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Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 5. Berlin, 1843.

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Neuntes Buch. Zweites Capitel.
Schmerzliche Nothwendigkeit, die eigne Gesinnung zu ver-
leugnen um das Gemeinwesen nicht zu Grunde gehn zu las-
sen. Sie sagten mit alle dem doch zuletzt nur, daß sie ge-
nöthigt seyen der Gewalt zu weichen.

Die kaiserlichen Beamten spotteten ihrer Bedenklichkei-
ten, nicht ohne wegwerfenden Hohn. "Ihr habt Conscien-
zen," rief der Vicecanzler Heinrich Hase dem Frankfurter Ab-
geordneten zu, der sich auch auf das Gewissen bezog, "wie
Barfüßerärmel, die ganze Klöster verschlingen." Bescheident-
lich antwortete der Frankfurter Rathsfreund, er wisse nicht,
daß seine Herrn den Geistlichen das Mindeste mit Gewalt
entfremdet. "Redet mir nicht davon," versetzte Hase, "ich
weiß es so gut wie ein andrer; aber das ist des Kaisers
Meinung, daß er das Interim gehalten haben will, und
sollte er ein Königreich darüber zusetzen. Lernt nur das Alte
wieder, oder man wird euch Leute schicken die es euch leh-
ren: ihr sollt noch spanisch lernen." 1

Zuweilen trat auch noch eine andre Schwierigkeit ein,
die in der Verfassung lag, wie in Straßburg. Der Rath
war nach langen vergeblichen Gegenvorstellungen am Ende
geneigt, dem Beispiele der übrigen Städte zu folgen; allein
die Schöffen entschieden, daß dieß ein Fall sey in welchem die
Gemeine gefragt werden müsse. Von dieser Gemeine aber,
welche eine sehr entschieden protestantische Gesinnung hegte,
war niemals zu erwarten daß sie sich unterwerfen würde.
Nur mit großer Mühe und unter allgemeiner Aufregung
wurden die Schöffen bewogen ihren Beschluß zurückzuneh-
men. Hierauf ward auch hier dem Bischof vergönnt, we-

1 Bericht des Frankfurter Gesandten Humbrecht in der Samm-
lung kaiserlicher Briefe im Frankf. Archiv.

Neuntes Buch. Zweites Capitel.
Schmerzliche Nothwendigkeit, die eigne Geſinnung zu ver-
leugnen um das Gemeinweſen nicht zu Grunde gehn zu laſ-
ſen. Sie ſagten mit alle dem doch zuletzt nur, daß ſie ge-
nöthigt ſeyen der Gewalt zu weichen.

Die kaiſerlichen Beamten ſpotteten ihrer Bedenklichkei-
ten, nicht ohne wegwerfenden Hohn. „Ihr habt Conſcien-
zen,“ rief der Vicecanzler Heinrich Haſe dem Frankfurter Ab-
geordneten zu, der ſich auch auf das Gewiſſen bezog, „wie
Barfüßerärmel, die ganze Klöſter verſchlingen.“ Beſcheident-
lich antwortete der Frankfurter Rathsfreund, er wiſſe nicht,
daß ſeine Herrn den Geiſtlichen das Mindeſte mit Gewalt
entfremdet. „Redet mir nicht davon,“ verſetzte Haſe, „ich
weiß es ſo gut wie ein andrer; aber das iſt des Kaiſers
Meinung, daß er das Interim gehalten haben will, und
ſollte er ein Königreich darüber zuſetzen. Lernt nur das Alte
wieder, oder man wird euch Leute ſchicken die es euch leh-
ren: ihr ſollt noch ſpaniſch lernen.“ 1

Zuweilen trat auch noch eine andre Schwierigkeit ein,
die in der Verfaſſung lag, wie in Straßburg. Der Rath
war nach langen vergeblichen Gegenvorſtellungen am Ende
geneigt, dem Beiſpiele der übrigen Städte zu folgen; allein
die Schöffen entſchieden, daß dieß ein Fall ſey in welchem die
Gemeine gefragt werden müſſe. Von dieſer Gemeine aber,
welche eine ſehr entſchieden proteſtantiſche Geſinnung hegte,
war niemals zu erwarten daß ſie ſich unterwerfen würde.
Nur mit großer Mühe und unter allgemeiner Aufregung
wurden die Schöffen bewogen ihren Beſchluß zurückzuneh-
men. Hierauf ward auch hier dem Biſchof vergönnt, we-

1 Bericht des Frankfurter Geſandten Humbrecht in der Samm-
lung kaiſerlicher Briefe im Frankf. Archiv.
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[60/0072] Neuntes Buch. Zweites Capitel. Schmerzliche Nothwendigkeit, die eigne Geſinnung zu ver- leugnen um das Gemeinweſen nicht zu Grunde gehn zu laſ- ſen. Sie ſagten mit alle dem doch zuletzt nur, daß ſie ge- nöthigt ſeyen der Gewalt zu weichen. Die kaiſerlichen Beamten ſpotteten ihrer Bedenklichkei- ten, nicht ohne wegwerfenden Hohn. „Ihr habt Conſcien- zen,“ rief der Vicecanzler Heinrich Haſe dem Frankfurter Ab- geordneten zu, der ſich auch auf das Gewiſſen bezog, „wie Barfüßerärmel, die ganze Klöſter verſchlingen.“ Beſcheident- lich antwortete der Frankfurter Rathsfreund, er wiſſe nicht, daß ſeine Herrn den Geiſtlichen das Mindeſte mit Gewalt entfremdet. „Redet mir nicht davon,“ verſetzte Haſe, „ich weiß es ſo gut wie ein andrer; aber das iſt des Kaiſers Meinung, daß er das Interim gehalten haben will, und ſollte er ein Königreich darüber zuſetzen. Lernt nur das Alte wieder, oder man wird euch Leute ſchicken die es euch leh- ren: ihr ſollt noch ſpaniſch lernen.“ 1 Zuweilen trat auch noch eine andre Schwierigkeit ein, die in der Verfaſſung lag, wie in Straßburg. Der Rath war nach langen vergeblichen Gegenvorſtellungen am Ende geneigt, dem Beiſpiele der übrigen Städte zu folgen; allein die Schöffen entſchieden, daß dieß ein Fall ſey in welchem die Gemeine gefragt werden müſſe. Von dieſer Gemeine aber, welche eine ſehr entſchieden proteſtantiſche Geſinnung hegte, war niemals zu erwarten daß ſie ſich unterwerfen würde. Nur mit großer Mühe und unter allgemeiner Aufregung wurden die Schöffen bewogen ihren Beſchluß zurückzuneh- men. Hierauf ward auch hier dem Biſchof vergönnt, we- 1 Bericht des Frankfurter Geſandten Humbrecht in der Samm- lung kaiſerlicher Briefe im Frankf. Archiv.

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Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 5. Berlin, 1843, S. 60. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation05_1843/72>, abgerufen am 24.11.2024.