schlechts. Oft ist die Ursache der anhaltenden Stumpfheit des Gehirns unbekannt; vielleicht dem unthätigen Zustande der Gebährmutter vor der Pubertät und im Alter analog. Auch diese Blöd- sinnige können plötzlich von ihrer Krankheit be- freit werden. Irgend eine merkwürdige Umwäl- zung in der Organisation, z. B. das Geschäfft der Pubertät, kann ihre Seelenkräfte aus dem Schlum- mer wecken. Ein Blödsinniger, erzählt Wil- lis*), bekam nach einem bösen Gefässfieber so- viel Genie, dass er alle in Erstaunen setzte, die ihn vorher gekannt hatten. Einige leiden Rück- fälle in der heissen Jahrszeit; andere, besonders junge Personen sind Monate, ja Jahre lang blöd- sinnig und verfallen dann plötzlich in eine Rase- rey, die zwanzig bis dreissig Tage dauert. Nach dieser gewaltsamen Erschütterung erfolgt Wieder- kehr der Vernunft **). Ein junger Soldat musste gleich nach seiner Ankunft bey der Armee einer blutigen Action beiwohnen und kam durch das Krachen der Artillerie um seinen Verstand. Man liess ihm Blut, die Bandage ging auf, er verlohr noch mehr Blut und verfiel in Blödsinn. Nach einiger Zeit zeigten sich Spuren von Raserey, die achtzehn Tage dauerte. Dann wurde er ruhig und mit dem Ende derselben kehrte der Verstand zurück ***).
*)Chiarugi l. c. 438 S.
**)Pinel l. c. 42 u. 188 S.
***)Pinel l. c. 92 S.
ſchlechts. Oft iſt die Urſache der anhaltenden Stumpfheit des Gehirns unbekannt; vielleicht dem unthätigen Zuſtande der Gebährmutter vor der Pubertät und im Alter analog. Auch dieſe Blöd- ſinnige können plötzlich von ihrer Krankheit be- freit werden. Irgend eine merkwürdige Umwäl- zung in der Organiſation, z. B. das Geſchäfft der Pubertät, kann ihre Seelenkräfte aus dem Schlum- mer wecken. Ein Blödſinniger, erzählt Wil- lis*), bekam nach einem böſen Gefäſsfieber ſo- viel Genie, daſs er alle in Erſtaunen ſetzte, die ihn vorher gekannt hatten. Einige leiden Rück- fälle in der heiſsen Jahrszeit; andere, beſonders junge Perſonen ſind Monate, ja Jahre lang blöd- ſinnig und verfallen dann plötzlich in eine Raſe- rey, die zwanzig bis dreiſsig Tage dauert. Nach dieſer gewaltſamen Erſchütterung erfolgt Wieder- kehr der Vernunft **). Ein junger Soldat muſste gleich nach ſeiner Ankunft bey der Armee einer blutigen Action beiwohnen und kam durch das Krachen der Artillerie um ſeinen Verſtand. Man lieſs ihm Blut, die Bandage ging auf, er verlohr noch mehr Blut und verfiel in Blödſinn. Nach einiger Zeit zeigten ſich Spuren von Raſerey, die achtzehn Tage dauerte. Dann wurde er ruhig und mit dem Ende derſelben kehrte der Verſtand zurück ***).
*)Chiarugi l. c. 438 S.
**)Pinel l. c. 42 u. 188 S.
***)Pinel l. c. 92 S.
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ſchlechts. Oft iſt die Urſache der anhaltenden
Stumpfheit des Gehirns unbekannt; vielleicht dem
unthätigen Zuſtande der Gebährmutter vor der
Pubertät und im Alter analog. Auch dieſe Blöd-
ſinnige können plötzlich von ihrer Krankheit be-
freit werden. Irgend eine merkwürdige Umwäl-
zung in der Organiſation, z. B. das Geſchäfft der
Pubertät, kann ihre Seelenkräfte aus dem Schlum-
mer wecken. Ein Blödſinniger, erzählt Wil-
lis *), bekam nach einem böſen Gefäſsfieber ſo-
viel Genie, daſs er alle in Erſtaunen ſetzte, die
ihn vorher gekannt hatten. Einige leiden Rück-
fälle in der heiſsen Jahrszeit; andere, beſonders
junge Perſonen ſind Monate, ja Jahre lang blöd-
ſinnig und verfallen dann plötzlich in eine Raſe-
rey, die zwanzig bis dreiſsig Tage dauert. Nach
dieſer gewaltſamen Erſchütterung erfolgt Wieder-
kehr der Vernunft **). Ein junger Soldat muſste
gleich nach ſeiner Ankunft bey der Armee einer
blutigen Action beiwohnen und kam durch das
Krachen der Artillerie um ſeinen Verſtand. Man
lieſs ihm Blut, die Bandage ging auf, er verlohr
noch mehr Blut und verfiel in Blödſinn. Nach
einiger Zeit zeigten ſich Spuren von Raſerey, die
achtzehn Tage dauerte. Dann wurde er ruhig
und mit dem Ende derſelben kehrte der Verſtand
zurück ***).
*) Chiarugi l. c. 438 S.
**) Pinel l. c. 42 u. 188 S.
***) Pinel l. c. 92 S.
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Reil, Johann Christian: Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen. Halle, 1803, S. 428. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/reil_curmethode_1803/433>, abgerufen am 22.11.2024.
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