Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 5. Berlin, 1843.

Bild:
<< vorherige Seite

Zehntes Buch. Fünftes Capitel.
rückt würde: er hegte die Hofnung noch, das letzte, wider-
wärtigste Zugeständniß werde sich vermeiden lassen; war das
aber nicht möglich, so wollte er wenigstens nichts damit zu
schaffen haben. In ihm hatte sich die religiöse Überzeugung
mit dem Selbstgefühl des Staatsmannes durchdrungen, der
den Schimpf nicht erleben will, den Gedanken fallen lassen
zu müssen, den er mit allen Mitteln lange Jahre daher zu
verwirklichen getrachtet. Mochte dann sein Bruder mit sich
selber zu Rathe gehn und die Dinge so weit führen als
er vermochte.

Nun leuchtet ein, wie sehr sich hiedurch die Lage der
Dinge änderte. Der Kaiser, der bei den Verhandlungen in
Passau der sonst bei den Anwesenden allgemein geworde-
nen Überzeugung von der Nothwendigkeit des unbedingten
Friedens allein Widerstand geleistet, zog sich zurück und ließ
denselben freien Lauf.

Freilich fehlte noch viel, daß die Sache damit entschie-
den gewesen wäre.

An dem Reichstage wurde das geistliche Interesse bei
weitem stärker repräsentirt als in Passau. Überdieß war es
aber jetzt durch die Thätigkeit des braunschweigisch-fränkischen
Bundes bei weitem besser gesichert und der Bedrängnisse über-
hoben, welche damals zur Nachgiebigkeit genöthigt hatten.
Auch ist es doch ganz etwas anders, eine Sache vorläufig
für wünschenswerth zu erklären, wie dort geschehen war, und
sie auf immer zu bewilligen, was der Erfolg eines Reichs-
tagsbeschlusses werden mußte.

Glücklicherweise war das Churfürstencollegium friedlich
gesinnt. Die geistlichen Churfürsten waren noch eben Die,

Zehntes Buch. Fuͤnftes Capitel.
rückt würde: er hegte die Hofnung noch, das letzte, wider-
wärtigſte Zugeſtändniß werde ſich vermeiden laſſen; war das
aber nicht möglich, ſo wollte er wenigſtens nichts damit zu
ſchaffen haben. In ihm hatte ſich die religiöſe Überzeugung
mit dem Selbſtgefühl des Staatsmannes durchdrungen, der
den Schimpf nicht erleben will, den Gedanken fallen laſſen
zu müſſen, den er mit allen Mitteln lange Jahre daher zu
verwirklichen getrachtet. Mochte dann ſein Bruder mit ſich
ſelber zu Rathe gehn und die Dinge ſo weit führen als
er vermochte.

Nun leuchtet ein, wie ſehr ſich hiedurch die Lage der
Dinge änderte. Der Kaiſer, der bei den Verhandlungen in
Paſſau der ſonſt bei den Anweſenden allgemein geworde-
nen Überzeugung von der Nothwendigkeit des unbedingten
Friedens allein Widerſtand geleiſtet, zog ſich zurück und ließ
denſelben freien Lauf.

Freilich fehlte noch viel, daß die Sache damit entſchie-
den geweſen wäre.

An dem Reichstage wurde das geiſtliche Intereſſe bei
weitem ſtärker repräſentirt als in Paſſau. Überdieß war es
aber jetzt durch die Thätigkeit des braunſchweigiſch-fränkiſchen
Bundes bei weitem beſſer geſichert und der Bedrängniſſe über-
hoben, welche damals zur Nachgiebigkeit genöthigt hatten.
Auch iſt es doch ganz etwas anders, eine Sache vorläufig
für wünſchenswerth zu erklären, wie dort geſchehen war, und
ſie auf immer zu bewilligen, was der Erfolg eines Reichs-
tagsbeſchluſſes werden mußte.

Glücklicherweiſe war das Churfürſtencollegium friedlich
geſinnt. Die geiſtlichen Churfürſten waren noch eben Die,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0372" n="360"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Zehntes Buch. Fu&#x0364;nftes Capitel</hi>.</fw><lb/>
rückt würde: er hegte die Hofnung noch, das letzte, wider-<lb/>
wärtig&#x017F;te Zuge&#x017F;tändniß werde &#x017F;ich vermeiden la&#x017F;&#x017F;en; war das<lb/>
aber nicht möglich, &#x017F;o wollte er wenig&#x017F;tens nichts damit zu<lb/>
&#x017F;chaffen haben. In ihm hatte &#x017F;ich die religiö&#x017F;e Überzeugung<lb/>
mit dem Selb&#x017F;tgefühl des Staatsmannes durchdrungen, der<lb/>
den Schimpf nicht erleben will, den Gedanken fallen la&#x017F;&#x017F;en<lb/>
zu mü&#x017F;&#x017F;en, den er mit allen Mitteln lange Jahre daher zu<lb/>
verwirklichen getrachtet. Mochte dann &#x017F;ein Bruder mit &#x017F;ich<lb/>
&#x017F;elber zu Rathe gehn und die Dinge &#x017F;o weit führen als<lb/>
er vermochte.</p><lb/>
            <p>Nun leuchtet ein, wie &#x017F;ehr &#x017F;ich hiedurch die Lage der<lb/>
Dinge änderte. Der Kai&#x017F;er, der bei den Verhandlungen in<lb/>
Pa&#x017F;&#x017F;au der &#x017F;on&#x017F;t bei den Anwe&#x017F;enden allgemein geworde-<lb/>
nen Überzeugung von der Nothwendigkeit des unbedingten<lb/>
Friedens allein Wider&#x017F;tand gelei&#x017F;tet, zog &#x017F;ich zurück und ließ<lb/>
den&#x017F;elben freien Lauf.</p><lb/>
            <p>Freilich fehlte noch viel, daß die Sache damit ent&#x017F;chie-<lb/>
den gewe&#x017F;en wäre.</p><lb/>
            <p>An dem Reichstage wurde das gei&#x017F;tliche Intere&#x017F;&#x017F;e bei<lb/>
weitem &#x017F;tärker reprä&#x017F;entirt als in Pa&#x017F;&#x017F;au. Überdieß war es<lb/>
aber jetzt durch die Thätigkeit des braun&#x017F;chweigi&#x017F;ch-fränki&#x017F;chen<lb/>
Bundes bei weitem be&#x017F;&#x017F;er ge&#x017F;ichert und der Bedrängni&#x017F;&#x017F;e über-<lb/>
hoben, welche damals zur Nachgiebigkeit genöthigt hatten.<lb/>
Auch i&#x017F;t es doch ganz etwas anders, eine Sache vorläufig<lb/>
für wün&#x017F;chenswerth zu erklären, wie dort ge&#x017F;chehen war, und<lb/>
&#x017F;ie auf immer zu bewilligen, was der Erfolg eines Reichs-<lb/>
tagsbe&#x017F;chlu&#x017F;&#x017F;es werden mußte.</p><lb/>
            <p>Glücklicherwei&#x017F;e war das Churfür&#x017F;tencollegium friedlich<lb/>
ge&#x017F;innt. Die gei&#x017F;tlichen Churfür&#x017F;ten waren noch eben Die,<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[360/0372] Zehntes Buch. Fuͤnftes Capitel. rückt würde: er hegte die Hofnung noch, das letzte, wider- wärtigſte Zugeſtändniß werde ſich vermeiden laſſen; war das aber nicht möglich, ſo wollte er wenigſtens nichts damit zu ſchaffen haben. In ihm hatte ſich die religiöſe Überzeugung mit dem Selbſtgefühl des Staatsmannes durchdrungen, der den Schimpf nicht erleben will, den Gedanken fallen laſſen zu müſſen, den er mit allen Mitteln lange Jahre daher zu verwirklichen getrachtet. Mochte dann ſein Bruder mit ſich ſelber zu Rathe gehn und die Dinge ſo weit führen als er vermochte. Nun leuchtet ein, wie ſehr ſich hiedurch die Lage der Dinge änderte. Der Kaiſer, der bei den Verhandlungen in Paſſau der ſonſt bei den Anweſenden allgemein geworde- nen Überzeugung von der Nothwendigkeit des unbedingten Friedens allein Widerſtand geleiſtet, zog ſich zurück und ließ denſelben freien Lauf. Freilich fehlte noch viel, daß die Sache damit entſchie- den geweſen wäre. An dem Reichstage wurde das geiſtliche Intereſſe bei weitem ſtärker repräſentirt als in Paſſau. Überdieß war es aber jetzt durch die Thätigkeit des braunſchweigiſch-fränkiſchen Bundes bei weitem beſſer geſichert und der Bedrängniſſe über- hoben, welche damals zur Nachgiebigkeit genöthigt hatten. Auch iſt es doch ganz etwas anders, eine Sache vorläufig für wünſchenswerth zu erklären, wie dort geſchehen war, und ſie auf immer zu bewilligen, was der Erfolg eines Reichs- tagsbeſchluſſes werden mußte. Glücklicherweiſe war das Churfürſtencollegium friedlich geſinnt. Die geiſtlichen Churfürſten waren noch eben Die,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation05_1843
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation05_1843/372
Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 5. Berlin, 1843, S. 360. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation05_1843/372>, abgerufen am 24.11.2024.