chischen Mittel sind grösstentheils alle von be- schränkterer Wirksamkeit und das Seelenorgan ist in dem nemlichen Grade, als es am weitesten von der todten Natur entfernt liegt, stärker individualisirt als der übrige Körper und beson- ders ist seine dynamische Temperatur in Geistes- zerrüttungen, von welchen hier die Rede ist, so veränderlich, dass es schwer wird, von demsel- ben eine feste Norm seiner Receptivität abzuson- dern. Der Arzt muss sich daher mit den allge- meinsten Beziehungen der absoluten Kräfte psychischer Mittel auf die Empfänglichkeit der Seele begnügen, dem Studium der individuellen Nervenorganisationen eifrig obliegen, beide nach den Regeln der Wahrscheinlichkeit, mit Hülfe seiner praktischen Fertigkeit, sich gegenseitig an- passen, und nach dem Erfolg es beurtheilen, in wiefern er sich für Fehlgriffe verwahrt habe.
So wie es für die Arzneien und chirurgi- schen Mittel eigene Wege, nemlich die äussere Fläche des Körpers und die Zugänge zur innern giebt, durch welche es allein möglich ist, sie mit dem Körper in Gemeinschaft zu bringen, so auch für die psychischen Mittel. Sie müssen der Seele durch das Gemeingefühl und die Sinnorgane, als den einzigen Zugängen zu ihr, mitgetheilt werden. Davon ist aber der Kranke ausgenommen, der sein eigner Seelenarzt ist. Dieser bedarf keiner Mittheilung von aussen, sondern er langt die Mittel zu seiner Genesung aus
chiſchen Mittel ſind gröſstentheils alle von be- ſchränkterer Wirkſamkeit und das Seelenorgan iſt in dem nemlichen Grade, als es am weiteſten von der todten Natur entfernt liegt, ſtärker individualiſirt als der übrige Körper und beſon- ders iſt ſeine dynamiſche Temperatur in Geiſtes- zerrüttungen, von welchen hier die Rede iſt, ſo veränderlich, daſs es ſchwer wird, von demſel- ben eine feſte Norm ſeiner Receptivität abzuſon- dern. Der Arzt muſs ſich daher mit den allge- meinſten Beziehungen der abſoluten Kräfte pſychiſcher Mittel auf die Empfänglichkeit der Seele begnügen, dem Studium der individuellen Nervenorganiſationen eifrig obliegen, beide nach den Regeln der Wahrſcheinlichkeit, mit Hülfe ſeiner praktiſchen Fertigkeit, ſich gegenſeitig an- paſſen, und nach dem Erfolg es beurtheilen, in wiefern er ſich für Fehlgriffe verwahrt habe.
So wie es für die Arzneien und chirurgi- ſchen Mittel eigene Wege, nemlich die äuſsere Fläche des Körpers und die Zugänge zur innern giebt, durch welche es allein möglich iſt, ſie mit dem Körper in Gemeinſchaft zu bringen, ſo auch für die pſychiſchen Mittel. Sie müſſen der Seele durch das Gemeingefühl und die Sinnorgane, als den einzigen Zugängen zu ihr, mitgetheilt werden. Davon iſt aber der Kranke ausgenommen, der ſein eigner Seelenarzt iſt. Dieſer bedarf keiner Mittheilung von auſsen, ſondern er langt die Mittel zu ſeiner Geneſung aus
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chiſchen Mittel ſind gröſstentheils alle von be-
ſchränkterer Wirkſamkeit und das Seelenorgan
iſt in dem nemlichen Grade, als es am weiteſten
von der todten Natur entfernt liegt, ſtärker
individualiſirt als der übrige Körper und beſon-
ders iſt ſeine dynamiſche Temperatur in Geiſtes-
zerrüttungen, von welchen hier die Rede iſt, ſo
veränderlich, daſs es ſchwer wird, von demſel-
ben eine feſte Norm ſeiner Receptivität abzuſon-
dern. Der Arzt muſs ſich daher mit den allge-
meinſten Beziehungen der abſoluten Kräfte
pſychiſcher Mittel auf die Empfänglichkeit der
Seele begnügen, dem Studium der individuellen
Nervenorganiſationen eifrig obliegen, beide nach
den Regeln der Wahrſcheinlichkeit, mit Hülfe
ſeiner praktiſchen Fertigkeit, ſich gegenſeitig an-
paſſen, und nach dem Erfolg es beurtheilen, in
wiefern er ſich für Fehlgriffe verwahrt habe.
So wie es für die Arzneien und chirurgi-
ſchen Mittel eigene Wege, nemlich die äuſsere
Fläche des Körpers und die Zugänge zur innern
giebt, durch welche es allein möglich iſt, ſie
mit dem Körper in Gemeinſchaft zu bringen, ſo
auch für die pſychiſchen Mittel. Sie müſſen der
Seele durch das Gemeingefühl und die
Sinnorgane, als den einzigen Zugängen zu
ihr, mitgetheilt werden. Davon iſt aber der
Kranke ausgenommen, der ſein eigner Seelenarzt
iſt. Dieſer bedarf keiner Mittheilung von auſsen,
ſondern er langt die Mittel zu ſeiner Geneſung aus
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Reil, Johann Christian: Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen. Halle, 1803, S. 149. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/reil_curmethode_1803/154>, abgerufen am 21.11.2024.
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