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Rétif de La Bretonne, Nicolas-Edme: Der fliegende Mensch. Übers. v. Wilhelm Christhelf Siegmund Mylius. 2. Aufl. Dresden u. a., 1785.

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weise die Kunst zu fliegen mittheilte. Er unterrich-
tete sie daher von seinen Gesinnungen und machte ih-
nen begreiflich, wie wichtig die Heimlichhaltung ei-
nes so kostbaren Geheimnißes für sie sey. Gleich den
folgenden Tag gab er sogar seiner Gemahlin und sei-
ner Tochter Unterricht im Fliegen: denn bey Alexan-
dern fand er so viel natürliche Anlage dazu, daß er
ihm die Unterweisung seines Bruders auftrug, und
nur aus Furcht vor einem Unglück sich vorbehielt',
bey den ersten Versuchen gegenwärtig zu seyn.

Jn einem Monat verstand die ganze Familie des
Beherrschers des unbesteiglichen Berges den Ge-
brauch der künstlichen Flügel. Sophie war beynah
eben so beherzt, als ihr jüngerer Bruder, und mach-
te oft ihre Mutter zittern, die ungeachtet ihrer Kennt-
niß sich nie anders in die Luft wagte, als an der Sel-
te ihres Gemahls.

Nunmehr brachte der älteste Sohn den Antrag,
sich zu seinem Großvater zu begeben, von neuen in
Vorschlag. Alexander und Sophie erboten sich ihn
zu begleiten; aber Victorin und Christine stellten ih-
nen vor, daß man vorher von den Gesinnungen ihres
Großvaters gesichert seyn müsse und daß es auf allen
Fall leichter sey, einen wieder loß zu machen, wenn
man ihn etwa als einen Betrüger da behielte, als al-
le drey.

Der junge B-m-t machte sich daher vor Tages-
anbruch, bey einem schönen hellen Mondenscheine un-
ter Anführung seines Vaters, und Begleitung seines
Bruders und seiner Schwester auf den Weg. Alle

viere



weiſe die Kunſt zu fliegen mittheilte. Er unterrich-
tete ſie daher von ſeinen Geſinnungen und machte ih-
nen begreiflich, wie wichtig die Heimlichhaltung ei-
nes ſo koſtbaren Geheimnißes fuͤr ſie ſey. Gleich den
folgenden Tag gab er ſogar ſeiner Gemahlin und ſei-
ner Tochter Unterricht im Fliegen: denn bey Alexan-
dern fand er ſo viel natuͤrliche Anlage dazu, daß er
ihm die Unterweiſung ſeines Bruders auftrug, und
nur aus Furcht vor einem Ungluͤck ſich vorbehielt’,
bey den erſten Verſuchen gegenwaͤrtig zu ſeyn.

Jn einem Monat verſtand die ganze Familie des
Beherrſchers des unbeſteiglichen Berges den Ge-
brauch der kuͤnſtlichen Fluͤgel. Sophie war beynah
eben ſo beherzt, als ihr juͤngerer Bruder, und mach-
te oft ihre Mutter zittern, die ungeachtet ihrer Kennt-
niß ſich nie anders in die Luft wagte, als an der Sel-
te ihres Gemahls.

Nunmehr brachte der aͤlteſte Sohn den Antrag,
ſich zu ſeinem Großvater zu begeben, von neuen in
Vorſchlag. Alexander und Sophie erboten ſich ihn
zu begleiten; aber Victorin und Chriſtine ſtellten ih-
nen vor, daß man vorher von den Geſinnungen ihres
Großvaters geſichert ſeyn muͤſſe und daß es auf allen
Fall leichter ſey, einen wieder loß zu machen, wenn
man ihn etwa als einen Betruͤger da behielte, als al-
le drey.

Der junge B-m-t machte ſich daher vor Tages-
anbruch, bey einem ſchoͤnen hellen Mondenſcheine un-
ter Anfuͤhrung ſeines Vaters, und Begleitung ſeines
Bruders und ſeiner Schweſter auf den Weg. Alle

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[94/0102] weiſe die Kunſt zu fliegen mittheilte. Er unterrich- tete ſie daher von ſeinen Geſinnungen und machte ih- nen begreiflich, wie wichtig die Heimlichhaltung ei- nes ſo koſtbaren Geheimnißes fuͤr ſie ſey. Gleich den folgenden Tag gab er ſogar ſeiner Gemahlin und ſei- ner Tochter Unterricht im Fliegen: denn bey Alexan- dern fand er ſo viel natuͤrliche Anlage dazu, daß er ihm die Unterweiſung ſeines Bruders auftrug, und nur aus Furcht vor einem Ungluͤck ſich vorbehielt’, bey den erſten Verſuchen gegenwaͤrtig zu ſeyn. Jn einem Monat verſtand die ganze Familie des Beherrſchers des unbeſteiglichen Berges den Ge- brauch der kuͤnſtlichen Fluͤgel. Sophie war beynah eben ſo beherzt, als ihr juͤngerer Bruder, und mach- te oft ihre Mutter zittern, die ungeachtet ihrer Kennt- niß ſich nie anders in die Luft wagte, als an der Sel- te ihres Gemahls. Nunmehr brachte der aͤlteſte Sohn den Antrag, ſich zu ſeinem Großvater zu begeben, von neuen in Vorſchlag. Alexander und Sophie erboten ſich ihn zu begleiten; aber Victorin und Chriſtine ſtellten ih- nen vor, daß man vorher von den Geſinnungen ihres Großvaters geſichert ſeyn muͤſſe und daß es auf allen Fall leichter ſey, einen wieder loß zu machen, wenn man ihn etwa als einen Betruͤger da behielte, als al- le drey. Der junge B-m-t machte ſich daher vor Tages- anbruch, bey einem ſchoͤnen hellen Mondenſcheine un- ter Anfuͤhrung ſeines Vaters, und Begleitung ſeines Bruders und ſeiner Schweſter auf den Weg. Alle viere

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Zitationshilfe: Rétif de La Bretonne, Nicolas-Edme: Der fliegende Mensch. Übers. v. Wilhelm Christhelf Siegmund Mylius. 2. Aufl. Dresden u. a., 1785, S. 94. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/retif_mensch_1785/102>, abgerufen am 21.11.2024.