leicht an einem ganz anderen Wahn leiden, den- selben aber verheimlichen, und ihn durch eine angebliche Metamorphose ihres Körpers zu mas- kiren suchen. Meistens ist es besser, den Grillen des Kranken nicht zu widersprechen, sondern seinen Erzählungen Glauben beizumessen. Die projektirten Heilmittel finden sonst keinen Kredit. Dann sucht man ihn zu überreden, dass er seinen Gefühlen eine falsche Ursache unterschiebe. End- lich räumt man den Reiz weg, der aufs Gemein- gefühl wirkt, oder rektificirt das Organ dessel- ben, wenn es krank seyn sollte. Nur dann ist der Kranke radikal geheilt, wenn er sich über- zeugt hat, dass die Ursache ohne Grund sey, die er seinen Gefühlen unterschiebet. Einen Men- schen, der Hörner zu tragen glaubte, heilte sein Arzt dadurch, dass er Sägen und Messer hervor- langte, und insgeheim Hörner bey sich führte, die während des Sägens hinfielen. Der Kranke sprang geheilt von seinem Sitze auf *). Ein an- derer hielt sich für todt, und wollte deswegen nicht essen. Man setzte neben ihm einen Sarg mit einer scheinbaren Leiche, die sich aufrichtete und ass. Der Verrückte sah mit Erstaunen zu, dass auch die Todten essen, ass mit und wurde nachher geheilt **). Einen ähnlichen Kranken
*)Muratori l. c. 2 B. 12 S.
**)Fawzett über Melancholie, aus dem engl. Leipzig 1785. S. 38.
leicht an einem ganz anderen Wahn leiden, den- ſelben aber verheimlichen, und ihn durch eine angebliche Metamorphoſe ihres Körpers zu mas- kiren ſuchen. Meiſtens iſt es beſſer, den Grillen des Kranken nicht zu widerſprechen, ſondern ſeinen Erzählungen Glauben beizumeſſen. Die projektirten Heilmittel finden ſonſt keinen Kredit. Dann ſucht man ihn zu überreden, daſs er ſeinen Gefühlen eine falſche Urſache unterſchiebe. End- lich räumt man den Reiz weg, der aufs Gemein- gefühl wirkt, oder rektificirt das Organ deſſel- ben, wenn es krank ſeyn ſollte. Nur dann iſt der Kranke radikal geheilt, wenn er ſich über- zeugt hat, daſs die Urſache ohne Grund ſey, die er ſeinen Gefühlen unterſchiebet. Einen Men- ſchen, der Hörner zu tragen glaubte, heilte ſein Arzt dadurch, daſs er Sägen und Meſſer hervor- langte, und insgeheim Hörner bey ſich führte, die während des Sägens hinfielen. Der Kranke ſprang geheilt von ſeinem Sitze auf *). Ein an- derer hielt ſich für todt, und wollte deswegen nicht eſſen. Man ſetzte neben ihm einen Sarg mit einer ſcheinbaren Leiche, die ſich aufrichtete und aſs. Der Verrückte ſah mit Erſtaunen zu, daſs auch die Todten eſſen, aſs mit und wurde nachher geheilt **). Einen ähnlichen Kranken
*)Muratori l. c. 2 B. 12 S.
**)Fawzett über Melancholie, aus dem engl. Leipzig 1785. S. 38.
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leicht an einem ganz anderen Wahn leiden, den-
ſelben aber verheimlichen, und ihn durch eine
angebliche Metamorphoſe ihres Körpers zu mas-
kiren ſuchen. Meiſtens iſt es beſſer, den Grillen
des Kranken nicht zu widerſprechen, ſondern
ſeinen Erzählungen Glauben beizumeſſen. Die
projektirten Heilmittel finden ſonſt keinen Kredit.
Dann ſucht man ihn zu überreden, daſs er ſeinen
Gefühlen eine falſche Urſache unterſchiebe. End-
lich räumt man den Reiz weg, der aufs Gemein-
gefühl wirkt, oder rektificirt das Organ deſſel-
ben, wenn es krank ſeyn ſollte. Nur dann iſt
der Kranke radikal geheilt, wenn er ſich über-
zeugt hat, daſs die Urſache ohne Grund ſey, die
er ſeinen Gefühlen unterſchiebet. Einen Men-
ſchen, der Hörner zu tragen glaubte, heilte ſein
Arzt dadurch, daſs er Sägen und Meſſer hervor-
langte, und insgeheim Hörner bey ſich führte,
die während des Sägens hinfielen. Der Kranke
ſprang geheilt von ſeinem Sitze auf *). Ein an-
derer hielt ſich für todt, und wollte deswegen
nicht eſſen. Man ſetzte neben ihm einen Sarg
mit einer ſcheinbaren Leiche, die ſich aufrichtete
und aſs. Der Verrückte ſah mit Erſtaunen zu,
daſs auch die Todten eſſen, aſs mit und wurde
nachher geheilt **). Einen ähnlichen Kranken
*) Muratori l. c. 2 B. 12 S.
**) Fawzett über Melancholie, aus dem engl.
Leipzig 1785. S. 38.
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Reil, Johann Christian: Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen. Halle, 1803, S. 340. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/reil_curmethode_1803/345>, abgerufen am 21.11.2024.
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