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Reil, Johann Christian: Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen. Halle, 1803.

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einer Kanone, das Krachen des Donners und die
Amputation eines Gliedes erregt auch die trägste
Besonnenheit. Nicht leicht werden wir wie
Semler und Archimedes in unsern Medi-
tationen beharren, wenn das Haus brennt oder
der Feind in die Stadt eingedrungen ist. Den
Jüngling arretirt mitten in den ernsthaftesten Ge-
schäfften eine lebendige, den Künstler eine todte
Figur; der Correktor vergisst den Sinn der
Schrift, wenn er einen Druckfehler, der Gram-
matiker, wenn er einen Schnitzer in der Wort-
fügung ansichtig wird *). Doch müssen diese
Idiosyncrasieen ihre Grenze haben, wenn die
Besonnenheit innerhalb der Norm bleiben; ihr
muss eine Aufmerksamkeit zur Seite stehn, die
durch ein verständiges Interesse geleitet wird,
wenn sie als Mittel zur Glückseligkeit wirken
soll.

Die Besonnenheit kann auf mancherley Art
von der Norm abweichen. Ist die Reizbarkeit
des Seelenorgans zu stumpf, so schleichen schwa-
che Eindrücke unbemerkt vorüber; ist sie zu
zart, so entsteht Flatterhaftigkeit, und Kleinig-
keiten fesseln uns, in Beziehung auf ernsthafte
Gegenstände. Bald fehlt es an äusserer, bald an
innerer Besonnenheit, oder beide stehn nicht mit
einander in gehöriger Wechselwirkung. Doch
kann man sich eher aus dem Handel ziehn, wenn

*) Hoffbauer l. c. 1 Th. 5 - 31 S.

einer Kanone, das Krachen des Donners und die
Amputation eines Gliedes erregt auch die trägſte
Beſonnenheit. Nicht leicht werden wir wie
Semler und Archimedes in unſern Medi-
tationen beharren, wenn das Haus brennt oder
der Feind in die Stadt eingedrungen iſt. Den
Jüngling arretirt mitten in den ernſthafteſten Ge-
ſchäfften eine lebendige, den Künſtler eine todte
Figur; der Correktor vergiſst den Sinn der
Schrift, wenn er einen Druckfehler, der Gram-
matiker, wenn er einen Schnitzer in der Wort-
fügung anſichtig wird *). Doch müſſen dieſe
Idioſyncraſieen ihre Grenze haben, wenn die
Beſonnenheit innerhalb der Norm bleiben; ihr
muſs eine Aufmerkſamkeit zur Seite ſtehn, die
durch ein verſtändiges Intereſſe geleitet wird,
wenn ſie als Mittel zur Glückſeligkeit wirken
ſoll.

Die Beſonnenheit kann auf mancherley Art
von der Norm abweichen. Iſt die Reizbarkeit
des Seelenorgans zu ſtumpf, ſo ſchleichen ſchwa-
che Eindrücke unbemerkt vorüber; iſt ſie zu
zart, ſo entſteht Flatterhaftigkeit, und Kleinig-
keiten feſſeln uns, in Beziehung auf ernſthafte
Gegenſtände. Bald fehlt es an äuſserer, bald an
innerer Beſonnenheit, oder beide ſtehn nicht mit
einander in gehöriger Wechſelwirkung. Doch
kann man ſich eher aus dem Handel ziehn, wenn

*) Hoffbauer l. c. 1 Th. 5 ‒ 31 S.
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[102/0107] einer Kanone, das Krachen des Donners und die Amputation eines Gliedes erregt auch die trägſte Beſonnenheit. Nicht leicht werden wir wie Semler und Archimedes in unſern Medi- tationen beharren, wenn das Haus brennt oder der Feind in die Stadt eingedrungen iſt. Den Jüngling arretirt mitten in den ernſthafteſten Ge- ſchäfften eine lebendige, den Künſtler eine todte Figur; der Correktor vergiſst den Sinn der Schrift, wenn er einen Druckfehler, der Gram- matiker, wenn er einen Schnitzer in der Wort- fügung anſichtig wird *). Doch müſſen dieſe Idioſyncraſieen ihre Grenze haben, wenn die Beſonnenheit innerhalb der Norm bleiben; ihr muſs eine Aufmerkſamkeit zur Seite ſtehn, die durch ein verſtändiges Intereſſe geleitet wird, wenn ſie als Mittel zur Glückſeligkeit wirken ſoll. Die Beſonnenheit kann auf mancherley Art von der Norm abweichen. Iſt die Reizbarkeit des Seelenorgans zu ſtumpf, ſo ſchleichen ſchwa- che Eindrücke unbemerkt vorüber; iſt ſie zu zart, ſo entſteht Flatterhaftigkeit, und Kleinig- keiten feſſeln uns, in Beziehung auf ernſthafte Gegenſtände. Bald fehlt es an äuſserer, bald an innerer Beſonnenheit, oder beide ſtehn nicht mit einander in gehöriger Wechſelwirkung. Doch kann man ſich eher aus dem Handel ziehn, wenn *) Hoffbauer l. c. 1 Th. 5 ‒ 31 S.

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Zitationshilfe: Reil, Johann Christian: Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen. Halle, 1803, S. 102. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/reil_curmethode_1803/107>, abgerufen am 23.11.2024.