Reich, Moses Josef: Mammon im Gebirge. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 9. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–45. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.wieder eine Lüge, eine Prahlerei erlaubte, um die Speise zu würzen: so wollte er Scharmützel zu Schlachten, Plänkeleien zu Attaken erheben, von Andern Gehörtes gab er für Selbsterlebtes aus, kurz, er erreichte seinen Zweck -- jede Kugel hörte Trude durch die Lüfte pfeifen, von der er erzählte, sie sei an seinem Kopfe vorbeigeflogen, sie stürmte, sie focht mit, wenn er von eingenommenen Festungen sprach, welche er zuerst erklommen. Als er fertig war, oder sich zu neuen Erzählungen sammelte, warf Vater Ignaz, welcher schweigsam und emsig fortarbeitend zugehört und nur hie und da mit dem Kopfe geschüttelt hatte, die Bemerkung hin: Und doch nur Gefreiter? Martin schoß das Blut ins Gesicht, er antwortete aber schnell: In einer Armee, wo jeder Gemeine verdiente, Oberst zu werden, ist ein Gefreiter mehr als Gefreiter, mehr als anderwo ein Hauptmann! -- Schuster Ignaz schwieg; Trude war von der geschickten Antwort ganz hin vor Begeisterung, sie glaubte an Martin wie an den Heiligen gleichen Namens. Als sie nach Hause ging, begleitete sie Martin, er nahm ihren Arm unter den seinigen und drückte sie fest an sich, er spürte ihr Herz klopfen, vor dem Thore des Gehöftes standen sie noch lange und wisperten, bis von innen die schweren Schritte Sommer Hansens mit den hölzernen Pantoffeln schallten; jetzt drückte Martin einen heftigen Kuß auf Trudens Lippen, sie gab ihn ihm zurück und legte ihre Hände dabei auf seine Schultern, dann riß sie sich los und Martin trat in die Nacht wieder eine Lüge, eine Prahlerei erlaubte, um die Speise zu würzen: so wollte er Scharmützel zu Schlachten, Plänkeleien zu Attaken erheben, von Andern Gehörtes gab er für Selbsterlebtes aus, kurz, er erreichte seinen Zweck — jede Kugel hörte Trude durch die Lüfte pfeifen, von der er erzählte, sie sei an seinem Kopfe vorbeigeflogen, sie stürmte, sie focht mit, wenn er von eingenommenen Festungen sprach, welche er zuerst erklommen. Als er fertig war, oder sich zu neuen Erzählungen sammelte, warf Vater Ignaz, welcher schweigsam und emsig fortarbeitend zugehört und nur hie und da mit dem Kopfe geschüttelt hatte, die Bemerkung hin: Und doch nur Gefreiter? Martin schoß das Blut ins Gesicht, er antwortete aber schnell: In einer Armee, wo jeder Gemeine verdiente, Oberst zu werden, ist ein Gefreiter mehr als Gefreiter, mehr als anderwo ein Hauptmann! — Schuster Ignaz schwieg; Trude war von der geschickten Antwort ganz hin vor Begeisterung, sie glaubte an Martin wie an den Heiligen gleichen Namens. Als sie nach Hause ging, begleitete sie Martin, er nahm ihren Arm unter den seinigen und drückte sie fest an sich, er spürte ihr Herz klopfen, vor dem Thore des Gehöftes standen sie noch lange und wisperten, bis von innen die schweren Schritte Sommer Hansens mit den hölzernen Pantoffeln schallten; jetzt drückte Martin einen heftigen Kuß auf Trudens Lippen, sie gab ihn ihm zurück und legte ihre Hände dabei auf seine Schultern, dann riß sie sich los und Martin trat in die Nacht <TEI> <text> <body> <div n="0"> <p><pb facs="#f0037"/> wieder eine Lüge, eine Prahlerei erlaubte, um die Speise zu würzen: so wollte er Scharmützel zu Schlachten, Plänkeleien zu Attaken erheben, von Andern Gehörtes gab er für Selbsterlebtes aus, kurz, er erreichte seinen Zweck — jede Kugel hörte Trude durch die Lüfte pfeifen, von der er erzählte, sie sei an seinem Kopfe vorbeigeflogen, sie stürmte, sie focht mit, wenn er von eingenommenen Festungen sprach, welche er zuerst erklommen. Als er fertig war, oder sich zu neuen Erzählungen sammelte, warf Vater Ignaz, welcher schweigsam und emsig fortarbeitend zugehört und nur hie und da mit dem Kopfe geschüttelt hatte, die Bemerkung hin: Und doch nur Gefreiter? Martin schoß das Blut ins Gesicht, er antwortete aber schnell: In einer Armee, wo jeder Gemeine verdiente, Oberst zu werden, ist ein Gefreiter mehr als Gefreiter, mehr als anderwo ein Hauptmann! — Schuster Ignaz schwieg; Trude war von der geschickten Antwort ganz hin vor Begeisterung, sie glaubte an Martin wie an den Heiligen gleichen Namens. Als sie nach Hause ging, begleitete sie Martin, er nahm ihren Arm unter den seinigen und drückte sie fest an sich, er spürte ihr Herz klopfen, vor dem Thore des Gehöftes standen sie noch lange und wisperten, bis von innen die schweren Schritte Sommer Hansens mit den hölzernen Pantoffeln schallten; jetzt drückte Martin einen heftigen Kuß auf Trudens Lippen, sie gab ihn ihm zurück und legte ihre Hände dabei auf seine Schultern, dann riß sie sich los und Martin trat in die Nacht<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0037]
wieder eine Lüge, eine Prahlerei erlaubte, um die Speise zu würzen: so wollte er Scharmützel zu Schlachten, Plänkeleien zu Attaken erheben, von Andern Gehörtes gab er für Selbsterlebtes aus, kurz, er erreichte seinen Zweck — jede Kugel hörte Trude durch die Lüfte pfeifen, von der er erzählte, sie sei an seinem Kopfe vorbeigeflogen, sie stürmte, sie focht mit, wenn er von eingenommenen Festungen sprach, welche er zuerst erklommen. Als er fertig war, oder sich zu neuen Erzählungen sammelte, warf Vater Ignaz, welcher schweigsam und emsig fortarbeitend zugehört und nur hie und da mit dem Kopfe geschüttelt hatte, die Bemerkung hin: Und doch nur Gefreiter? Martin schoß das Blut ins Gesicht, er antwortete aber schnell: In einer Armee, wo jeder Gemeine verdiente, Oberst zu werden, ist ein Gefreiter mehr als Gefreiter, mehr als anderwo ein Hauptmann! — Schuster Ignaz schwieg; Trude war von der geschickten Antwort ganz hin vor Begeisterung, sie glaubte an Martin wie an den Heiligen gleichen Namens. Als sie nach Hause ging, begleitete sie Martin, er nahm ihren Arm unter den seinigen und drückte sie fest an sich, er spürte ihr Herz klopfen, vor dem Thore des Gehöftes standen sie noch lange und wisperten, bis von innen die schweren Schritte Sommer Hansens mit den hölzernen Pantoffeln schallten; jetzt drückte Martin einen heftigen Kuß auf Trudens Lippen, sie gab ihn ihm zurück und legte ihre Hände dabei auf seine Schultern, dann riß sie sich los und Martin trat in die Nacht
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Zitationshilfe: | Reich, Moses Josef: Mammon im Gebirge. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 9. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–45. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/reich_mammon_1910/37>, abgerufen am 16.07.2024. |