denen Umständen keine Realität hat. Sie kann sich auf einen bereits erreichten oder noch nicht er- reichten Zweck, dessen Hindernisse grösser oder geringer gedacht werden, auf ein erlittenes oder gefürchtetes Uebel beziehn, ein Gegenstand der Sehnsucht oder des Abscheus seyn. Die Idee fes- felt den Kranken durch ihr Interesse, aber auch ohne dasselbe, sofern sie ihm habituell geworden ist. Bald schwebt sie ihm immerhin gezwungen vor; er hasst sie, kann sie aber nicht losswerden, sie verfolgt ihn wie eine Furie, die ihn unglück- lich macht. Bald fesselt sie ihn durch ihr Inte- resse, sofern er ihr Object als Mittel zum Zweck, als ein Gut oder als ein Uebel denkt, das bereits realisirt oder noch gehofft und gefürchtet wird. Die Grösse des Interesses hängt entweder von dem eingebildeten oder von dem wahren Werth des Objects ab. Am meisten pflegen fixe Ideen zu interessiren, die sich auf Religion, Staatsverfas- sung, Ehre, Habe, Liebe, und Liebe für die eigne Gesundheit beziehn.
In der Regel bezieht sich die fixe Idee auf unerreichte Zwecke, auf Güter, die gehofft, auf Uebel, die gefürchtet werden. Die Hindernisse denkt sich der Kranke mehr oder weniger ent- fernbar, sucht sie bald in der Sache selbst, bald in sich oder in seinen Aussenverhältnissen. Da- von hängt ihr Einfluss auf seine Leidenschaften ab. Er verfällt in unthätige Traurigkeit und Ver- zweiflung, wenn sie einen Gegenstand des Ab-
denen Umſtänden keine Realität hat. Sie kann ſich auf einen bereits erreichten oder noch nicht er- reichten Zweck, deſſen Hinderniſſe gröſser oder geringer gedacht werden, auf ein erlittenes oder gefürchtetes Uebel beziehn, ein Gegenſtand der Sehnſucht oder des Abſcheus ſeyn. Die Idee feſ- felt den Kranken durch ihr Intereſſe, aber auch ohne daſſelbe, ſofern ſie ihm habituell geworden iſt. Bald ſchwebt ſie ihm immerhin gezwungen vor; er haſst ſie, kann ſie aber nicht loſswerden, ſie verfolgt ihn wie eine Furie, die ihn unglück- lich macht. Bald feſſelt ſie ihn durch ihr Inte- reſſe, ſofern er ihr Object als Mittel zum Zweck, als ein Gut oder als ein Uebel denkt, das bereits realiſirt oder noch gehofft und gefürchtet wird. Die Gröſse des Intereſſes hängt entweder von dem eingebildeten oder von dem wahren Werth des Objects ab. Am meiſten pflegen fixe Ideen zu intereſſiren, die ſich auf Religion, Staatsverfaſ- ſung, Ehre, Habe, Liebe, und Liebe für die eigne Geſundheit beziehn.
In der Regel bezieht ſich die fixe Idee auf unerreichte Zwecke, auf Güter, die gehofft, auf Uebel, die gefürchtet werden. Die Hinderniſſe denkt ſich der Kranke mehr oder weniger ent- fernbar, ſucht ſie bald in der Sache ſelbſt, bald in ſich oder in ſeinen Auſsenverhältniſſen. Da- von hängt ihr Einfluſs auf ſeine Leidenſchaften ab. Er verfällt in unthätige Traurigkeit und Ver- zweiflung, wenn ſie einen Gegenſtand des Ab-
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denen Umſtänden keine Realität hat. Sie kann ſich
auf einen bereits erreichten oder noch nicht er-
reichten Zweck, deſſen Hinderniſſe gröſser oder
geringer gedacht werden, auf ein erlittenes oder
gefürchtetes Uebel beziehn, ein Gegenſtand der
Sehnſucht oder des Abſcheus ſeyn. Die Idee feſ-
felt den Kranken durch ihr Intereſſe, aber auch
ohne daſſelbe, ſofern ſie ihm habituell geworden
iſt. Bald ſchwebt ſie ihm immerhin gezwungen
vor; er haſst ſie, kann ſie aber nicht loſswerden,
ſie verfolgt ihn wie eine Furie, die ihn unglück-
lich macht. Bald feſſelt ſie ihn durch ihr Inte-
reſſe, ſofern er ihr Object als Mittel zum Zweck,
als ein Gut oder als ein Uebel denkt, das bereits
realiſirt oder noch gehofft und gefürchtet wird.
Die Gröſse des Intereſſes hängt entweder von
dem eingebildeten oder von dem wahren Werth
des Objects ab. Am meiſten pflegen fixe Ideen
zu intereſſiren, die ſich auf Religion, Staatsverfaſ-
ſung, Ehre, Habe, Liebe, und Liebe für die
eigne Geſundheit beziehn.
In der Regel bezieht ſich die fixe Idee auf
unerreichte Zwecke, auf Güter, die gehofft, auf
Uebel, die gefürchtet werden. Die Hinderniſſe
denkt ſich der Kranke mehr oder weniger ent-
fernbar, ſucht ſie bald in der Sache ſelbſt, bald
in ſich oder in ſeinen Auſsenverhältniſſen. Da-
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Er verfällt in unthätige Traurigkeit und Ver-
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Reil, Johann Christian: Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen. Halle, 1803, S. 311. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/reil_curmethode_1803/316>, abgerufen am 21.11.2024.
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