braucht werde. Damit fehlt aber eine Erklärung für die von mir er- wähnte Thatsache der Verdickung des Rohlacks, insbesondere des Seshime-urushi unter Wasseraufnahme, die man leicht beobachten kann und bei der eine Wasserstoffausscheidung nicht wahrnehmbar ist.
Schliesslich will ich hier noch der Lackvergiftung, oder des Urushi-kabure, wie es die Japaner nennen, gedenken, worauf schon pg. 106 kurz hingewiesen wurde. Es ist eine eigenthümliche, weder lebensgefährliche, noch besonders schmerzhafte, immerhin aber sehr unangenehme Krankheit, von der Neulinge in der Beschäftigung mit Lack, seien es Lackzapfer, Lackhändler oder Lackierer, in der Regel befallen werden. Sie äussert sich in einer gelinden Röthung und An- schwellung der Handrücken, des Gesichts, der Augenlider, Ohren, Nabelgegend und tiefer gelegenen Körpertheile, insbesondere des Scro- tums. In allen diesen Theilen fühlt man eine grosse Hitze, ein hef- tiges Jucken und Brennen, das mehrere schlaflose Nächte macht, in 2--3 Tagen seinen Höhepunkt erreicht und dann gleich der Anschwel- lung wieder abnimmt. In bösartigeren Fällen sollen sich aber auch kleine eiternde Geschwüre bilden. Diese Lackkrankheit, deren schon Pater d'Incarville gedenkt und die er pg. 119 der erwähnten Schrift vor- trefflich schildert,*) wird nicht blos durch unmittelbare Berührung, sondern auch und vornehmlich durch die Ausdünstung des Lackes hervorgerufen, namentlich des scharfen Seshime, dem ich sie seiner Zeit verdankte. Demnach ist das Gift eine flüchtige Substanz und hat nichts mit der Lacksäure und ihrer höheren Oxydation zu thun, wie Korschelt glaubt. Wenn die giftige Eigenschaft mit dem Trocknen des Lackanstrichs schwindet, so rührt dies nur daher, dass auch das flüchtige Gift dabei völlig entweicht. Ein ansehnlicher Theil des- selben wird schon bei der Zubereitung der verschiedenen Lacksorten und dem Umrühren in offenen Gefässen ausgetrieben; daher gelten denn auch die mit Farben versetzten Lacke für weit weniger gefähr- lich, als Rohlack und seine unmittelbaren Derivate. Wenn solche Lacke in geschlossener Schachtel oder einem Kübel eine Zeitlang ein- geschlossen waren, wendet selbst der abgehärtete Lackarbeiter sein Gesicht beim Oeffnen des Gefässes ab, damit es die angehäuften Dünste
*) "Ceux qui les ont, sentent une chaleur insupportable: on est saur que ce sont des clous du vernis, quand les bourses enflent, ce qui ne manque jamais." -- "On n'en mort jamais. Pour appaiser le grand feu de ces sortes de clous, avant qu'ils soient aboutis, on les lave avec de l'eau fraeiche; mais quand ils sont perces, on les frotte avec le jaune qui se trouve dans le corps des crables." -- Dieses Mittel empfahlen mir auch meine Lackarbeiter, doch war es der frühen Jahreszeit wegen nicht zu beschaffen.
III. Kunstgewerbe und Verwandtes.
braucht werde. Damit fehlt aber eine Erklärung für die von mir er- wähnte Thatsache der Verdickung des Rohlacks, insbesondere des Seshime-urushi unter Wasseraufnahme, die man leicht beobachten kann und bei der eine Wasserstoffausscheidung nicht wahrnehmbar ist.
Schliesslich will ich hier noch der Lackvergiftung, oder des Urushi-kaburé, wie es die Japaner nennen, gedenken, worauf schon pg. 106 kurz hingewiesen wurde. Es ist eine eigenthümliche, weder lebensgefährliche, noch besonders schmerzhafte, immerhin aber sehr unangenehme Krankheit, von der Neulinge in der Beschäftigung mit Lack, seien es Lackzapfer, Lackhändler oder Lackierer, in der Regel befallen werden. Sie äussert sich in einer gelinden Röthung und An- schwellung der Handrücken, des Gesichts, der Augenlider, Ohren, Nabelgegend und tiefer gelegenen Körpertheile, insbesondere des Scro- tums. In allen diesen Theilen fühlt man eine grosse Hitze, ein hef- tiges Jucken und Brennen, das mehrere schlaflose Nächte macht, in 2—3 Tagen seinen Höhepunkt erreicht und dann gleich der Anschwel- lung wieder abnimmt. In bösartigeren Fällen sollen sich aber auch kleine eiternde Geschwüre bilden. Diese Lackkrankheit, deren schon Pater d’Incarville gedenkt und die er pg. 119 der erwähnten Schrift vor- trefflich schildert,*) wird nicht blos durch unmittelbare Berührung, sondern auch und vornehmlich durch die Ausdünstung des Lackes hervorgerufen, namentlich des scharfen Seshime, dem ich sie seiner Zeit verdankte. Demnach ist das Gift eine flüchtige Substanz und hat nichts mit der Lacksäure und ihrer höheren Oxydation zu thun, wie Korschelt glaubt. Wenn die giftige Eigenschaft mit dem Trocknen des Lackanstrichs schwindet, so rührt dies nur daher, dass auch das flüchtige Gift dabei völlig entweicht. Ein ansehnlicher Theil des- selben wird schon bei der Zubereitung der verschiedenen Lacksorten und dem Umrühren in offenen Gefässen ausgetrieben; daher gelten denn auch die mit Farben versetzten Lacke für weit weniger gefähr- lich, als Rohlack und seine unmittelbaren Derivate. Wenn solche Lacke in geschlossener Schachtel oder einem Kübel eine Zeitlang ein- geschlossen waren, wendet selbst der abgehärtete Lackarbeiter sein Gesicht beim Oeffnen des Gefässes ab, damit es die angehäuften Dünste
*) »Ceux qui les ont, sentent une chaleur insupportable: on est sûr que ce sont des clous du vernis, quand les bourses enflent, ce qui ne manque jamais.« — »On n’en mort jamais. Pour appaiser le grand feu de ces sortes de clous, avant qu’ils soient aboutis, on les lave avec de l’eau fraîche; mais quand ils sont percés, on les frotte avec le jaune qui se trouve dans le corps des crables.« — Dieses Mittel empfahlen mir auch meine Lackarbeiter, doch war es der frühen Jahreszeit wegen nicht zu beschaffen.
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III. Kunstgewerbe und Verwandtes.
braucht werde. Damit fehlt aber eine Erklärung für die von mir er-
wähnte Thatsache der Verdickung des Rohlacks, insbesondere des
Seshime-urushi unter Wasseraufnahme, die man leicht beobachten kann
und bei der eine Wasserstoffausscheidung nicht wahrnehmbar ist.
Schliesslich will ich hier noch der Lackvergiftung, oder des
Urushi-kaburé, wie es die Japaner nennen, gedenken, worauf schon
pg. 106 kurz hingewiesen wurde. Es ist eine eigenthümliche, weder
lebensgefährliche, noch besonders schmerzhafte, immerhin aber sehr
unangenehme Krankheit, von der Neulinge in der Beschäftigung mit
Lack, seien es Lackzapfer, Lackhändler oder Lackierer, in der Regel
befallen werden. Sie äussert sich in einer gelinden Röthung und An-
schwellung der Handrücken, des Gesichts, der Augenlider, Ohren,
Nabelgegend und tiefer gelegenen Körpertheile, insbesondere des Scro-
tums. In allen diesen Theilen fühlt man eine grosse Hitze, ein hef-
tiges Jucken und Brennen, das mehrere schlaflose Nächte macht, in
2—3 Tagen seinen Höhepunkt erreicht und dann gleich der Anschwel-
lung wieder abnimmt. In bösartigeren Fällen sollen sich aber auch kleine
eiternde Geschwüre bilden. Diese Lackkrankheit, deren schon Pater
d’Incarville gedenkt und die er pg. 119 der erwähnten Schrift vor-
trefflich schildert, *) wird nicht blos durch unmittelbare Berührung,
sondern auch und vornehmlich durch die Ausdünstung des Lackes
hervorgerufen, namentlich des scharfen Seshime, dem ich sie seiner
Zeit verdankte. Demnach ist das Gift eine flüchtige Substanz und
hat nichts mit der Lacksäure und ihrer höheren Oxydation zu thun,
wie Korschelt glaubt. Wenn die giftige Eigenschaft mit dem Trocknen
des Lackanstrichs schwindet, so rührt dies nur daher, dass auch das
flüchtige Gift dabei völlig entweicht. Ein ansehnlicher Theil des-
selben wird schon bei der Zubereitung der verschiedenen Lacksorten
und dem Umrühren in offenen Gefässen ausgetrieben; daher gelten
denn auch die mit Farben versetzten Lacke für weit weniger gefähr-
lich, als Rohlack und seine unmittelbaren Derivate. Wenn solche
Lacke in geschlossener Schachtel oder einem Kübel eine Zeitlang ein-
geschlossen waren, wendet selbst der abgehärtete Lackarbeiter sein
Gesicht beim Oeffnen des Gefässes ab, damit es die angehäuften Dünste
*) »Ceux qui les ont, sentent une chaleur insupportable: on est sûr que ce
sont des clous du vernis, quand les bourses enflent, ce qui ne manque jamais.« —
»On n’en mort jamais. Pour appaiser le grand feu de ces sortes de clous, avant
qu’ils soient aboutis, on les lave avec de l’eau fraîche; mais quand ils sont percés,
on les frotte avec le jaune qui se trouve dans le corps des crables.« — Dieses
Mittel empfahlen mir auch meine Lackarbeiter, doch war es der frühen Jahreszeit
wegen nicht zu beschaffen.
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Rein, Johann Justus: Japan nach Reisen und Studien. Bd. 2. Leipzig, 1886, S. 414. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rein_japan02_1886/438>, abgerufen am 31.10.2024.
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