die Seidenzucht, erfasst, nirgends aber erhielt dieselbe durch die oben angegebenen Verhältnisse in den Seidenländern Europas jenen neuen Anstoss, der in Japan so wirksam war.
In Europa wurden die Griechen mit der Seide erst durch den Eroberungszug Alexanders des Grossen durch Persien nach Indien näher bekannt. Nach Arrian kleidete sich sein Feldherr Nearchos in diesen kostbaren Stoff; auch sandte Alexander seinem Lehrer Aristo- teles Seidenraupen, welche dieser zuerst beschreibt; aber die Ein- führung der Seidenzucht blieb einer viel späteren Periode vorbehalten. Die Geschichte derselben ist jedem Schüler bekannt. Zwei nesto- rianische Mönche brachten nach Procopius in ihren hohlen Stöcken Eier des Seidenspinners von Khotan an den Hof Justinians (550 n. Chr.), wo die aus ihnen erzielten Raupen mit den Blättern der schwarzen Maulbeere (Morus nigra L.) gefüttert wurden, die, in Ostasien unbe- kannt, schon frühzeitig im westlichen Asien, ihrer wahrscheinlichen Heimat, der beliebten Früchte wegen angebaut wurde.
Italien, schon lange der erste Seidenproducent Europas, wurde mit der Zucht der Seidenraupe erst verhältnissmässig spät bekannt. Die Einführung fand 1130 n. Chr. durch König Roger II. von Sicilien statt. Derselbe brachte sie nach einem ruhmvollen Feldzug gegen den byzantinischen Kaiser Emanuel aus Griechenland, ebenso griechische Seidenzüchter, Spinner und Weber, die er zwang, sich in Palermo niederzulassen und seinen Unterthanen als Lehrer ihrer Kunst zu dienen. Von Sicilien aus verbreitete sich die Seidenzucht nach Ca- labrien und nordwärts über ganz Italien, doch so langsam, dass sie erst in der Mitte des 16. Jahrhunderts in Mailand eingeführt wurde. Jetzt ist die Lombardei der Hauptsitz der italienischen Seidenzucht. Von den 40 Millionen kg Cocons (= 100000 Centner Rohseide) im Werthe von 170 Millionen Lire, welche Italien 1857 erzeugte, lieferte sie allein 15 Millionen kg = 37500 Centner Rohseide.
Die Pyrenäische Halbinsel erhielt die Seidenzucht lange vor Ita- lien, nämlich schon im 8. Jahrhundert durch die Araber.
Wie die Ueberführung hier und von Griechenland nach Italien Eroberungskriegen zuzuschreiben ist, so verdankt auch Frankreich seine ersten Maulbeerbäume und Seidenraupen einem Kriege. Nach der Eroberung Neapels durch Karl VIII. im Jahre 1440 brachten sie einige französische Edelleute in ihre Heimat. Doch entwickelte sich auch in Frankreich die Seidenzucht nur langsam, so dass die lombar- dischen Weber, welche Ludwig IX. und Franz I. heranzog, um mit ihnen in Frankreich die Seidenindustrie zu begründen, das Rohmate- rial aus Italien und Spanien beziehen mussten. Unter Karl IX. breiteten
4. Viehzucht und Seidenzucht.
die Seidenzucht, erfasst, nirgends aber erhielt dieselbe durch die oben angegebenen Verhältnisse in den Seidenländern Europas jenen neuen Anstoss, der in Japan so wirksam war.
In Europa wurden die Griechen mit der Seide erst durch den Eroberungszug Alexanders des Grossen durch Persien nach Indien näher bekannt. Nach Arrian kleidete sich sein Feldherr Nearchos in diesen kostbaren Stoff; auch sandte Alexander seinem Lehrer Aristo- teles Seidenraupen, welche dieser zuerst beschreibt; aber die Ein- führung der Seidenzucht blieb einer viel späteren Periode vorbehalten. Die Geschichte derselben ist jedem Schüler bekannt. Zwei nesto- rianische Mönche brachten nach Procopius in ihren hohlen Stöcken Eier des Seidenspinners von Khotan an den Hof Justinians (550 n. Chr.), wo die aus ihnen erzielten Raupen mit den Blättern der schwarzen Maulbeere (Morus nigra L.) gefüttert wurden, die, in Ostasien unbe- kannt, schon frühzeitig im westlichen Asien, ihrer wahrscheinlichen Heimat, der beliebten Früchte wegen angebaut wurde.
Italien, schon lange der erste Seidenproducent Europas, wurde mit der Zucht der Seidenraupe erst verhältnissmässig spät bekannt. Die Einführung fand 1130 n. Chr. durch König Roger II. von Sicilien statt. Derselbe brachte sie nach einem ruhmvollen Feldzug gegen den byzantinischen Kaiser Emanuel aus Griechenland, ebenso griechische Seidenzüchter, Spinner und Weber, die er zwang, sich in Palermo niederzulassen und seinen Unterthanen als Lehrer ihrer Kunst zu dienen. Von Sicilien aus verbreitete sich die Seidenzucht nach Ca- labrien und nordwärts über ganz Italien, doch so langsam, dass sie erst in der Mitte des 16. Jahrhunderts in Mailand eingeführt wurde. Jetzt ist die Lombardei der Hauptsitz der italienischen Seidenzucht. Von den 40 Millionen kg Cocons (= 100000 Centner Rohseide) im Werthe von 170 Millionen Lire, welche Italien 1857 erzeugte, lieferte sie allein 15 Millionen kg = 37500 Centner Rohseide.
Die Pyrenäische Halbinsel erhielt die Seidenzucht lange vor Ita- lien, nämlich schon im 8. Jahrhundert durch die Araber.
Wie die Ueberführung hier und von Griechenland nach Italien Eroberungskriegen zuzuschreiben ist, so verdankt auch Frankreich seine ersten Maulbeerbäume und Seidenraupen einem Kriege. Nach der Eroberung Neapels durch Karl VIII. im Jahre 1440 brachten sie einige französische Edelleute in ihre Heimat. Doch entwickelte sich auch in Frankreich die Seidenzucht nur langsam, so dass die lombar- dischen Weber, welche Ludwig IX. und Franz I. heranzog, um mit ihnen in Frankreich die Seidenindustrie zu begründen, das Rohmate- rial aus Italien und Spanien beziehen mussten. Unter Karl IX. breiteten
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0245"n="223"/><fwplace="top"type="header">4. Viehzucht und Seidenzucht.</fw><lb/>
die Seidenzucht, erfasst, nirgends aber erhielt dieselbe durch die oben<lb/>
angegebenen Verhältnisse in den Seidenländern Europas jenen neuen<lb/>
Anstoss, der in Japan so wirksam war.</p><lb/><p>In Europa wurden die Griechen mit der Seide erst durch den<lb/>
Eroberungszug Alexanders des Grossen durch Persien nach Indien<lb/>
näher bekannt. Nach Arrian kleidete sich sein Feldherr Nearchos in<lb/>
diesen kostbaren Stoff; auch sandte Alexander seinem Lehrer Aristo-<lb/>
teles Seidenraupen, welche dieser zuerst beschreibt; aber die Ein-<lb/>
führung der Seidenzucht blieb einer viel späteren Periode vorbehalten.<lb/>
Die Geschichte derselben ist jedem Schüler bekannt. Zwei nesto-<lb/>
rianische Mönche brachten nach Procopius in ihren hohlen Stöcken<lb/>
Eier des Seidenspinners von Khotan an den Hof Justinians (550 n. Chr.),<lb/>
wo die aus ihnen erzielten Raupen mit den Blättern der schwarzen<lb/>
Maulbeere (Morus nigra L.) gefüttert wurden, die, in Ostasien unbe-<lb/>
kannt, schon frühzeitig im westlichen Asien, ihrer wahrscheinlichen<lb/>
Heimat, der beliebten Früchte wegen angebaut wurde.</p><lb/><p>Italien, schon lange der erste Seidenproducent Europas, wurde<lb/>
mit der Zucht der Seidenraupe erst verhältnissmässig spät bekannt.<lb/>
Die Einführung fand 1130 n. Chr. durch König Roger II. von Sicilien<lb/>
statt. Derselbe brachte sie nach einem ruhmvollen Feldzug gegen den<lb/>
byzantinischen Kaiser Emanuel aus Griechenland, ebenso griechische<lb/>
Seidenzüchter, Spinner und Weber, die er zwang, sich in Palermo<lb/>
niederzulassen und seinen Unterthanen als Lehrer ihrer Kunst zu<lb/>
dienen. Von Sicilien aus verbreitete sich die Seidenzucht nach Ca-<lb/>
labrien und nordwärts über ganz Italien, doch so langsam, dass sie<lb/>
erst in der Mitte des 16. Jahrhunderts in Mailand eingeführt wurde.<lb/>
Jetzt ist die Lombardei der Hauptsitz der italienischen Seidenzucht.<lb/>
Von den 40 Millionen kg Cocons (= 100000 Centner Rohseide) im Werthe<lb/>
von 170 Millionen Lire, welche Italien 1857 erzeugte, lieferte sie allein<lb/>
15 Millionen kg = 37500 Centner Rohseide.</p><lb/><p>Die Pyrenäische Halbinsel erhielt die Seidenzucht lange vor Ita-<lb/>
lien, nämlich schon im 8. Jahrhundert durch die Araber.</p><lb/><p>Wie die Ueberführung hier und von Griechenland nach Italien<lb/>
Eroberungskriegen zuzuschreiben ist, so verdankt auch Frankreich<lb/>
seine ersten Maulbeerbäume und Seidenraupen einem Kriege. Nach<lb/>
der Eroberung Neapels durch Karl VIII. im Jahre 1440 brachten sie<lb/>
einige französische Edelleute in ihre Heimat. Doch entwickelte sich<lb/>
auch in Frankreich die Seidenzucht nur langsam, so dass die lombar-<lb/>
dischen Weber, welche Ludwig IX. und Franz I. heranzog, um mit<lb/>
ihnen in Frankreich die Seidenindustrie zu begründen, das Rohmate-<lb/>
rial aus Italien und Spanien beziehen mussten. Unter Karl IX. breiteten<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[223/0245]
4. Viehzucht und Seidenzucht.
die Seidenzucht, erfasst, nirgends aber erhielt dieselbe durch die oben
angegebenen Verhältnisse in den Seidenländern Europas jenen neuen
Anstoss, der in Japan so wirksam war.
In Europa wurden die Griechen mit der Seide erst durch den
Eroberungszug Alexanders des Grossen durch Persien nach Indien
näher bekannt. Nach Arrian kleidete sich sein Feldherr Nearchos in
diesen kostbaren Stoff; auch sandte Alexander seinem Lehrer Aristo-
teles Seidenraupen, welche dieser zuerst beschreibt; aber die Ein-
führung der Seidenzucht blieb einer viel späteren Periode vorbehalten.
Die Geschichte derselben ist jedem Schüler bekannt. Zwei nesto-
rianische Mönche brachten nach Procopius in ihren hohlen Stöcken
Eier des Seidenspinners von Khotan an den Hof Justinians (550 n. Chr.),
wo die aus ihnen erzielten Raupen mit den Blättern der schwarzen
Maulbeere (Morus nigra L.) gefüttert wurden, die, in Ostasien unbe-
kannt, schon frühzeitig im westlichen Asien, ihrer wahrscheinlichen
Heimat, der beliebten Früchte wegen angebaut wurde.
Italien, schon lange der erste Seidenproducent Europas, wurde
mit der Zucht der Seidenraupe erst verhältnissmässig spät bekannt.
Die Einführung fand 1130 n. Chr. durch König Roger II. von Sicilien
statt. Derselbe brachte sie nach einem ruhmvollen Feldzug gegen den
byzantinischen Kaiser Emanuel aus Griechenland, ebenso griechische
Seidenzüchter, Spinner und Weber, die er zwang, sich in Palermo
niederzulassen und seinen Unterthanen als Lehrer ihrer Kunst zu
dienen. Von Sicilien aus verbreitete sich die Seidenzucht nach Ca-
labrien und nordwärts über ganz Italien, doch so langsam, dass sie
erst in der Mitte des 16. Jahrhunderts in Mailand eingeführt wurde.
Jetzt ist die Lombardei der Hauptsitz der italienischen Seidenzucht.
Von den 40 Millionen kg Cocons (= 100000 Centner Rohseide) im Werthe
von 170 Millionen Lire, welche Italien 1857 erzeugte, lieferte sie allein
15 Millionen kg = 37500 Centner Rohseide.
Die Pyrenäische Halbinsel erhielt die Seidenzucht lange vor Ita-
lien, nämlich schon im 8. Jahrhundert durch die Araber.
Wie die Ueberführung hier und von Griechenland nach Italien
Eroberungskriegen zuzuschreiben ist, so verdankt auch Frankreich
seine ersten Maulbeerbäume und Seidenraupen einem Kriege. Nach
der Eroberung Neapels durch Karl VIII. im Jahre 1440 brachten sie
einige französische Edelleute in ihre Heimat. Doch entwickelte sich
auch in Frankreich die Seidenzucht nur langsam, so dass die lombar-
dischen Weber, welche Ludwig IX. und Franz I. heranzog, um mit
ihnen in Frankreich die Seidenindustrie zu begründen, das Rohmate-
rial aus Italien und Spanien beziehen mussten. Unter Karl IX. breiteten
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Rein, Johann Justus: Japan nach Reisen und Studien. Bd. 2. Leipzig, 1886, S. 223. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rein_japan02_1886/245>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.