Schmerzliche Nothwendigkeit, die eigne Gesinnung zu ver- leugnen um das Gemeinwesen nicht zu Grunde gehn zu las- sen. Sie sagten mit alle dem doch zuletzt nur, daß sie ge- nöthigt seyen der Gewalt zu weichen.
Die kaiserlichen Beamten spotteten ihrer Bedenklichkei- ten, nicht ohne wegwerfenden Hohn. "Ihr habt Conscien- zen," rief der Vicecanzler Heinrich Hase dem Frankfurter Ab- geordneten zu, der sich auch auf das Gewissen bezog, "wie Barfüßerärmel, die ganze Klöster verschlingen." Bescheident- lich antwortete der Frankfurter Rathsfreund, er wisse nicht, daß seine Herrn den Geistlichen das Mindeste mit Gewalt entfremdet. "Redet mir nicht davon," versetzte Hase, "ich weiß es so gut wie ein andrer; aber das ist des Kaisers Meinung, daß er das Interim gehalten haben will, und sollte er ein Königreich darüber zusetzen. Lernt nur das Alte wieder, oder man wird euch Leute schicken die es euch leh- ren: ihr sollt noch spanisch lernen." 1
Zuweilen trat auch noch eine andre Schwierigkeit ein, die in der Verfassung lag, wie in Straßburg. Der Rath war nach langen vergeblichen Gegenvorstellungen am Ende geneigt, dem Beispiele der übrigen Städte zu folgen; allein die Schöffen entschieden, daß dieß ein Fall sey in welchem die Gemeine gefragt werden müsse. Von dieser Gemeine aber, welche eine sehr entschieden protestantische Gesinnung hegte, war niemals zu erwarten daß sie sich unterwerfen würde. Nur mit großer Mühe und unter allgemeiner Aufregung wurden die Schöffen bewogen ihren Beschluß zurückzuneh- men. Hierauf ward auch hier dem Bischof vergönnt, we-
1 Bericht des Frankfurter Gesandten Humbrecht in der Samm- lung kaiserlicher Briefe im Frankf. Archiv.
Neuntes Buch. Zweites Capitel.
Schmerzliche Nothwendigkeit, die eigne Geſinnung zu ver- leugnen um das Gemeinweſen nicht zu Grunde gehn zu laſ- ſen. Sie ſagten mit alle dem doch zuletzt nur, daß ſie ge- nöthigt ſeyen der Gewalt zu weichen.
Die kaiſerlichen Beamten ſpotteten ihrer Bedenklichkei- ten, nicht ohne wegwerfenden Hohn. „Ihr habt Conſcien- zen,“ rief der Vicecanzler Heinrich Haſe dem Frankfurter Ab- geordneten zu, der ſich auch auf das Gewiſſen bezog, „wie Barfüßerärmel, die ganze Klöſter verſchlingen.“ Beſcheident- lich antwortete der Frankfurter Rathsfreund, er wiſſe nicht, daß ſeine Herrn den Geiſtlichen das Mindeſte mit Gewalt entfremdet. „Redet mir nicht davon,“ verſetzte Haſe, „ich weiß es ſo gut wie ein andrer; aber das iſt des Kaiſers Meinung, daß er das Interim gehalten haben will, und ſollte er ein Königreich darüber zuſetzen. Lernt nur das Alte wieder, oder man wird euch Leute ſchicken die es euch leh- ren: ihr ſollt noch ſpaniſch lernen.“ 1
Zuweilen trat auch noch eine andre Schwierigkeit ein, die in der Verfaſſung lag, wie in Straßburg. Der Rath war nach langen vergeblichen Gegenvorſtellungen am Ende geneigt, dem Beiſpiele der übrigen Städte zu folgen; allein die Schöffen entſchieden, daß dieß ein Fall ſey in welchem die Gemeine gefragt werden müſſe. Von dieſer Gemeine aber, welche eine ſehr entſchieden proteſtantiſche Geſinnung hegte, war niemals zu erwarten daß ſie ſich unterwerfen würde. Nur mit großer Mühe und unter allgemeiner Aufregung wurden die Schöffen bewogen ihren Beſchluß zurückzuneh- men. Hierauf ward auch hier dem Biſchof vergönnt, we-
1 Bericht des Frankfurter Geſandten Humbrecht in der Samm- lung kaiſerlicher Briefe im Frankf. Archiv.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0072"n="60"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#g">Neuntes Buch. Zweites Capitel</hi>.</fw><lb/>
Schmerzliche Nothwendigkeit, die eigne Geſinnung zu ver-<lb/>
leugnen um das Gemeinweſen nicht zu Grunde gehn zu laſ-<lb/>ſen. Sie ſagten mit alle dem doch zuletzt nur, daß ſie ge-<lb/>
nöthigt ſeyen der Gewalt zu weichen.</p><lb/><p>Die kaiſerlichen Beamten ſpotteten ihrer Bedenklichkei-<lb/>
ten, nicht ohne wegwerfenden Hohn. „Ihr habt Conſcien-<lb/>
zen,“ rief der Vicecanzler Heinrich Haſe dem Frankfurter Ab-<lb/>
geordneten zu, der ſich auch auf das Gewiſſen bezog, „wie<lb/>
Barfüßerärmel, die ganze Klöſter verſchlingen.“ Beſcheident-<lb/>
lich antwortete der Frankfurter Rathsfreund, er wiſſe nicht,<lb/>
daß ſeine Herrn den Geiſtlichen das Mindeſte mit Gewalt<lb/>
entfremdet. „Redet mir nicht davon,“ verſetzte Haſe, „ich<lb/>
weiß es ſo gut wie ein andrer; aber das iſt des Kaiſers<lb/>
Meinung, daß er das Interim gehalten haben will, und<lb/>ſollte er ein Königreich darüber zuſetzen. Lernt nur das Alte<lb/>
wieder, oder man wird euch Leute ſchicken die es euch leh-<lb/>
ren: ihr ſollt noch ſpaniſch lernen.“<noteplace="foot"n="1">Bericht des Frankfurter Geſandten Humbrecht in der Samm-<lb/>
lung kaiſerlicher Briefe im Frankf. Archiv.</note></p><lb/><p>Zuweilen trat auch noch eine andre Schwierigkeit ein,<lb/>
die in der Verfaſſung lag, wie in Straßburg. Der Rath<lb/>
war nach langen vergeblichen Gegenvorſtellungen am Ende<lb/>
geneigt, dem Beiſpiele der übrigen Städte zu folgen; allein<lb/>
die Schöffen entſchieden, daß dieß ein Fall ſey in welchem die<lb/>
Gemeine gefragt werden müſſe. Von dieſer Gemeine aber,<lb/>
welche eine ſehr entſchieden proteſtantiſche Geſinnung hegte,<lb/>
war niemals zu erwarten daß ſie ſich unterwerfen würde.<lb/>
Nur mit großer Mühe und unter allgemeiner Aufregung<lb/>
wurden die Schöffen bewogen ihren Beſchluß zurückzuneh-<lb/>
men. Hierauf ward auch hier dem Biſchof vergönnt, we-<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[60/0072]
Neuntes Buch. Zweites Capitel.
Schmerzliche Nothwendigkeit, die eigne Geſinnung zu ver-
leugnen um das Gemeinweſen nicht zu Grunde gehn zu laſ-
ſen. Sie ſagten mit alle dem doch zuletzt nur, daß ſie ge-
nöthigt ſeyen der Gewalt zu weichen.
Die kaiſerlichen Beamten ſpotteten ihrer Bedenklichkei-
ten, nicht ohne wegwerfenden Hohn. „Ihr habt Conſcien-
zen,“ rief der Vicecanzler Heinrich Haſe dem Frankfurter Ab-
geordneten zu, der ſich auch auf das Gewiſſen bezog, „wie
Barfüßerärmel, die ganze Klöſter verſchlingen.“ Beſcheident-
lich antwortete der Frankfurter Rathsfreund, er wiſſe nicht,
daß ſeine Herrn den Geiſtlichen das Mindeſte mit Gewalt
entfremdet. „Redet mir nicht davon,“ verſetzte Haſe, „ich
weiß es ſo gut wie ein andrer; aber das iſt des Kaiſers
Meinung, daß er das Interim gehalten haben will, und
ſollte er ein Königreich darüber zuſetzen. Lernt nur das Alte
wieder, oder man wird euch Leute ſchicken die es euch leh-
ren: ihr ſollt noch ſpaniſch lernen.“ 1
Zuweilen trat auch noch eine andre Schwierigkeit ein,
die in der Verfaſſung lag, wie in Straßburg. Der Rath
war nach langen vergeblichen Gegenvorſtellungen am Ende
geneigt, dem Beiſpiele der übrigen Städte zu folgen; allein
die Schöffen entſchieden, daß dieß ein Fall ſey in welchem die
Gemeine gefragt werden müſſe. Von dieſer Gemeine aber,
welche eine ſehr entſchieden proteſtantiſche Geſinnung hegte,
war niemals zu erwarten daß ſie ſich unterwerfen würde.
Nur mit großer Mühe und unter allgemeiner Aufregung
wurden die Schöffen bewogen ihren Beſchluß zurückzuneh-
men. Hierauf ward auch hier dem Biſchof vergönnt, we-
1 Bericht des Frankfurter Geſandten Humbrecht in der Samm-
lung kaiſerlicher Briefe im Frankf. Archiv.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 5. Berlin, 1843, S. 60. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation05_1843/72>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.