Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Reil, Johann Christian: Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen. Halle, 1803.

Bild:
<< vorherige Seite

Erregungen beschränkt ist. Die Seele pflanzt den
angefangenen Zug nach ihrer eigenthümlichen
Stimmung fort; die ursprüngliche Erregung eines
Seelenvermögens springt schnell auf ein anderes
über; der letzte Effect ist der vorwaltende, der
ursprüngliche Kaum bemerkbar. Die unvermu-
thete Ansicht einer geliebten Person schlüpft
schnell durchs Vorstellungsvermögen zu den hef-
tigsten Gefühlen über. Die geistigen Gefühle ge-
hören zum Gefühlsvermögen; aber sie entstehn
durch Mittel, die die Einbildungskraft und den
Verstand erregen. Wohin sollen diese kommen?
Noch schwieriger ist es, sie nach ihrem absoluten
Gehalt zu ordnen. Symbole an sich sind leere
Begriffe, die erst durch ihre Beziehung Realität
bekommen. Ich habe es daher versucht, den
Inbegriff aller psychischen Mittel gleichsam nach
ihren vorwaltenden Bestandtheilen

zusammenzustellen; d. h. ich habe sie theils mit
Rücksicht auf ihre Natur an sich, theils mit Rück-
sicht ihres nächsten und direkten Effects auf die
Seele in bestimmte Classen abzutheilen gesucht.
Nach dieser Idee sind sie unter drey verschiedne
Ansichten geordnet und bey jedem einzelnen Mit-
tel muss dann die Bedingtheit seiner Wirksamkeit
angezeigt werden. Die erste Classe enthält
Mittel, die an sich materieller Natur sind, un-
mittelbar mit dem Körper des Kranken in Gemein-
schaft gebracht werden, und dies in der Absicht,
damit derselbe durch sie auf eine bestimmte Art

M 2

Erregungen beſchränkt iſt. Die Seele pflanzt den
angefangenen Zug nach ihrer eigenthümlichen
Stimmung fort; die urſprüngliche Erregung eines
Seelenvermögens ſpringt ſchnell auf ein anderes
über; der letzte Effect iſt der vorwaltende, der
urſprüngliche Kaum bemerkbar. Die unvermu-
thete Anſicht einer geliebten Perſon ſchlüpft
ſchnell durchs Vorſtellungsvermögen zu den hef-
tigſten Gefühlen über. Die geiſtigen Gefühle ge-
hören zum Gefühlsvermögen; aber ſie entſtehn
durch Mittel, die die Einbildungskraft und den
Verſtand erregen. Wohin ſollen dieſe kommen?
Noch ſchwieriger iſt es, ſie nach ihrem abſoluten
Gehalt zu ordnen. Symbole an ſich ſind leere
Begriffe, die erſt durch ihre Beziehung Realität
bekommen. Ich habe es daher verſucht, den
Inbegriff aller pſychiſchen Mittel gleichſam nach
ihren vorwaltenden Beſtandtheilen

zuſammenzuſtellen; d. h. ich habe ſie theils mit
Rückſicht auf ihre Natur an ſich, theils mit Rück-
ſicht ihres nächſten und direkten Effects auf die
Seele in beſtimmte Claſſen abzutheilen geſucht.
Nach dieſer Idee ſind ſie unter drey verſchiedne
Anſichten geordnet und bey jedem einzelnen Mit-
tel muſs dann die Bedingtheit ſeiner Wirkſamkeit
angezeigt werden. Die erſte Claſſe enthält
Mittel, die an ſich materieller Natur ſind, un-
mittelbar mit dem Körper des Kranken in Gemein-
ſchaft gebracht werden, und dies in der Abſicht,
damit derſelbe durch ſie auf eine beſtimmte Art

M 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0184" n="179"/>
Erregungen be&#x017F;chränkt i&#x017F;t. Die Seele pflanzt den<lb/>
angefangenen Zug nach ihrer eigenthümlichen<lb/>
Stimmung fort; die ur&#x017F;prüngliche Erregung eines<lb/>
Seelenvermögens &#x017F;pringt &#x017F;chnell auf ein anderes<lb/>
über; der letzte Effect i&#x017F;t der vorwaltende, der<lb/>
ur&#x017F;prüngliche Kaum bemerkbar. Die unvermu-<lb/>
thete An&#x017F;icht einer geliebten Per&#x017F;on &#x017F;chlüpft<lb/>
&#x017F;chnell durchs Vor&#x017F;tellungsvermögen zu den hef-<lb/>
tig&#x017F;ten Gefühlen über. Die gei&#x017F;tigen Gefühle ge-<lb/>
hören zum Gefühlsvermögen; aber &#x017F;ie ent&#x017F;tehn<lb/>
durch Mittel, die die Einbildungskraft und den<lb/>
Ver&#x017F;tand erregen. Wohin &#x017F;ollen die&#x017F;e kommen?<lb/>
Noch &#x017F;chwieriger i&#x017F;t es, &#x017F;ie nach ihrem ab&#x017F;oluten<lb/>
Gehalt zu ordnen. Symbole an &#x017F;ich &#x017F;ind leere<lb/>
Begriffe, die er&#x017F;t durch ihre Beziehung Realität<lb/>
bekommen. Ich habe es daher ver&#x017F;ucht, den<lb/>
Inbegriff aller p&#x017F;ychi&#x017F;chen Mittel gleich&#x017F;am <hi rendition="#g">nach<lb/>
ihren vorwaltenden Be&#x017F;tandtheilen</hi><lb/>
zu&#x017F;ammenzu&#x017F;tellen; d. h. ich habe &#x017F;ie theils mit<lb/>
Rück&#x017F;icht auf ihre Natur an &#x017F;ich, theils mit Rück-<lb/>
&#x017F;icht ihres näch&#x017F;ten und direkten Effects auf die<lb/>
Seele in be&#x017F;timmte Cla&#x017F;&#x017F;en abzutheilen ge&#x017F;ucht.<lb/>
Nach die&#x017F;er Idee &#x017F;ind &#x017F;ie unter <hi rendition="#g">drey</hi> ver&#x017F;chiedne<lb/>
An&#x017F;ichten geordnet und bey jedem einzelnen Mit-<lb/>
tel mu&#x017F;s dann die Bedingtheit &#x017F;einer Wirk&#x017F;amkeit<lb/>
angezeigt werden. Die <hi rendition="#g">er&#x017F;te Cla&#x017F;&#x017F;e</hi> enthält<lb/>
Mittel, die an &#x017F;ich materieller Natur &#x017F;ind, un-<lb/>
mittelbar mit dem Körper des Kranken in Gemein-<lb/>
&#x017F;chaft gebracht werden, und dies in der Ab&#x017F;icht,<lb/>
damit der&#x017F;elbe durch &#x017F;ie auf eine be&#x017F;timmte Art<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">M 2</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[179/0184] Erregungen beſchränkt iſt. Die Seele pflanzt den angefangenen Zug nach ihrer eigenthümlichen Stimmung fort; die urſprüngliche Erregung eines Seelenvermögens ſpringt ſchnell auf ein anderes über; der letzte Effect iſt der vorwaltende, der urſprüngliche Kaum bemerkbar. Die unvermu- thete Anſicht einer geliebten Perſon ſchlüpft ſchnell durchs Vorſtellungsvermögen zu den hef- tigſten Gefühlen über. Die geiſtigen Gefühle ge- hören zum Gefühlsvermögen; aber ſie entſtehn durch Mittel, die die Einbildungskraft und den Verſtand erregen. Wohin ſollen dieſe kommen? Noch ſchwieriger iſt es, ſie nach ihrem abſoluten Gehalt zu ordnen. Symbole an ſich ſind leere Begriffe, die erſt durch ihre Beziehung Realität bekommen. Ich habe es daher verſucht, den Inbegriff aller pſychiſchen Mittel gleichſam nach ihren vorwaltenden Beſtandtheilen zuſammenzuſtellen; d. h. ich habe ſie theils mit Rückſicht auf ihre Natur an ſich, theils mit Rück- ſicht ihres nächſten und direkten Effects auf die Seele in beſtimmte Claſſen abzutheilen geſucht. Nach dieſer Idee ſind ſie unter drey verſchiedne Anſichten geordnet und bey jedem einzelnen Mit- tel muſs dann die Bedingtheit ſeiner Wirkſamkeit angezeigt werden. Die erſte Claſſe enthält Mittel, die an ſich materieller Natur ſind, un- mittelbar mit dem Körper des Kranken in Gemein- ſchaft gebracht werden, und dies in der Abſicht, damit derſelbe durch ſie auf eine beſtimmte Art M 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/reil_curmethode_1803
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/reil_curmethode_1803/184
Zitationshilfe: Reil, Johann Christian: Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen. Halle, 1803, S. 179. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/reil_curmethode_1803/184>, abgerufen am 15.05.2024.