Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Reil, Johann Christian: Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen. Halle, 1803.

Bild:
<< vorherige Seite

an einem positiven Maassstabe fehlt, so muss immer
dem Gutdünken des Schiedsrichters und seinem
praktischen Ermessen ein ansehnlicher Spielraum
offen gelassen werden.

In Rücksicht der Art, wie sich die
Verstandesschwäche äussert
, unterschei-
den wir Dummheit und Blödsinn im en-
geren Sinn
. Die Frage, ob diese Differenz
specifisch oder zufällig sey *), übergehe ich, weil
sie aus der Nosologie des Blödsinns entwickelt
werden muss, von der wir nichts wissen. Ich
bemerke bloss, dass beide Differenzen unter dem
höheren Begriff der psychischen Asthenieen stehen,
welches Herr Hoffbauer **) selbst zugiebt, und
es von keiner so grossen Bedeutung sey, ob wir die
unter diesen Begriff gefassten Differenzen, wenn
sie nur richtig bestimmt sind, Arten oder Varie-
täten nennen wollen. Bey dem Dummen scheint
die Asthenie vorzüglich ursprünglich in dem Ver-
stande selbst, bey dem Blödsinnigen allgemein in
allen Seelenvermögen zu liegen ***). Der Blöd-

*) Hoffbauer l. c. 2 B. 84 S.
**) l. c. 2 B. 101 S.
***) Der Blödsinnige befindet sich in einer grossen
Ohnmacht des Gedächtnisses, der Vernunft und
gemeiniglich auch sogar der sinnlichen Empfin-
dungen. Dieses Uebel ist meistentheils unheil-
bar. Denn wenn es schwer ist, die wilden Un-
ordnungen des gestörten Gehirns zu heben, so
muss es beinahe unmöglich seyn, in seine er-

an einem poſitiven Maaſsſtabe fehlt, ſo muſs immer
dem Gutdünken des Schiedsrichters und ſeinem
praktiſchen Ermeſſen ein anſehnlicher Spielraum
offen gelaſſen werden.

In Rückſicht der Art, wie ſich die
Verſtandesſchwäche äuſsert
, unterſchei-
den wir Dummheit und Blödſinn im en-
geren Sinn
. Die Frage, ob dieſe Differenz
ſpecifiſch oder zufällig ſey *), übergehe ich, weil
ſie aus der Noſologie des Blödſinns entwickelt
werden muſs, von der wir nichts wiſſen. Ich
bemerke bloſs, daſs beide Differenzen unter dem
höheren Begriff der pſychiſchen Aſthenieen ſtehen,
welches Herr Hoffbauer **) ſelbſt zugiebt, und
es von keiner ſo groſsen Bedeutung ſey, ob wir die
unter dieſen Begriff gefaſsten Differenzen, wenn
ſie nur richtig beſtimmt ſind, Arten oder Varie-
täten nennen wollen. Bey dem Dummen ſcheint
die Aſthenie vorzüglich urſprünglich in dem Ver-
ſtande ſelbſt, bey dem Blödſinnigen allgemein in
allen Seelenvermögen zu liegen ***). Der Blöd-

*) Hoffbauer l. c. 2 B. 84 S.
**) l. c. 2 B. 101 S.
***) Der Blödſinnige befindet ſich in einer groſsen
Ohnmacht des Gedächtniſſes, der Vernunft und
gemeiniglich auch ſogar der ſinnlichen Empfin-
dungen. Dieſes Uebel iſt meiſtentheils unheil-
bar. Denn wenn es ſchwer iſt, die wilden Un-
ordnungen des geſtörten Gehirns zu heben, ſo
muſs es beinahe unmöglich ſeyn, in ſeine er-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0426" n="421"/>
an einem po&#x017F;itiven Maa&#x017F;s&#x017F;tabe fehlt, &#x017F;o mu&#x017F;s immer<lb/>
dem Gutdünken des Schiedsrichters und &#x017F;einem<lb/>
prakti&#x017F;chen Erme&#x017F;&#x017F;en ein an&#x017F;ehnlicher Spielraum<lb/>
offen gela&#x017F;&#x017F;en werden.</p><lb/>
            <p>In Rück&#x017F;icht <hi rendition="#g">der Art, wie &#x017F;ich die<lb/>
Ver&#x017F;tandes&#x017F;chwäche äu&#x017F;sert</hi>, unter&#x017F;chei-<lb/>
den wir <hi rendition="#g">Dummheit</hi> und <hi rendition="#g">Blöd&#x017F;inn im en-<lb/>
geren Sinn</hi>. Die Frage, ob die&#x017F;e Differenz<lb/>
&#x017F;pecifi&#x017F;ch oder zufällig &#x017F;ey <note place="foot" n="*)"><hi rendition="#g">Hoffbauer</hi> l. c. 2 B. 84 S.</note>, übergehe ich, weil<lb/>
&#x017F;ie aus der No&#x017F;ologie des Blöd&#x017F;inns entwickelt<lb/>
werden mu&#x017F;s, von der wir nichts wi&#x017F;&#x017F;en. Ich<lb/>
bemerke blo&#x017F;s, da&#x017F;s beide Differenzen unter dem<lb/>
höheren Begriff der p&#x017F;ychi&#x017F;chen A&#x017F;thenieen &#x017F;tehen,<lb/>
welches Herr <hi rendition="#g">Hoffbauer</hi> <note place="foot" n="**)">l. c. 2 B. 101 S.</note> &#x017F;elb&#x017F;t zugiebt, und<lb/>
es von keiner &#x017F;o gro&#x017F;sen Bedeutung &#x017F;ey, ob wir die<lb/>
unter die&#x017F;en Begriff gefa&#x017F;sten Differenzen, wenn<lb/>
&#x017F;ie nur richtig be&#x017F;timmt &#x017F;ind, Arten oder Varie-<lb/>
täten nennen wollen. Bey dem Dummen &#x017F;cheint<lb/>
die A&#x017F;thenie vorzüglich ur&#x017F;prünglich in dem Ver-<lb/>
&#x017F;tande &#x017F;elb&#x017F;t, bey dem Blöd&#x017F;innigen allgemein in<lb/>
allen Seelenvermögen zu liegen <note xml:id="seg2pn_10_1" next="#seg2pn_10_2" place="foot" n="***)">Der Blöd&#x017F;innige befindet &#x017F;ich in einer gro&#x017F;sen<lb/>
Ohnmacht des Gedächtni&#x017F;&#x017F;es, der Vernunft und<lb/>
gemeiniglich auch &#x017F;ogar der &#x017F;innlichen Empfin-<lb/>
dungen. Die&#x017F;es Uebel i&#x017F;t mei&#x017F;tentheils unheil-<lb/>
bar. Denn wenn es &#x017F;chwer i&#x017F;t, die wilden Un-<lb/>
ordnungen des ge&#x017F;törten Gehirns zu heben, &#x017F;o<lb/>
mu&#x017F;s es beinahe unmöglich &#x017F;eyn, in &#x017F;eine er-</note>. Der Blöd-<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[421/0426] an einem poſitiven Maaſsſtabe fehlt, ſo muſs immer dem Gutdünken des Schiedsrichters und ſeinem praktiſchen Ermeſſen ein anſehnlicher Spielraum offen gelaſſen werden. In Rückſicht der Art, wie ſich die Verſtandesſchwäche äuſsert, unterſchei- den wir Dummheit und Blödſinn im en- geren Sinn. Die Frage, ob dieſe Differenz ſpecifiſch oder zufällig ſey *), übergehe ich, weil ſie aus der Noſologie des Blödſinns entwickelt werden muſs, von der wir nichts wiſſen. Ich bemerke bloſs, daſs beide Differenzen unter dem höheren Begriff der pſychiſchen Aſthenieen ſtehen, welches Herr Hoffbauer **) ſelbſt zugiebt, und es von keiner ſo groſsen Bedeutung ſey, ob wir die unter dieſen Begriff gefaſsten Differenzen, wenn ſie nur richtig beſtimmt ſind, Arten oder Varie- täten nennen wollen. Bey dem Dummen ſcheint die Aſthenie vorzüglich urſprünglich in dem Ver- ſtande ſelbſt, bey dem Blödſinnigen allgemein in allen Seelenvermögen zu liegen ***). Der Blöd- *) Hoffbauer l. c. 2 B. 84 S. **) l. c. 2 B. 101 S. ***) Der Blödſinnige befindet ſich in einer groſsen Ohnmacht des Gedächtniſſes, der Vernunft und gemeiniglich auch ſogar der ſinnlichen Empfin- dungen. Dieſes Uebel iſt meiſtentheils unheil- bar. Denn wenn es ſchwer iſt, die wilden Un- ordnungen des geſtörten Gehirns zu heben, ſo muſs es beinahe unmöglich ſeyn, in ſeine er-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/reil_curmethode_1803
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/reil_curmethode_1803/426
Zitationshilfe: Reil, Johann Christian: Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen. Halle, 1803, S. 421. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/reil_curmethode_1803/426>, abgerufen am 29.05.2024.