wie leicht, daß
ihm dann bei der Überfahrt ein Unfall von den Franzoſen
oder gar den Osmanen begegne: die größte Schmach in ſei-
nen alten Tagen. Eher hielt er es für möglich den Ober-
rhein zu erreichen und nach den Niederlanden durchzukom-
men. Dazu hat er ſich wirklich in dieſen Tagen entſchloſſen
und den Verſuch gewagt. In tiefſtem Geheimniß, mit Zu-
rücklaſſung eines Briefes an Ferdinand, der aber erſt abgege-
ben werden ſollte, wenn die Sache gelungen ſey, brach der
Kaiſer am 6ten April nach Mitternacht von Insbruck auf,
begleitet von ſeinen beiden Kammerherrn, Andelot und Ro-
ſenberg, einem eigenen und zwei Dienern Roſenbergs. Sie
hofften die große Straße durch die Clauſe nach Ulm noch
frei zu finden. Durch Gebirg und Wald reitend kamen ſie
am 7ten Mittag nach Naſſereith und nach kurzer Raſt in
die Nähe der Clauſe. Hier aber erfuhren ſie, daß Moritz
bereits auf dem Wege ſey, um an demſelben ſiebenten Füßen
zu beſetzen. Sie wären ihm in die Hände gegangen, wären
ſie fortgeritten, und eilten, nach Insbruck umzukehren. 1
1 Eigener Bericht des Kaiſers an ſeine Schweſter 30 Mai
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 5. Berlin, 1843, S. 242. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation05_1843/254>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.