Reil, Johann Christian: Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen. Halle, 1803.Dem Blödsinnigen fehlt es an Aufmerk- Dem Blödſinnigen fehlt es an Aufmerk- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb facs="#f0411" n="406"/> <p>Dem Blödſinnigen fehlt es an <hi rendition="#g">Aufmerk-<lb/> ſamkeit, Beſonnenheit</hi> und <hi rendition="#g">Selbſtbe-<lb/> wuſstſeyn</hi>, in einem geringeren oder gröſse-<lb/> rem Grade. Der Mangel dieſer Seelenvermögen<lb/> iſt Wirkung oder vielmehr Urſache der Aſthenie<lb/> ſeines Verſtandes. Er faſst keinen Gegenſtand<lb/> ſcharf genug auf, oder ſtarrt auf einen hin und iſt<lb/> nicht im Stande auſser demſelben zu gleicher Zeit<lb/> irgend einen anderen zu beachten und mit gehöri-<lb/> ger Schnelligkeit von dem einen zu einem andern<lb/> fortzuſchreiten. Die frappanteſten Eindrücke<lb/> ſchleichen unbemerkt vor ſeinen Sinnen vorüber.<lb/> Der Beſuch fremder Perſonen ändert die gedan-<lb/> kenloſe Mine der Kretinen nicht. Es iſt daher<lb/> auch das erſte verdächtige Zeichen eines ange-<lb/> bohrnen Blödſinns, wenn das Kind auf keinem<lb/> Gegenſtand haftet. Noch gröſser iſt der Mangel<lb/> der Beſonnenheit und des Selbſtbewuſstſeyns. Be-<lb/> ſonnenheit ſetzt Extenſität der Aufmerkſamkeit<lb/> und ein ſchnelles Urtheil voraus, um aus der<lb/> Menge das Wichtige auszuheben. Wer nicht ein-<lb/> mal die Eindrücke der Welt wahrnimmt, iſt<lb/> noch weniger im Stande ſich von denſelben zu<lb/> unterſcheiden und jene Veränderungen als Verän-<lb/> derungen in ſich wahrzunehmen. Er faſst die<lb/> Theile ſeines Körpers nicht zur Individualität, und<lb/> ſeine pſychiſchen Verhältniſſe nicht zur Einheit<lb/> einer Perſon zuſammen, ſondern ſein ganzes We-<lb/> ſen ſchwimmt in Trümmern, wie ein aufgelöſtes<lb/> Schiff, im Univerſum herum. Er fühlt Schmer-<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [406/0411]
Dem Blödſinnigen fehlt es an Aufmerk-
ſamkeit, Beſonnenheit und Selbſtbe-
wuſstſeyn, in einem geringeren oder gröſse-
rem Grade. Der Mangel dieſer Seelenvermögen
iſt Wirkung oder vielmehr Urſache der Aſthenie
ſeines Verſtandes. Er faſst keinen Gegenſtand
ſcharf genug auf, oder ſtarrt auf einen hin und iſt
nicht im Stande auſser demſelben zu gleicher Zeit
irgend einen anderen zu beachten und mit gehöri-
ger Schnelligkeit von dem einen zu einem andern
fortzuſchreiten. Die frappanteſten Eindrücke
ſchleichen unbemerkt vor ſeinen Sinnen vorüber.
Der Beſuch fremder Perſonen ändert die gedan-
kenloſe Mine der Kretinen nicht. Es iſt daher
auch das erſte verdächtige Zeichen eines ange-
bohrnen Blödſinns, wenn das Kind auf keinem
Gegenſtand haftet. Noch gröſser iſt der Mangel
der Beſonnenheit und des Selbſtbewuſstſeyns. Be-
ſonnenheit ſetzt Extenſität der Aufmerkſamkeit
und ein ſchnelles Urtheil voraus, um aus der
Menge das Wichtige auszuheben. Wer nicht ein-
mal die Eindrücke der Welt wahrnimmt, iſt
noch weniger im Stande ſich von denſelben zu
unterſcheiden und jene Veränderungen als Verän-
derungen in ſich wahrzunehmen. Er faſst die
Theile ſeines Körpers nicht zur Individualität, und
ſeine pſychiſchen Verhältniſſe nicht zur Einheit
einer Perſon zuſammen, ſondern ſein ganzes We-
ſen ſchwimmt in Trümmern, wie ein aufgelöſtes
Schiff, im Univerſum herum. Er fühlt Schmer-
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