nigstens da, wo man die Vermehrung durch Wurzelausschläge be- werkstelligt.
Im südwestlichen Aidzu ist der Lackbaum das wichtigste Gewächs, beschattet stellenweise die Wege und wird mit viel Sorgfalt gepflegt. Unter der Herrschaft des Daimio gab es genaue Vorschriften, selbst über die Minimalzahl der alljährlich von jedem Ort zu pflanzenden Bäume. Die Beschädigung derselben bestrafte man aufs strengste. Die weiblichen Bäume (Me-gi) durften nur jedes vierte Jahr im Herbst an einigen wenigen Stellen angezapft werden. Man glaubte dadurch, wie durch einen Aderlass das Gedeihen derselben zu fördern und nannte es dem entsprechend das Yojo-gaki (Yojo=Gesundheitspflege, gaki=kaki=ritzen). Dadurch erhielt man wenig, aber vortrefflichen Lack und kräftige Früchte; denn die Wachsgewinnung wurde als Hauptsache betrachtet. Nur mit den männlichen Bäumen (O-gi) konnte jeder nach Gutdünken verfahren.
Aidzu-ro und Aidzu-ro-soku, d. h. Pflanzentalg und Kerzen daraus aus Aidzu, hatten aber in Yedo stets einen hohen Ruf, wie sie denn noch immer, ungeachtet der grossen Concurrenz, welche ihnen das Petroleum macht, viel gebraucht werden. Ihre Darstellung und Eigenschaften stimmen mit denen aus den Früchten der folgen- den Art überein und sollen am Schluss näher erörtert werden. Yone- zawa nördlich von Aidzu liefert in manchen Jahren über 30000 kg Ro-soku aus dem Ro des Lackbaums.
Jahrzehnte hindurch hat man in verschiedenen botanischen Gärten unter dem falschen Namen Rhus vernicifera eine strauchförmige in- dische Sumachart gepflegt, welche mit unserer Pflanze nur entfernte Aehnlichkeit zeigt. *) Diese war thatsächlich unbekannt und wurde erst durch mich 1875 und 1876 eingeführt. Die aus Samen gezogenen Lackbäume haben sich namentlich in den botanischen Gärten zu Frank- furt a/M. und Strassburg vortrefflich entwickelt, so dass in ersterem schon in 1--2 Jahren zu Versuchen mit der Lackgewinnung vorge- schritten werden kann.
Den strengen Winter von 1879/80 mit --27° C. Kälte hielten sie vortrefflich aus und erwiesen sich damit für Deutschland völlig winter- hart. Diese Thatsache ist um so überraschender, wenn man bedenkt, dass die Lackbäume in den schneereichen Wintern des nördlichen Honshiu einer Kälte von höchstens --12° C. ausgesetzt sind. Sie be- weist, dass man die Acclimatisationsfähigkeit einer Pflanze nicht immer
*) In Frankreich findet man vielfach unter dem falschen Namen "Vernis de Japon" Ailanthus glandulosa Desf.
I. Land- und Forstwirthschaft.
nigstens da, wo man die Vermehrung durch Wurzelausschläge be- werkstelligt.
Im südwestlichen Aidzu ist der Lackbaum das wichtigste Gewächs, beschattet stellenweise die Wege und wird mit viel Sorgfalt gepflegt. Unter der Herrschaft des Daimio gab es genaue Vorschriften, selbst über die Minimalzahl der alljährlich von jedem Ort zu pflanzenden Bäume. Die Beschädigung derselben bestrafte man aufs strengste. Die weiblichen Bäume (Me-gi) durften nur jedes vierte Jahr im Herbst an einigen wenigen Stellen angezapft werden. Man glaubte dadurch, wie durch einen Aderlass das Gedeihen derselben zu fördern und nannte es dem entsprechend das Yojo-gaki (Yojo=Gesundheitspflege, gaki=kaki=ritzen). Dadurch erhielt man wenig, aber vortrefflichen Lack und kräftige Früchte; denn die Wachsgewinnung wurde als Hauptsache betrachtet. Nur mit den männlichen Bäumen (Ô-gi) konnte jeder nach Gutdünken verfahren.
Aidzu-rô und Aidzu-rô-soku, d. h. Pflanzentalg und Kerzen daraus aus Aidzu, hatten aber in Yedo stets einen hohen Ruf, wie sie denn noch immer, ungeachtet der grossen Concurrenz, welche ihnen das Petroleum macht, viel gebraucht werden. Ihre Darstellung und Eigenschaften stimmen mit denen aus den Früchten der folgen- den Art überein und sollen am Schluss näher erörtert werden. Yone- zawa nördlich von Aidzu liefert in manchen Jahren über 30000 kg Rô-soku aus dem Rô des Lackbaums.
Jahrzehnte hindurch hat man in verschiedenen botanischen Gärten unter dem falschen Namen Rhus vernicifera eine strauchförmige in- dische Sumachart gepflegt, welche mit unserer Pflanze nur entfernte Aehnlichkeit zeigt. *) Diese war thatsächlich unbekannt und wurde erst durch mich 1875 und 1876 eingeführt. Die aus Samen gezogenen Lackbäume haben sich namentlich in den botanischen Gärten zu Frank- furt a/M. und Strassburg vortrefflich entwickelt, so dass in ersterem schon in 1—2 Jahren zu Versuchen mit der Lackgewinnung vorge- schritten werden kann.
Den strengen Winter von 1879/80 mit —27° C. Kälte hielten sie vortrefflich aus und erwiesen sich damit für Deutschland völlig winter- hart. Diese Thatsache ist um so überraschender, wenn man bedenkt, dass die Lackbäume in den schneereichen Wintern des nördlichen Honshiu einer Kälte von höchstens —12° C. ausgesetzt sind. Sie be- weist, dass man die Acclimatisationsfähigkeit einer Pflanze nicht immer
*) In Frankreich findet man vielfach unter dem falschen Namen »Vernis de Japon« Ailanthus glandulosa Desf.
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I. Land- und Forstwirthschaft.
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werkstelligt.
Im südwestlichen Aidzu ist der Lackbaum das wichtigste Gewächs,
beschattet stellenweise die Wege und wird mit viel Sorgfalt gepflegt.
Unter der Herrschaft des Daimio gab es genaue Vorschriften, selbst
über die Minimalzahl der alljährlich von jedem Ort zu pflanzenden
Bäume. Die Beschädigung derselben bestrafte man aufs strengste.
Die weiblichen Bäume (Me-gi) durften nur jedes vierte Jahr im Herbst
an einigen wenigen Stellen angezapft werden. Man glaubte dadurch,
wie durch einen Aderlass das Gedeihen derselben zu fördern und
nannte es dem entsprechend das Yojo-gaki (Yojo=Gesundheitspflege,
gaki=kaki=ritzen). Dadurch erhielt man wenig, aber vortrefflichen
Lack und kräftige Früchte; denn die Wachsgewinnung wurde als
Hauptsache betrachtet. Nur mit den männlichen Bäumen (Ô-gi) konnte
jeder nach Gutdünken verfahren.
Aidzu-rô und Aidzu-rô-soku, d. h. Pflanzentalg und Kerzen
daraus aus Aidzu, hatten aber in Yedo stets einen hohen Ruf, wie
sie denn noch immer, ungeachtet der grossen Concurrenz, welche
ihnen das Petroleum macht, viel gebraucht werden. Ihre Darstellung
und Eigenschaften stimmen mit denen aus den Früchten der folgen-
den Art überein und sollen am Schluss näher erörtert werden. Yone-
zawa nördlich von Aidzu liefert in manchen Jahren über 30000 kg
Rô-soku aus dem Rô des Lackbaums.
Jahrzehnte hindurch hat man in verschiedenen botanischen Gärten
unter dem falschen Namen Rhus vernicifera eine strauchförmige in-
dische Sumachart gepflegt, welche mit unserer Pflanze nur entfernte
Aehnlichkeit zeigt. *) Diese war thatsächlich unbekannt und wurde
erst durch mich 1875 und 1876 eingeführt. Die aus Samen gezogenen
Lackbäume haben sich namentlich in den botanischen Gärten zu Frank-
furt a/M. und Strassburg vortrefflich entwickelt, so dass in ersterem
schon in 1—2 Jahren zu Versuchen mit der Lackgewinnung vorge-
schritten werden kann.
Den strengen Winter von 1879/80 mit —27° C. Kälte hielten sie
vortrefflich aus und erwiesen sich damit für Deutschland völlig winter-
hart. Diese Thatsache ist um so überraschender, wenn man bedenkt,
dass die Lackbäume in den schneereichen Wintern des nördlichen
Honshiu einer Kälte von höchstens —12° C. ausgesetzt sind. Sie be-
weist, dass man die Acclimatisationsfähigkeit einer Pflanze nicht immer
*) In Frankreich findet man vielfach unter dem falschen Namen »Vernis de
Japon« Ailanthus glandulosa Desf.
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Rein, Johann Justus: Japan nach Reisen und Studien. Bd. 2. Leipzig, 1886, S. 188. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rein_japan02_1886/210>, abgerufen am 21.11.2024.
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