Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 5. Berlin, 1843.

Bild:
<< vorherige Seite

Zehntes Buch. Siebentes Capitel.
den Puncten wo sie noch nicht genügte, namentlich in dem
Artikel vom Abendmahl, wo die Grundsätze der Wittenber-
ger Concordie noch nicht recht durchgearbeitet, zur Allgemein-
gültigkeit erhoben waren, erwarten lassen.

Aber die großen Ereignisse, der schmalkaldische Krieg
und was demselben folgte, unterbrachen auch hier den na-
türlichen Lauf der Dinge.

Wir gedachten oben der interimistischen Händel. Die
Metropole der evangelischen Doctrin, in den Bereich der vor-
dringenden Restaurationsversuche gezogen, ließ sich zu Annähe-
rungen herbei, die im Drange des Augenblicks allenfalls ent-
schuldigt, niemals aber die allgemeine Norm werden konn-
ten. Sie mußten vielmehr Denen ein Greuel seyn, die un-
ter persönlicher Gefahr ähnlichen Anmuthungen widerstan-
den, Flucht und Verbannung vorgezogen hatten, und auch
Die zurückstoßen, die von der vordringenden siegreichen Ge-
walt nicht erreicht worden waren. Melanchthon gerieth un-
ter dem Einfluß einer provinziellen Politik in eine einseitige
Stellung, in der er aufhörte "den Wagen Israels" zu lenken.

In seiner unmittelbaren Nähe brach ihm darüber Wi-
derspruch aus. Ein junger Lehrer der hebräischen Sprache,
Matthias Vlacich von Albona, genannt Flacius, -- der einst
im Kloster von den Schriften Luthers angeregt, diesen per-
sönlich aufgesucht, und sich, nicht ohne den Zuspruch dessel-
ben, unter heftigen inneren Bedrängnissen, von der Rechtfer-
tigungslehre allein durch den Glauben durchdrungen, ihre heil-
bringende Kraft an sich erprobt hatte, -- wollte nicht mit
ansehen, daß man sich in diesem Hauptartikel jetzt wieder
dem alten Systeme annähere. Da er jedoch weder mit schrift-

Zehntes Buch. Siebentes Capitel.
den Puncten wo ſie noch nicht genügte, namentlich in dem
Artikel vom Abendmahl, wo die Grundſätze der Wittenber-
ger Concordie noch nicht recht durchgearbeitet, zur Allgemein-
gültigkeit erhoben waren, erwarten laſſen.

Aber die großen Ereigniſſe, der ſchmalkaldiſche Krieg
und was demſelben folgte, unterbrachen auch hier den na-
türlichen Lauf der Dinge.

Wir gedachten oben der interimiſtiſchen Händel. Die
Metropole der evangeliſchen Doctrin, in den Bereich der vor-
dringenden Reſtaurationsverſuche gezogen, ließ ſich zu Annähe-
rungen herbei, die im Drange des Augenblicks allenfalls ent-
ſchuldigt, niemals aber die allgemeine Norm werden konn-
ten. Sie mußten vielmehr Denen ein Greuel ſeyn, die un-
ter perſönlicher Gefahr ähnlichen Anmuthungen widerſtan-
den, Flucht und Verbannung vorgezogen hatten, und auch
Die zurückſtoßen, die von der vordringenden ſiegreichen Ge-
walt nicht erreicht worden waren. Melanchthon gerieth un-
ter dem Einfluß einer provinziellen Politik in eine einſeitige
Stellung, in der er aufhörte „den Wagen Iſraels“ zu lenken.

In ſeiner unmittelbaren Nähe brach ihm darüber Wi-
derſpruch aus. Ein junger Lehrer der hebräiſchen Sprache,
Matthias Vlacich von Albona, genannt Flacius, — der einſt
im Kloſter von den Schriften Luthers angeregt, dieſen per-
ſönlich aufgeſucht, und ſich, nicht ohne den Zuſpruch deſſel-
ben, unter heftigen inneren Bedrängniſſen, von der Rechtfer-
tigungslehre allein durch den Glauben durchdrungen, ihre heil-
bringende Kraft an ſich erprobt hatte, — wollte nicht mit
anſehen, daß man ſich in dieſem Hauptartikel jetzt wieder
dem alten Syſteme annähere. Da er jedoch weder mit ſchrift-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0458" n="446"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Zehntes Buch. Siebentes Capitel</hi>.</fw><lb/>
den Puncten wo &#x017F;ie noch nicht genügte, namentlich in dem<lb/>
Artikel vom Abendmahl, wo die Grund&#x017F;ätze der Wittenber-<lb/>
ger Concordie noch nicht recht durchgearbeitet, zur Allgemein-<lb/>
gültigkeit erhoben waren, erwarten la&#x017F;&#x017F;en.</p><lb/>
            <p>Aber die großen Ereigni&#x017F;&#x017F;e, der &#x017F;chmalkaldi&#x017F;che Krieg<lb/>
und was dem&#x017F;elben folgte, unterbrachen auch hier den na-<lb/>
türlichen Lauf der Dinge.</p><lb/>
            <p>Wir gedachten oben der interimi&#x017F;ti&#x017F;chen Händel. Die<lb/>
Metropole der evangeli&#x017F;chen Doctrin, in den Bereich der vor-<lb/>
dringenden Re&#x017F;taurationsver&#x017F;uche gezogen, ließ &#x017F;ich zu Annähe-<lb/>
rungen herbei, die im Drange des Augenblicks allenfalls ent-<lb/>
&#x017F;chuldigt, niemals aber die allgemeine Norm werden konn-<lb/>
ten. Sie mußten vielmehr Denen ein Greuel &#x017F;eyn, die un-<lb/>
ter per&#x017F;önlicher Gefahr ähnlichen Anmuthungen wider&#x017F;tan-<lb/>
den, Flucht und Verbannung vorgezogen hatten, und auch<lb/>
Die zurück&#x017F;toßen, die von der vordringenden &#x017F;iegreichen Ge-<lb/>
walt nicht erreicht worden waren. Melanchthon gerieth un-<lb/>
ter dem Einfluß einer provinziellen Politik in eine ein&#x017F;eitige<lb/>
Stellung, in der er aufhörte &#x201E;den Wagen I&#x017F;raels&#x201C; zu lenken.</p><lb/>
            <p>In &#x017F;einer unmittelbaren Nähe brach ihm darüber Wi-<lb/>
der&#x017F;pruch aus. Ein junger Lehrer der hebräi&#x017F;chen Sprache,<lb/>
Matthias Vlacich von Albona, genannt Flacius, &#x2014; der ein&#x017F;t<lb/>
im Klo&#x017F;ter von den Schriften Luthers angeregt, die&#x017F;en per-<lb/>
&#x017F;önlich aufge&#x017F;ucht, und &#x017F;ich, nicht ohne den Zu&#x017F;pruch de&#x017F;&#x017F;el-<lb/>
ben, unter heftigen inneren Bedrängni&#x017F;&#x017F;en, von der Rechtfer-<lb/>
tigungslehre allein durch den Glauben durchdrungen, ihre heil-<lb/>
bringende Kraft an &#x017F;ich erprobt hatte, &#x2014; wollte nicht mit<lb/>
an&#x017F;ehen, daß man &#x017F;ich in die&#x017F;em Hauptartikel jetzt wieder<lb/>
dem alten Sy&#x017F;teme annähere. Da er jedoch weder mit &#x017F;chrift-<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[446/0458] Zehntes Buch. Siebentes Capitel. den Puncten wo ſie noch nicht genügte, namentlich in dem Artikel vom Abendmahl, wo die Grundſätze der Wittenber- ger Concordie noch nicht recht durchgearbeitet, zur Allgemein- gültigkeit erhoben waren, erwarten laſſen. Aber die großen Ereigniſſe, der ſchmalkaldiſche Krieg und was demſelben folgte, unterbrachen auch hier den na- türlichen Lauf der Dinge. Wir gedachten oben der interimiſtiſchen Händel. Die Metropole der evangeliſchen Doctrin, in den Bereich der vor- dringenden Reſtaurationsverſuche gezogen, ließ ſich zu Annähe- rungen herbei, die im Drange des Augenblicks allenfalls ent- ſchuldigt, niemals aber die allgemeine Norm werden konn- ten. Sie mußten vielmehr Denen ein Greuel ſeyn, die un- ter perſönlicher Gefahr ähnlichen Anmuthungen widerſtan- den, Flucht und Verbannung vorgezogen hatten, und auch Die zurückſtoßen, die von der vordringenden ſiegreichen Ge- walt nicht erreicht worden waren. Melanchthon gerieth un- ter dem Einfluß einer provinziellen Politik in eine einſeitige Stellung, in der er aufhörte „den Wagen Iſraels“ zu lenken. In ſeiner unmittelbaren Nähe brach ihm darüber Wi- derſpruch aus. Ein junger Lehrer der hebräiſchen Sprache, Matthias Vlacich von Albona, genannt Flacius, — der einſt im Kloſter von den Schriften Luthers angeregt, dieſen per- ſönlich aufgeſucht, und ſich, nicht ohne den Zuſpruch deſſel- ben, unter heftigen inneren Bedrängniſſen, von der Rechtfer- tigungslehre allein durch den Glauben durchdrungen, ihre heil- bringende Kraft an ſich erprobt hatte, — wollte nicht mit anſehen, daß man ſich in dieſem Hauptartikel jetzt wieder dem alten Syſteme annähere. Da er jedoch weder mit ſchrift-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation05_1843
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation05_1843/458
Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 5. Berlin, 1843, S. 446. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation05_1843/458>, abgerufen am 22.11.2024.