Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Reil, Johann Christian: Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen. Halle, 1803.

Bild:
<< vorherige Seite

und moralischen Mitteln, die zur Heilung der
Kranken erfordert werden. Welcher Kopf ist
im Stande, ein Krankenhaus und zugleich ein
Narrenhaus mit nöthiger Schärfe zu beachten!
Irrende, die noch einige Besonnenheit haben, müs-
sen vollends rasend werden über die Unvernunft
ihrer Nebenmenschen, die sie mit Dieben und
Mördern in eine Klasse zusammenstellen. Die
Zuchtknechte, Stockmeister und Diebeswärter
sind meistens rohe Menschen, bey denen Barba-
rey an der Tagesordnung steht, und welche oben-
drein diese Unglücklichen als eine lästige Bür-
de ihrer Amtspflichten betrachten, die sie, um
sie auf die kürzeste Art zu besorgen, in feuchte
Gewölbe, Gefängnisse und in die Kellergeschosse
ihrer Anstalten einsperren. Das nächtliche Ge-
brüll der Rasenden und das Geklirre der Ketten
hallt Tag und Nacht in den langen Gassen wie-
der, in welchen Käfig an Käfig stösst, und bringt
jeden neuen Ankömmling bald um das Bischen
Verstand, das ihm etwan noch übrig ist.

Und doch sind Irrenhäuser, wie bereits
oben bemerkt ist, in der Regel nothwendige Er-
fordernisse zur Kur der Irrenden. In keinem
Privathause kann der Umfang psychischer und
physischer Mittel zu ihrer Heilung in der Voll-
kommenheit geschafft werden, als in einem Ir-
renhause. Die Kranken werden entfernt von
den Gegenständen, die sie immer von neuem an
ihre fixen Ideen erinnern. Sie sind umringt von

und moraliſchen Mitteln, die zur Heilung der
Kranken erfordert werden. Welcher Kopf iſt
im Stande, ein Krankenhaus und zugleich ein
Narrenhaus mit nöthiger Schärfe zu beachten!
Irrende, die noch einige Beſonnenheit haben, müſ-
ſen vollends raſend werden über die Unvernunft
ihrer Nebenmenſchen, die ſie mit Dieben und
Mördern in eine Klaſſe zuſammenſtellen. Die
Zuchtknechte, Stockmeiſter und Diebeswärter
ſind meiſtens rohe Menſchen, bey denen Barba-
rey an der Tagesordnung ſteht, und welche oben-
drein dieſe Unglücklichen als eine läſtige Bür-
de ihrer Amtspflichten betrachten, die ſie, um
ſie auf die kürzeſte Art zu beſorgen, in feuchte
Gewölbe, Gefängniſſe und in die Kellergeſchoſſe
ihrer Anſtalten einſperren. Das nächtliche Ge-
brüll der Raſenden und das Geklirre der Ketten
hallt Tag und Nacht in den langen Gaſſen wie-
der, in welchen Käfig an Käfig ſtöſst, und bringt
jeden neuen Ankömmling bald um das Bischen
Verſtand, das ihm etwan noch übrig iſt.

Und doch ſind Irrenhäuſer, wie bereits
oben bemerkt iſt, in der Regel nothwendige Er-
forderniſſe zur Kur der Irrenden. In keinem
Privathauſe kann der Umfang pſychiſcher und
phyſiſcher Mittel zu ihrer Heilung in der Voll-
kommenheit geſchafft werden, als in einem Ir-
renhauſe. Die Kranken werden entfernt von
den Gegenſtänden, die ſie immer von neuem an
ihre fixen Ideen erinnern. Sie ſind umringt von

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0460" n="455"/>
und morali&#x017F;chen Mitteln, die zur Heilung der<lb/>
Kranken erfordert werden. Welcher Kopf i&#x017F;t<lb/>
im Stande, ein Krankenhaus und zugleich ein<lb/>
Narrenhaus mit nöthiger Schärfe zu beachten!<lb/>
Irrende, die noch einige Be&#x017F;onnenheit haben, mü&#x017F;-<lb/>
&#x017F;en vollends ra&#x017F;end werden über die Unvernunft<lb/>
ihrer Nebenmen&#x017F;chen, die &#x017F;ie mit Dieben und<lb/>
Mördern in eine Kla&#x017F;&#x017F;e zu&#x017F;ammen&#x017F;tellen. Die<lb/>
Zuchtknechte, Stockmei&#x017F;ter und Diebeswärter<lb/>
&#x017F;ind mei&#x017F;tens rohe Men&#x017F;chen, bey denen Barba-<lb/>
rey an der Tagesordnung &#x017F;teht, und welche oben-<lb/>
drein die&#x017F;e Unglücklichen als eine lä&#x017F;tige Bür-<lb/>
de ihrer Amtspflichten betrachten, die &#x017F;ie, um<lb/>
&#x017F;ie auf die kürze&#x017F;te Art zu be&#x017F;orgen, in feuchte<lb/>
Gewölbe, Gefängni&#x017F;&#x017F;e und in die Kellerge&#x017F;cho&#x017F;&#x017F;e<lb/>
ihrer An&#x017F;talten ein&#x017F;perren. Das nächtliche Ge-<lb/>
brüll der Ra&#x017F;enden und das Geklirre der Ketten<lb/>
hallt Tag und Nacht in den langen Ga&#x017F;&#x017F;en wie-<lb/>
der, in welchen Käfig an Käfig &#x017F;&#x017F;st, und bringt<lb/>
jeden neuen Ankömmling bald um das Bischen<lb/>
Ver&#x017F;tand, das ihm etwan noch übrig i&#x017F;t.</p><lb/>
          <p>Und doch &#x017F;ind Irrenhäu&#x017F;er, wie bereits<lb/>
oben bemerkt i&#x017F;t, in der Regel nothwendige Er-<lb/>
forderni&#x017F;&#x017F;e zur Kur der Irrenden. In keinem<lb/>
Privathau&#x017F;e kann der Umfang p&#x017F;ychi&#x017F;cher und<lb/>
phy&#x017F;i&#x017F;cher Mittel zu ihrer Heilung in der Voll-<lb/>
kommenheit ge&#x017F;chafft werden, als in einem Ir-<lb/>
renhau&#x017F;e. Die Kranken werden entfernt von<lb/>
den Gegen&#x017F;tänden, die &#x017F;ie immer von neuem an<lb/>
ihre fixen Ideen erinnern. Sie &#x017F;ind umringt von<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[455/0460] und moraliſchen Mitteln, die zur Heilung der Kranken erfordert werden. Welcher Kopf iſt im Stande, ein Krankenhaus und zugleich ein Narrenhaus mit nöthiger Schärfe zu beachten! Irrende, die noch einige Beſonnenheit haben, müſ- ſen vollends raſend werden über die Unvernunft ihrer Nebenmenſchen, die ſie mit Dieben und Mördern in eine Klaſſe zuſammenſtellen. Die Zuchtknechte, Stockmeiſter und Diebeswärter ſind meiſtens rohe Menſchen, bey denen Barba- rey an der Tagesordnung ſteht, und welche oben- drein dieſe Unglücklichen als eine läſtige Bür- de ihrer Amtspflichten betrachten, die ſie, um ſie auf die kürzeſte Art zu beſorgen, in feuchte Gewölbe, Gefängniſſe und in die Kellergeſchoſſe ihrer Anſtalten einſperren. Das nächtliche Ge- brüll der Raſenden und das Geklirre der Ketten hallt Tag und Nacht in den langen Gaſſen wie- der, in welchen Käfig an Käfig ſtöſst, und bringt jeden neuen Ankömmling bald um das Bischen Verſtand, das ihm etwan noch übrig iſt. Und doch ſind Irrenhäuſer, wie bereits oben bemerkt iſt, in der Regel nothwendige Er- forderniſſe zur Kur der Irrenden. In keinem Privathauſe kann der Umfang pſychiſcher und phyſiſcher Mittel zu ihrer Heilung in der Voll- kommenheit geſchafft werden, als in einem Ir- renhauſe. Die Kranken werden entfernt von den Gegenſtänden, die ſie immer von neuem an ihre fixen Ideen erinnern. Sie ſind umringt von

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/reil_curmethode_1803
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/reil_curmethode_1803/460
Zitationshilfe: Reil, Johann Christian: Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen. Halle, 1803, S. 455. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/reil_curmethode_1803/460>, abgerufen am 22.11.2024.