Gräfin zu Reventlow, Fanny: Herrn Dames Aufzeichnungen oder Begebenheiten aus einem merkwürdigen Stadtteil. München, 1913.müßte mein väterlicher Berater wohl am besten wissen, aber er hofft wohl immer, es käme noch. Mit meinen literarischen Absichten ist er sehr einverstanden und ermahnt mich, den geplanten Roman nun auch wirklich zu schreiben. Wo sich hier von allen Seiten so viel Anregung biete, müsse es doch ein Leichtes sein. Ich aber fürchte wieder, es wird damit nicht so schnell gehen. Es gilt, vor allem erst das Material zu sammeln und sich einen Stil zu bilden. Ich denke, darin wird mein "Tagebuch", wie Susanna es etwas ironisch nennt, mir gute Dienste leisten. Man gewöhnt sich daran, alles Erlebte doppelt in sich aufzunehmen und bei allem, was man schreibt, auf den Stil zu achten. Auch dazu hat ja mein Stiefvater mich von jeher ermuntert -- er wies bei solchen Gelegenheiten gerne darauf hin, daß Goethe stets Tagebücher geführt habe, und äußerte die Ansicht, Goethe sei und bleibe doch immer das beste Vorbild für jeden jungen Deutschen. Ähnliches hört man wohl öfter sagen, und ich kann mir nicht helfen -- ich sehe darin eine gewisse Arroganz der älteren Generation. Man hilft uns nicht zu leben, sondern begnügt sich damit, uns auf große Vorbilder hinzuweisen und dann zu hoffen, daß etwas Außerordentliches aus uns wird. Was sollen mir derartige Hinweise? Ich habe gar keine Anlage zum Größenwahn -- ich bin nur ein "belangloser" junger Mensch müßte mein väterlicher Berater wohl am besten wissen, aber er hofft wohl immer, es käme noch. Mit meinen literarischen Absichten ist er sehr einverstanden und ermahnt mich, den geplanten Roman nun auch wirklich zu schreiben. Wo sich hier von allen Seiten so viel Anregung biete, müsse es doch ein Leichtes sein. Ich aber fürchte wieder, es wird damit nicht so schnell gehen. Es gilt, vor allem erst das Material zu sammeln und sich einen Stil zu bilden. Ich denke, darin wird mein „Tagebuch“, wie Susanna es etwas ironisch nennt, mir gute Dienste leisten. Man gewöhnt sich daran, alles Erlebte doppelt in sich aufzunehmen und bei allem, was man schreibt, auf den Stil zu achten. Auch dazu hat ja mein Stiefvater mich von jeher ermuntert — er wies bei solchen Gelegenheiten gerne darauf hin, daß Goethe stets Tagebücher geführt habe, und äußerte die Ansicht, Goethe sei und bleibe doch immer das beste Vorbild für jeden jungen Deutschen. Ähnliches hört man wohl öfter sagen, und ich kann mir nicht helfen — ich sehe darin eine gewisse Arroganz der älteren Generation. Man hilft uns nicht zu leben, sondern begnügt sich damit, uns auf große Vorbilder hinzuweisen und dann zu hoffen, daß etwas Außerordentliches aus uns wird. Was sollen mir derartige Hinweise? Ich habe gar keine Anlage zum Größenwahn — ich bin nur ein „belangloser“ junger Mensch <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="1"> <div type="letter" n="2"> <p><pb facs="#f0107" n="103"/> müßte mein väterlicher Berater wohl am besten wissen, aber er hofft wohl immer, es käme noch. Mit meinen literarischen Absichten ist er sehr einverstanden und ermahnt mich, den geplanten Roman nun auch wirklich zu schreiben. Wo sich hier von allen Seiten so viel Anregung biete, müsse es doch ein Leichtes sein.</p> <p>Ich aber fürchte wieder, es wird damit nicht so schnell gehen. Es gilt, vor allem erst das Material zu sammeln und sich einen Stil zu bilden.</p> <p>Ich denke, darin wird mein „Tagebuch“, wie Susanna es etwas ironisch nennt, mir gute Dienste leisten. Man gewöhnt sich daran, alles Erlebte doppelt in sich aufzunehmen und bei allem, was man schreibt, auf den Stil zu achten. Auch dazu hat ja mein Stiefvater mich von jeher ermuntert — er wies bei solchen Gelegenheiten gerne darauf hin, daß Goethe stets Tagebücher geführt habe, und äußerte die Ansicht, Goethe sei und bleibe doch immer das beste Vorbild für jeden jungen Deutschen.</p> <p>Ähnliches hört man wohl öfter sagen, und ich kann mir nicht helfen — ich sehe darin eine gewisse Arroganz der älteren Generation. Man hilft uns nicht zu leben, sondern begnügt sich damit, uns auf große Vorbilder hinzuweisen und dann zu hoffen, daß etwas Außerordentliches aus uns wird. Was sollen mir derartige Hinweise? Ich habe gar keine Anlage zum Größenwahn — ich bin nur ein „belangloser“ junger Mensch </p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [103/0107]
müßte mein väterlicher Berater wohl am besten wissen, aber er hofft wohl immer, es käme noch. Mit meinen literarischen Absichten ist er sehr einverstanden und ermahnt mich, den geplanten Roman nun auch wirklich zu schreiben. Wo sich hier von allen Seiten so viel Anregung biete, müsse es doch ein Leichtes sein.
Ich aber fürchte wieder, es wird damit nicht so schnell gehen. Es gilt, vor allem erst das Material zu sammeln und sich einen Stil zu bilden.
Ich denke, darin wird mein „Tagebuch“, wie Susanna es etwas ironisch nennt, mir gute Dienste leisten. Man gewöhnt sich daran, alles Erlebte doppelt in sich aufzunehmen und bei allem, was man schreibt, auf den Stil zu achten. Auch dazu hat ja mein Stiefvater mich von jeher ermuntert — er wies bei solchen Gelegenheiten gerne darauf hin, daß Goethe stets Tagebücher geführt habe, und äußerte die Ansicht, Goethe sei und bleibe doch immer das beste Vorbild für jeden jungen Deutschen.
Ähnliches hört man wohl öfter sagen, und ich kann mir nicht helfen — ich sehe darin eine gewisse Arroganz der älteren Generation. Man hilft uns nicht zu leben, sondern begnügt sich damit, uns auf große Vorbilder hinzuweisen und dann zu hoffen, daß etwas Außerordentliches aus uns wird. Was sollen mir derartige Hinweise? Ich habe gar keine Anlage zum Größenwahn — ich bin nur ein „belangloser“ junger Mensch
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