gängelt wird. Nur hie und da weilt ein stiller Beobachter, der reines Geistes ist, und in hohen Gefühlen dich um deiner selbst willen zu um- armen strebt. Mit spähendem Blick irrt er durch die Räume deines unermesslichen Körpers zum Focus hin, von welchem deine Ströhmungen ins Weltall ausgehn, sich spalten und wieder zusam- menschmelzen, diesen Widerstreit der Kräfte durch alle Glieder, in den mannichfaltigsten Ver- zweigungen nachweisen, und den ewig regen Pulsschlag erhalten, der Leben in alle Adern der Natur ausgeusst. Er ist es, dieser Zwiespalt der Kräfte, der den Formentrieb im Chaos weckte, das Weltall zu Körpern ballte, ihnen die Bahn anwies, die sie Aeonen lang wandlen, dass sie nicht in todte Eissteppen sich zusammendrängen oder in den leeren Raum hinausranken und die Lichtmagnete der Milchstrasse als eine ungeheure Dunstwolke umlagern. Er ist es, in seinen zar- testen und verwickeltsten Verhältnissen, der den anorganischen Stoff hinaufsteigert aus der todten Welt in die belebte. Leises Schritts wandelt sie hier, die plastische Göttin Natur! und versucht sich zuerst, gleichsam sich selbst nicht trauend, in der einfachsten Forme der Organisation, die sie in den Polypen ausprägt. Eine organische Röhre, in ihr Vegetation und Gestalt, sich selbst Mittel und Zweck, ein beschlossenes Ganze, die erste und rohste Skitze der Individualität, ohne Reflektionspunkte, eine zitternde Gallert, die
gängelt wird. Nur hie und da weilt ein ſtiller Beobachter, der reines Geiſtes iſt, und in hohen Gefühlen dich um deiner ſelbſt willen zu um- armen ſtrebt. Mit ſpähendem Blick irrt er durch die Räume deines unermeſslichen Körpers zum Focus hin, von welchem deine Ströhmungen ins Weltall ausgehn, ſich ſpalten und wieder zuſam- menſchmelzen, dieſen Widerſtreit der Kräfte durch alle Glieder, in den mannichfaltigſten Ver- zweigungen nachweiſen, und den ewig regen Pulsſchlag erhalten, der Leben in alle Adern der Natur ausgeuſst. Er iſt es, dieſer Zwieſpalt der Kräfte, der den Formentrieb im Chaos weckte, das Weltall zu Körpern ballte, ihnen die Bahn anwies, die ſie Aeonen lang wandlen, daſs ſie nicht in todte Eisſteppen ſich zuſammendrängen oder in den leeren Raum hinausranken und die Lichtmagnete der Milchſtraſse als eine ungeheure Dunſtwolke umlagern. Er iſt es, in ſeinen zar- teſten und verwickeltſten Verhältniſſen, der den anorganiſchen Stoff hinaufſteigert aus der todten Welt in die belebte. Leiſes Schritts wandelt ſie hier, die plaſtiſche Göttin Natur! und verſucht ſich zuerſt, gleichſam ſich ſelbſt nicht trauend, in der einfachſten Forme der Organiſation, die ſie in den Polypen ausprägt. Eine organiſche Röhre, in ihr Vegetation und Geſtalt, ſich ſelbſt Mittel und Zweck, ein beſchloſſenes Ganze, die erſte und rohſte Skitze der Individualität, ohne Reflektionspunkte, eine zitternde Gallert, die
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gängelt wird. Nur hie und da weilt ein ſtiller
Beobachter, der reines Geiſtes iſt, und in hohen
Gefühlen dich um deiner ſelbſt willen zu um-
armen ſtrebt. Mit ſpähendem Blick irrt er durch
die Räume deines unermeſslichen Körpers zum
Focus hin, von welchem deine Ströhmungen ins
Weltall ausgehn, ſich ſpalten und wieder zuſam-
menſchmelzen, dieſen Widerſtreit der Kräfte
durch alle Glieder, in den mannichfaltigſten Ver-
zweigungen nachweiſen, und den ewig regen
Pulsſchlag erhalten, der Leben in alle Adern der
Natur ausgeuſst. Er iſt es, dieſer Zwieſpalt der
Kräfte, der den Formentrieb im Chaos weckte,
das Weltall zu Körpern ballte, ihnen die Bahn
anwies, die ſie Aeonen lang wandlen, daſs ſie
nicht in todte Eisſteppen ſich zuſammendrängen
oder in den leeren Raum hinausranken und die
Lichtmagnete der Milchſtraſse als eine ungeheure
Dunſtwolke umlagern. Er iſt es, in ſeinen zar-
teſten und verwickeltſten Verhältniſſen, der den
anorganiſchen Stoff hinaufſteigert aus der todten
Welt in die belebte. Leiſes Schritts wandelt ſie
hier, die plaſtiſche Göttin Natur! und verſucht
ſich zuerſt, gleichſam ſich ſelbſt nicht trauend,
in der einfachſten Forme der Organiſation, die
ſie in den Polypen ausprägt. Eine organiſche
Röhre, in ihr Vegetation und Geſtalt, ſich ſelbſt
Mittel und Zweck, ein beſchloſſenes Ganze, die
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Reil, Johann Christian: Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen. Halle, 1803, S. 484. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/reil_curmethode_1803/489>, abgerufen am 25.11.2024.
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