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Reil, Johann Christian: Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen. Halle, 1803.

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und Denkkräfte erschwert ist, unseren Begierden
unüberwindliche Schwierigkeiten im Wege stehen,
unsere Mängel uns vorgehalten werden, oder
unsere Aussenverhältnisse so beschaffen sind, dass
sie uns Nachtheile fürchten lassen. Ein starker
und schöner Körper, ein glänzender Verstand,
viele Erkenntnisse, das Bewusstseyn der Tugend
und solcher Aussenverhältnisse, die unsere Kräfte
vermehren und uns alle Mittel zur Befriedigung
unserer Wünsche anbieten, z. B. Ehre und Reich-
thum, vergnügen uns; das Gegentheil macht uns
Missvergnügen. Indess beurtheilt jeder Mensch
den Gehalt seiner Vollkommenheiten und die Be-
ziehungen der Welt auf sich nach seiner eigen-
thümlichen Ansicht. Daher können zwar die
Vorstellungen und Aussenverhältnisse von einerley
Art seyn, aber die dadurch erregten Gefühle sind
verschieden nach den Personen, in welchen sie
wirklich werden. Sind die geistigen Gefühle
rein geistig, oder werden die gleichzeitigen Erre-
gungen im Gehirn empfunden? Bringen Seelen-
reize, in deren Gefolge unangenehme Gefühle
entstehn, dieselben durch die erregten Vorstel-
lungen oder durch ein abnormes Spiel der Gehirn-
fasern hervor? Auf die letzte Art wirken wenig-
stens schmerzhafte Eindrücke aufs Gemeingefühl.
Sind sie blosse Ansichten der Zustände des Sub-
jects, an welchen das Objektive keinen weitern
Antheil hat, als dass es ohne diese Zustände nicht
wirklich werden kann? Dies übergehe ich, und

und Denkkräfte erſchwert iſt, unſeren Begierden
unüberwindliche Schwierigkeiten im Wege ſtehen,
unſere Mängel uns vorgehalten werden, oder
unſere Auſsenverhältniſſe ſo beſchaffen ſind, daſs
ſie uns Nachtheile fürchten laſſen. Ein ſtarker
und ſchöner Körper, ein glänzender Verſtand,
viele Erkenntniſſe, das Bewuſstſeyn der Tugend
und ſolcher Auſsenverhältniſſe, die unſere Kräfte
vermehren und uns alle Mittel zur Befriedigung
unſerer Wünſche anbieten, z. B. Ehre und Reich-
thum, vergnügen uns; das Gegentheil macht uns
Miſsvergnügen. Indeſs beurtheilt jeder Menſch
den Gehalt ſeiner Vollkommenheiten und die Be-
ziehungen der Welt auf ſich nach ſeiner eigen-
thümlichen Anſicht. Daher können zwar die
Vorſtellungen und Auſsenverhältniſſe von einerley
Art ſeyn, aber die dadurch erregten Gefühle ſind
verſchieden nach den Perſonen, in welchen ſie
wirklich werden. Sind die geiſtigen Gefühle
rein geiſtig, oder werden die gleichzeitigen Erre-
gungen im Gehirn empfunden? Bringen Seelen-
reize, in deren Gefolge unangenehme Gefühle
entſtehn, dieſelben durch die erregten Vorſtel-
lungen oder durch ein abnormes Spiel der Gehirn-
faſern hervor? Auf die letzte Art wirken wenig-
ſtens ſchmerzhafte Eindrücke aufs Gemeingefühl.
Sind ſie bloſse Anſichten der Zuſtände des Sub-
jects, an welchen das Objektive keinen weitern
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[159/0164] und Denkkräfte erſchwert iſt, unſeren Begierden unüberwindliche Schwierigkeiten im Wege ſtehen, unſere Mängel uns vorgehalten werden, oder unſere Auſsenverhältniſſe ſo beſchaffen ſind, daſs ſie uns Nachtheile fürchten laſſen. Ein ſtarker und ſchöner Körper, ein glänzender Verſtand, viele Erkenntniſſe, das Bewuſstſeyn der Tugend und ſolcher Auſsenverhältniſſe, die unſere Kräfte vermehren und uns alle Mittel zur Befriedigung unſerer Wünſche anbieten, z. B. Ehre und Reich- thum, vergnügen uns; das Gegentheil macht uns Miſsvergnügen. Indeſs beurtheilt jeder Menſch den Gehalt ſeiner Vollkommenheiten und die Be- ziehungen der Welt auf ſich nach ſeiner eigen- thümlichen Anſicht. Daher können zwar die Vorſtellungen und Auſsenverhältniſſe von einerley Art ſeyn, aber die dadurch erregten Gefühle ſind verſchieden nach den Perſonen, in welchen ſie wirklich werden. Sind die geiſtigen Gefühle rein geiſtig, oder werden die gleichzeitigen Erre- gungen im Gehirn empfunden? Bringen Seelen- reize, in deren Gefolge unangenehme Gefühle entſtehn, dieſelben durch die erregten Vorſtel- lungen oder durch ein abnormes Spiel der Gehirn- faſern hervor? Auf die letzte Art wirken wenig- ſtens ſchmerzhafte Eindrücke aufs Gemeingefühl. Sind ſie bloſse Anſichten der Zuſtände des Sub- jects, an welchen das Objektive keinen weitern Antheil hat, als daſs es ohne dieſe Zuſtände nicht wirklich werden kann? Dies übergehe ich, und

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Zitationshilfe: Reil, Johann Christian: Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen. Halle, 1803, S. 159. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/reil_curmethode_1803/164>, abgerufen am 21.11.2024.