Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Reil, Johann Christian: Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen. Halle, 1803.

Bild:
<< vorherige Seite

nicht beharren lassen, da die Zeit noch nicht ver-
flossen war, die die Natur als Bedürfniss für sich,
durch ihre Voraussagung, angekündiget hatte.
Wer soll diese Geschichte erklären; der Mate-
rialist oder der Spiritualist nach den reinen
Grundsätzen der Psychologie? Ich fürchte seine
Kunst scheitert an diesem Phänomen. Waren
hier nicht etwan die elektrischen Lebensströme
mit der beharrlichen Materie in Missverhältniss
gerathen und dadurch die Polaritäten der Organi-
sation umgetauscht? Schon die Annäherungen
der Fingerspitzen des Magnetiseurs in ihre Atmo-
sphäre veränderten den Standpunkt ihrer Seele.
Die innere positive und die äussere negative
tauschten sich um.

Daun kann noch das Bewusstseyn, sofern
es sich durch ein Zusammenfassen al-
ler unserer Verhältnisse zur Einheit
einer Person äussert
, von der Norm ab-
weichen. Die Angel der Verknüpfung ist gleich-
sam abgezogen, die Maschine in ihre Theilganze
aufgelöst, jedes Getriebe wirkt abgesondert für
sich, nirgends ist ein gemeinschaftlicher Vereini-
gungspunkt und die Produkte schwimmen los-
gebunden, gleichsam Niemandem angehörig, in
dem Ocean des Universums herum. Die Per-
sönlichkeit der Seele geht wie die Individualität
des Körpers im Bewusstseyn verlohren. In dem
Träumer wirkt die Phantasie allein; in dem
Schlafredner Phantasie und Muskelsystem. In

nicht beharren laſſen, da die Zeit noch nicht ver-
floſſen war, die die Natur als Bedürfniſs für ſich,
durch ihre Vorausſagung, angekündiget hatte.
Wer ſoll dieſe Geſchichte erklären; der Mate-
rialiſt oder der Spiritualiſt nach den reinen
Grundſätzen der Pſychologie? Ich fürchte ſeine
Kunſt ſcheitert an dieſem Phänomen. Waren
hier nicht etwan die elektriſchen Lebensſtröme
mit der beharrlichen Materie in Miſsverhältniſs
gerathen und dadurch die Polaritäten der Organi-
ſation umgetauſcht? Schon die Annäherungen
der Fingerſpitzen des Magnetiſeurs in ihre Atmo-
ſphäre veränderten den Standpunkt ihrer Seele.
Die innere poſitive und die äuſsere negative
tauſchten ſich um.

Daun kann noch das Bewuſstſeyn, ſofern
es ſich durch ein Zuſammenfaſſen al-
ler unſerer Verhältniſſe zur Einheit
einer Perſon äuſsert
, von der Norm ab-
weichen. Die Angel der Verknüpfung iſt gleich-
ſam abgezogen, die Maſchine in ihre Theilganze
aufgelöſt, jedes Getriebe wirkt abgeſondert für
ſich, nirgends iſt ein gemeinſchaftlicher Vereini-
gungspunkt und die Produkte ſchwimmen los-
gebunden, gleichſam Niemandem angehörig, in
dem Ocean des Univerſums herum. Die Per-
ſönlichkeit der Seele geht wie die Individualität
des Körpers im Bewuſstſeyn verlohren. In dem
Träumer wirkt die Phantaſie allein; in dem
Schlafredner Phantaſie und Muskelſyſtem. In

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0083" n="78"/>
nicht beharren la&#x017F;&#x017F;en, da die Zeit noch nicht ver-<lb/>
flo&#x017F;&#x017F;en war, die die Natur als Bedürfni&#x017F;s für &#x017F;ich,<lb/>
durch ihre Voraus&#x017F;agung, angekündiget hatte.<lb/>
Wer &#x017F;oll die&#x017F;e Ge&#x017F;chichte erklären; der Mate-<lb/>
riali&#x017F;t oder der Spirituali&#x017F;t nach den reinen<lb/>
Grund&#x017F;ätzen der P&#x017F;ychologie? Ich fürchte &#x017F;eine<lb/>
Kun&#x017F;t &#x017F;cheitert an die&#x017F;em Phänomen. Waren<lb/>
hier nicht etwan die elektri&#x017F;chen Lebens&#x017F;tröme<lb/>
mit der beharrlichen Materie in Mi&#x017F;sverhältni&#x017F;s<lb/>
gerathen und dadurch die Polaritäten der Organi-<lb/>
&#x017F;ation umgetau&#x017F;cht? Schon die Annäherungen<lb/>
der Finger&#x017F;pitzen des Magneti&#x017F;eurs in ihre Atmo-<lb/>
&#x017F;phäre veränderten den Standpunkt ihrer Seele.<lb/>
Die innere po&#x017F;itive und die äu&#x017F;sere negative<lb/>
tau&#x017F;chten &#x017F;ich um.</p><lb/>
          <p>Daun kann noch das Bewu&#x017F;st&#x017F;eyn, <hi rendition="#g">&#x017F;ofern<lb/>
es &#x017F;ich durch ein Zu&#x017F;ammenfa&#x017F;&#x017F;en al-<lb/>
ler un&#x017F;erer Verhältni&#x017F;&#x017F;e zur Einheit<lb/>
einer Per&#x017F;on äu&#x017F;sert</hi>, von der Norm ab-<lb/>
weichen. Die Angel der Verknüpfung i&#x017F;t gleich-<lb/>
&#x017F;am abgezogen, die Ma&#x017F;chine in ihre Theilganze<lb/>
aufgelö&#x017F;t, jedes Getriebe wirkt abge&#x017F;ondert für<lb/>
&#x017F;ich, nirgends i&#x017F;t ein gemein&#x017F;chaftlicher Vereini-<lb/>
gungspunkt und die Produkte &#x017F;chwimmen los-<lb/>
gebunden, gleich&#x017F;am Niemandem angehörig, in<lb/>
dem Ocean des Univer&#x017F;ums herum. Die Per-<lb/>
&#x017F;önlichkeit der Seele geht wie die Individualität<lb/>
des Körpers im Bewu&#x017F;st&#x017F;eyn verlohren. In dem<lb/>
Träumer wirkt die Phanta&#x017F;ie allein; in dem<lb/>
Schlafredner Phanta&#x017F;ie und Muskel&#x017F;y&#x017F;tem. In<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[78/0083] nicht beharren laſſen, da die Zeit noch nicht ver- floſſen war, die die Natur als Bedürfniſs für ſich, durch ihre Vorausſagung, angekündiget hatte. Wer ſoll dieſe Geſchichte erklären; der Mate- rialiſt oder der Spiritualiſt nach den reinen Grundſätzen der Pſychologie? Ich fürchte ſeine Kunſt ſcheitert an dieſem Phänomen. Waren hier nicht etwan die elektriſchen Lebensſtröme mit der beharrlichen Materie in Miſsverhältniſs gerathen und dadurch die Polaritäten der Organi- ſation umgetauſcht? Schon die Annäherungen der Fingerſpitzen des Magnetiſeurs in ihre Atmo- ſphäre veränderten den Standpunkt ihrer Seele. Die innere poſitive und die äuſsere negative tauſchten ſich um. Daun kann noch das Bewuſstſeyn, ſofern es ſich durch ein Zuſammenfaſſen al- ler unſerer Verhältniſſe zur Einheit einer Perſon äuſsert, von der Norm ab- weichen. Die Angel der Verknüpfung iſt gleich- ſam abgezogen, die Maſchine in ihre Theilganze aufgelöſt, jedes Getriebe wirkt abgeſondert für ſich, nirgends iſt ein gemeinſchaftlicher Vereini- gungspunkt und die Produkte ſchwimmen los- gebunden, gleichſam Niemandem angehörig, in dem Ocean des Univerſums herum. Die Per- ſönlichkeit der Seele geht wie die Individualität des Körpers im Bewuſstſeyn verlohren. In dem Träumer wirkt die Phantaſie allein; in dem Schlafredner Phantaſie und Muskelſyſtem. In

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/reil_curmethode_1803
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/reil_curmethode_1803/83
Zitationshilfe: Reil, Johann Christian: Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen. Halle, 1803, S. 78. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/reil_curmethode_1803/83>, abgerufen am 15.05.2024.