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Rein, Johann Justus: Japan nach Reisen und Studien. Bd. 2. Leipzig, 1886.

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7. Gartenbau.
Geschmack und nur in Ausnahmefällen nachahmenswerth. Unsere
Gärtner helfen der Natur, die japanischen thun ihr Zwang an. Aber
diese japanische Gartenkunst wird noch immer auch nach dieser un-
natürlichen Richtung in manchem Buch als eine hervorragende Leistung
gepriesen, während sie doch in der That als eine uns unverständliche
Spielerei und Verirrung bezeichnet werden muss.

Zwergbildung und unnatürliche monströse Vergrösserung einzelner
Theile einer Pflanze auf Kosten der übrigen, Panachierung und Ver-
werthung irgend eines Zufalls oder Spiels der Natur finden, wie ange-
deutet, beim japanischen Gärtner stets eine sorgfältige Pflege. In
diesen Richtungen zeichnet er sich aus, ja wird nach der einen oder
der andern Seite sogar Specialist. Indem er mit Vorliebe darin ar-
beitet, weiss er, dass er damit dem Geschmack vieler seiner Kunden
besonders entgegenkommt. Zu diesen zählen aber nicht blos die Ge-
bildeten und Wohlhabenden, sondern auch die gewöhnlichen Arbeiter.

Wie der Japaner an solchen künstlichen Verkrüppelungen viel Ge-
fallen findet, so werden von ihm auch natürliche Missbildungen der
verschiedensten Art gern gesammelt und angestaunt. So bewundert er
z. B. den von Wasser durchlöcherten Stein oder einen alten morschen
Baumstamm, welcher aus einem Astloch ein oder mehrere andere Pflan-
zen entwickelt, deren Samen der Zufall hingebracht hatte. Die Ur-
sache für dieses Verhalten entspringt derselben Denkfaulheit und dem
nämlichen Reiz, den auffallende Erscheinungen auch bei uns auf die
Gemüther üben und die der ungebildete Mensch hier wie dort bewun-
dert, nur dass bei uns die Bewunderung meist von der Natur ab und
auf andere Dinge gelenkt wird.

Mit Verzwergung oder Nanisation (jap. Tsukuri-mono) be-
zeichnen wir die verschiedenen Verfahrungsweisen, um Zwergformen
zu schaffen, eine Kunst, in welcher die Chinesen und Japaner Meister
sind, welche sie aber mehr auf Zierpflanzen, als auf Obstbäume an-
wenden. Die chinesischen Mädchen verkümmern und verkrüppeln ihre
Füsse in engen Schuhen und die ostasiatischen Kunst- und Handels-
gärtner manches Holzgewächs, indem sie dasselbe in einen kleinen Topf
zwängen, öfters umsetzen und beschneiden, also durch ungenügende
Ernährung und Zurückschneidung. Dabei richtet sich ihre Thätigkeit
entweder nur auf Verjüngung im Sinne des Maassstabes, also bei
Wahrung der Form, oder auf die Erzielung von Monstrositäten ver-
schiedener Art.

Schon durch die Auswahl besonders kleiner Samen von wenig ent-
wickelten Individuen sucht man auf ein langsames Wachsthum hinzu-
wirken. Noch erfolgreicher erweist sich häufiges Beschneiden, sowie

7. Gartenbau.
Geschmack und nur in Ausnahmefällen nachahmenswerth. Unsere
Gärtner helfen der Natur, die japanischen thun ihr Zwang an. Aber
diese japanische Gartenkunst wird noch immer auch nach dieser un-
natürlichen Richtung in manchem Buch als eine hervorragende Leistung
gepriesen, während sie doch in der That als eine uns unverständliche
Spielerei und Verirrung bezeichnet werden muss.

Zwergbildung und unnatürliche monströse Vergrösserung einzelner
Theile einer Pflanze auf Kosten der übrigen, Panachierung und Ver-
werthung irgend eines Zufalls oder Spiels der Natur finden, wie ange-
deutet, beim japanischen Gärtner stets eine sorgfältige Pflege. In
diesen Richtungen zeichnet er sich aus, ja wird nach der einen oder
der andern Seite sogar Specialist. Indem er mit Vorliebe darin ar-
beitet, weiss er, dass er damit dem Geschmack vieler seiner Kunden
besonders entgegenkommt. Zu diesen zählen aber nicht blos die Ge-
bildeten und Wohlhabenden, sondern auch die gewöhnlichen Arbeiter.

Wie der Japaner an solchen künstlichen Verkrüppelungen viel Ge-
fallen findet, so werden von ihm auch natürliche Missbildungen der
verschiedensten Art gern gesammelt und angestaunt. So bewundert er
z. B. den von Wasser durchlöcherten Stein oder einen alten morschen
Baumstamm, welcher aus einem Astloch ein oder mehrere andere Pflan-
zen entwickelt, deren Samen der Zufall hingebracht hatte. Die Ur-
sache für dieses Verhalten entspringt derselben Denkfaulheit und dem
nämlichen Reiz, den auffallende Erscheinungen auch bei uns auf die
Gemüther üben und die der ungebildete Mensch hier wie dort bewun-
dert, nur dass bei uns die Bewunderung meist von der Natur ab und
auf andere Dinge gelenkt wird.

Mit Verzwergung oder Nanisation (jap. Tsukuri-mono) be-
zeichnen wir die verschiedenen Verfahrungsweisen, um Zwergformen
zu schaffen, eine Kunst, in welcher die Chinesen und Japaner Meister
sind, welche sie aber mehr auf Zierpflanzen, als auf Obstbäume an-
wenden. Die chinesischen Mädchen verkümmern und verkrüppeln ihre
Füsse in engen Schuhen und die ostasiatischen Kunst- und Handels-
gärtner manches Holzgewächs, indem sie dasselbe in einen kleinen Topf
zwängen, öfters umsetzen und beschneiden, also durch ungenügende
Ernährung und Zurückschneidung. Dabei richtet sich ihre Thätigkeit
entweder nur auf Verjüngung im Sinne des Maassstabes, also bei
Wahrung der Form, oder auf die Erzielung von Monstrositäten ver-
schiedener Art.

Schon durch die Auswahl besonders kleiner Samen von wenig ent-
wickelten Individuen sucht man auf ein langsames Wachsthum hinzu-
wirken. Noch erfolgreicher erweist sich häufiges Beschneiden, sowie

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[315/0339] 7. Gartenbau. Geschmack und nur in Ausnahmefällen nachahmenswerth. Unsere Gärtner helfen der Natur, die japanischen thun ihr Zwang an. Aber diese japanische Gartenkunst wird noch immer auch nach dieser un- natürlichen Richtung in manchem Buch als eine hervorragende Leistung gepriesen, während sie doch in der That als eine uns unverständliche Spielerei und Verirrung bezeichnet werden muss. Zwergbildung und unnatürliche monströse Vergrösserung einzelner Theile einer Pflanze auf Kosten der übrigen, Panachierung und Ver- werthung irgend eines Zufalls oder Spiels der Natur finden, wie ange- deutet, beim japanischen Gärtner stets eine sorgfältige Pflege. In diesen Richtungen zeichnet er sich aus, ja wird nach der einen oder der andern Seite sogar Specialist. Indem er mit Vorliebe darin ar- beitet, weiss er, dass er damit dem Geschmack vieler seiner Kunden besonders entgegenkommt. Zu diesen zählen aber nicht blos die Ge- bildeten und Wohlhabenden, sondern auch die gewöhnlichen Arbeiter. Wie der Japaner an solchen künstlichen Verkrüppelungen viel Ge- fallen findet, so werden von ihm auch natürliche Missbildungen der verschiedensten Art gern gesammelt und angestaunt. So bewundert er z. B. den von Wasser durchlöcherten Stein oder einen alten morschen Baumstamm, welcher aus einem Astloch ein oder mehrere andere Pflan- zen entwickelt, deren Samen der Zufall hingebracht hatte. Die Ur- sache für dieses Verhalten entspringt derselben Denkfaulheit und dem nämlichen Reiz, den auffallende Erscheinungen auch bei uns auf die Gemüther üben und die der ungebildete Mensch hier wie dort bewun- dert, nur dass bei uns die Bewunderung meist von der Natur ab und auf andere Dinge gelenkt wird. Mit Verzwergung oder Nanisation (jap. Tsukuri-mono) be- zeichnen wir die verschiedenen Verfahrungsweisen, um Zwergformen zu schaffen, eine Kunst, in welcher die Chinesen und Japaner Meister sind, welche sie aber mehr auf Zierpflanzen, als auf Obstbäume an- wenden. Die chinesischen Mädchen verkümmern und verkrüppeln ihre Füsse in engen Schuhen und die ostasiatischen Kunst- und Handels- gärtner manches Holzgewächs, indem sie dasselbe in einen kleinen Topf zwängen, öfters umsetzen und beschneiden, also durch ungenügende Ernährung und Zurückschneidung. Dabei richtet sich ihre Thätigkeit entweder nur auf Verjüngung im Sinne des Maassstabes, also bei Wahrung der Form, oder auf die Erzielung von Monstrositäten ver- schiedener Art. Schon durch die Auswahl besonders kleiner Samen von wenig ent- wickelten Individuen sucht man auf ein langsames Wachsthum hinzu- wirken. Noch erfolgreicher erweist sich häufiges Beschneiden, sowie

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Zitationshilfe: Rein, Johann Justus: Japan nach Reisen und Studien. Bd. 2. Leipzig, 1886, S. 315. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rein_japan02_1886/339>, abgerufen am 22.11.2024.