sten Triebfedern der Verkehrtheit auszuspähn; Schnelligkeit im Auffassen der Gegenstände, im Entschliessen und Inprovisiren, um jedes momen- tane Ereigniss zu nützen; Muth, um die erschüt- terndesten Scenen auszuhalten; Geduld und Be- harrlichkeit, um die misslungnen Versuche solang zu wiederholen, bis sie zum Zweck führen. Der ganze Vorrath von Kenntnissen, von allgemei- ner Menschenkenntniss, Philosophie, Psycholo- gie und Arzneykunde stehe ihnen zu Gebot, der zur Ausübung ihres Fachs erfordert wird. Da- bey fehle es ihnen nicht an Uebung, ihre Kennt- nisse auf concrete Fälle, Behufs des Zwecks der Heilung Irrender, anzuwenden. Ihr Charakter sey unbescholten, ihr Herz edel; Menschenliebe und Pflichtgefühl leite jeden ihrer Schritte; fern sey aller Eigennutz, Liebe für die Kunst und Trieb, das vorgesteckte Ziel zu erreichen, belebe ihre Thätigkeit. Sanftmuth und Ernst wech- sele auf ihrem Gesicht, wie die Umstände es wollen; ihr Herz sey so fern von kalter Barba- rey als von ohnmächtiger Gelindigkeit. Durch Ueberlegenheit ihrer Talente, Mässigung ihrer Leidenschaften und durch Würde in ihrem Betra- gen sollen sie sich die Liebe und Achtung der Ir- renden erwerben. Furcht, als Folge einer tyranni- schen Behandlung, ist mit Hass und Verachtung gepaart. Meistens sind die Verrückten noch klug genug, die Schwäche und den Unverstand ihrer Vorgesetzten bemerken zu können. Ihre Rede
ſten Triebfedern der Verkehrtheit auszuſpähn; Schnelligkeit im Auffaſſen der Gegenſtände, im Entſchlieſsen und Inproviſiren, um jedes momen- tane Ereigniſs zu nützen; Muth, um die erſchüt- terndeſten Scenen auszuhalten; Geduld und Be- harrlichkeit, um die miſslungnen Verſuche ſolang zu wiederholen, bis ſie zum Zweck führen. Der ganze Vorrath von Kenntniſſen, von allgemei- ner Menſchenkenntniſs, Philoſophie, Pſycholo- gie und Arzneykunde ſtehe ihnen zu Gebot, der zur Ausübung ihres Fachs erfordert wird. Da- bey fehle es ihnen nicht an Uebung, ihre Kennt- niſſe auf concrete Fälle, Behufs des Zwecks der Heilung Irrender, anzuwenden. Ihr Charakter ſey unbeſcholten, ihr Herz edel; Menſchenliebe und Pflichtgefühl leite jeden ihrer Schritte; fern ſey aller Eigennutz, Liebe für die Kunſt und Trieb, das vorgeſteckte Ziel zu erreichen, belebe ihre Thätigkeit. Sanftmuth und Ernſt wech- ſele auf ihrem Geſicht, wie die Umſtände es wollen; ihr Herz ſey ſo fern von kalter Barba- rey als von ohnmächtiger Gelindigkeit. Durch Ueberlegenheit ihrer Talente, Mäſsigung ihrer Leidenſchaften und durch Würde in ihrem Betra- gen ſollen ſie ſich die Liebe und Achtung der Ir- renden erwerben. Furcht, als Folge einer tyranni- ſchen Behandlung, iſt mit Haſs und Verachtung gepaart. Meiſtens ſind die Verrückten noch klug genug, die Schwäche und den Unverſtand ihrer Vorgeſetzten bemerken zu können. Ihre Rede
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ſten Triebfedern der Verkehrtheit auszuſpähn;
Schnelligkeit im Auffaſſen der Gegenſtände, im
Entſchlieſsen und Inproviſiren, um jedes momen-
tane Ereigniſs zu nützen; Muth, um die erſchüt-
terndeſten Scenen auszuhalten; Geduld und Be-
harrlichkeit, um die miſslungnen Verſuche ſolang
zu wiederholen, bis ſie zum Zweck führen. Der
ganze Vorrath von Kenntniſſen, von allgemei-
ner Menſchenkenntniſs, Philoſophie, Pſycholo-
gie und Arzneykunde ſtehe ihnen zu Gebot, der
zur Ausübung ihres Fachs erfordert wird. Da-
bey fehle es ihnen nicht an Uebung, ihre Kennt-
niſſe auf concrete Fälle, Behufs des Zwecks der
Heilung Irrender, anzuwenden. Ihr Charakter
ſey unbeſcholten, ihr Herz edel; Menſchenliebe
und Pflichtgefühl leite jeden ihrer Schritte; fern
ſey aller Eigennutz, Liebe für die Kunſt und
Trieb, das vorgeſteckte Ziel zu erreichen, belebe
ihre Thätigkeit. Sanftmuth und Ernſt wech-
ſele auf ihrem Geſicht, wie die Umſtände es
wollen; ihr Herz ſey ſo fern von kalter Barba-
rey als von ohnmächtiger Gelindigkeit. Durch
Ueberlegenheit ihrer Talente, Mäſsigung ihrer
Leidenſchaften und durch Würde in ihrem Betra-
gen ſollen ſie ſich die Liebe und Achtung der Ir-
renden erwerben. Furcht, als Folge einer tyranni-
ſchen Behandlung, iſt mit Haſs und Verachtung
gepaart. Meiſtens ſind die Verrückten noch klug
genug, die Schwäche und den Unverſtand ihrer
Vorgeſetzten bemerken zu können. Ihre Rede
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Reil, Johann Christian: Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen. Halle, 1803, S. 475. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/reil_curmethode_1803/480>, abgerufen am 22.11.2024.
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