bedauerte ihn, untersuchte die Magengegend und gab den Ort an, wo er den Wagen und die Rä- der, den Fuhrmann und die Pferde deutlich fühle. Der Kranke fasste Muth. Sein Arzt sprach von Apothekermitteln, die dergleichen Körper verkleinerten und gab ihm ein Brechmit- tel. Dem Kranken wurde übel, der Arzt führte ihn mit dem Kopf zum Fenster hinaus und als er eben im Vomiren begriffen war, fuhr ein Fuhr- mann mit einem Heuwagen zum Hofe hinaus, welchen der Kranke für den hielt, den er im Magen getragen hatte *). Ein anderer glaubte eine gläserne Nase zu haben, ging deswegen nicht aus, damit sie nicht verunglücken möchte und schlief in einem Stuhl. Sein Arzt schlug ihm zur Sicherheit ein Nasenfutteral vor, und als er dies anlegte, zerbrach er ein Glas, das er heimlich in der Hand führte. Der Kranke hielt die niederfallenden Glasscherben für Ruinen seiner Nase und war ausser sich. Der Arzt versi- cherte, die Natur habe die Glasnase durch eine neuhervorgedrungene fleischerne abgestossen, wie ohngefähr der permanente Zahn den Milchzahn fortschiebe. Er brachte den Spiegel, der Kranke sah noch eine Nase, jeder zupfte, bog und schlug daran; sie blieb stehn, und er war es zufrieden, statt der gläsernen eine dauerhaftere Nase von Fleisch bekommen zu haben.
*)Wenzel l. c. p. 37.
bedauerte ihn, unterſuchte die Magengegend und gab den Ort an, wo er den Wagen und die Rä- der, den Fuhrmann und die Pferde deutlich fühle. Der Kranke faſste Muth. Sein Arzt ſprach von Apothekermitteln, die dergleichen Körper verkleinerten und gab ihm ein Brechmit- tel. Dem Kranken wurde übel, der Arzt führte ihn mit dem Kopf zum Fenſter hinaus und als er eben im Vomiren begriffen war, fuhr ein Fuhr- mann mit einem Heuwagen zum Hofe hinaus, welchen der Kranke für den hielt, den er im Magen getragen hatte *). Ein anderer glaubte eine gläſerne Naſe zu haben, ging deswegen nicht aus, damit ſie nicht verunglücken möchte und ſchlief in einem Stuhl. Sein Arzt ſchlug ihm zur Sicherheit ein Naſenfutteral vor, und als er dies anlegte, zerbrach er ein Glas, das er heimlich in der Hand führte. Der Kranke hielt die niederfallenden Glasſcherben für Ruinen ſeiner Naſe und war auſser ſich. Der Arzt verſi- cherte, die Natur habe die Glasnaſe durch eine neuhervorgedrungene fleiſcherne abgeſtoſsen, wie ohngefähr der permanente Zahn den Milchzahn fortſchiebe. Er brachte den Spiegel, der Kranke ſah noch eine Naſe, jeder zupfte, bog und ſchlug daran; ſie blieb ſtehn, und er war es zufrieden, ſtatt der gläſernen eine dauerhaftere Naſe von Fleiſch bekommen zu haben.
*)Wenzel l. c. p. 37.
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der, den Fuhrmann und die Pferde deutlich
fühle. Der Kranke faſste Muth. Sein Arzt
ſprach von Apothekermitteln, die dergleichen
Körper verkleinerten und gab ihm ein Brechmit-
tel. Dem Kranken wurde übel, der Arzt führte
ihn mit dem Kopf zum Fenſter hinaus und als er
eben im Vomiren begriffen war, fuhr ein Fuhr-
mann mit einem Heuwagen zum Hofe hinaus,
welchen der Kranke für den hielt, den er im
Magen getragen hatte *). Ein anderer glaubte
eine gläſerne Naſe zu haben, ging deswegen
nicht aus, damit ſie nicht verunglücken möchte
und ſchlief in einem Stuhl. Sein Arzt ſchlug
ihm zur Sicherheit ein Naſenfutteral vor, und als
er dies anlegte, zerbrach er ein Glas, das er
heimlich in der Hand führte. Der Kranke
hielt die niederfallenden Glasſcherben für Ruinen
ſeiner Naſe und war auſser ſich. Der Arzt verſi-
cherte, die Natur habe die Glasnaſe durch eine
neuhervorgedrungene fleiſcherne abgeſtoſsen, wie
ohngefähr der permanente Zahn den Milchzahn
fortſchiebe. Er brachte den Spiegel, der Kranke
ſah noch eine Naſe, jeder zupfte, bog und ſchlug
daran; ſie blieb ſtehn, und er war es zufrieden,
ſtatt der gläſernen eine dauerhaftere Naſe von
Fleiſch bekommen zu haben.
*) Wenzel l. c. p. 37.
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Reil, Johann Christian: Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen. Halle, 1803, S. 342. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/reil_curmethode_1803/347>, abgerufen am 21.11.2024.
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