Gräfin zu Reventlow, Fanny: Herrn Dames Aufzeichnungen oder Begebenheiten aus einem merkwürdigen Stadtteil. München, 1913.Empfinden und meine Sehnsucht neigen sich doch immer wieder ihnen zu. (Meine Selbstkritik macht bei nochmaligem Durchlesen die Wahrnehmung, daß ich hier wohl nahe daran war, in einen romantisch pathetischen Ton zu verfallen, und sie warnt mich davor. Ich will in diesen Blättern nur Chronist sein, und dem Chronisten ziemt es nicht, mit seinen eigenen Empfindungen zu stark in den Vordergrund zu treten. Sollten sie etwa in späteren Tagen oder Jahren in jemandes Hände geraten, der mit Staunen Kenntnis davon nimmt, was Wahnmoching war und bedeutete, was hier lebte, gelebt wurde und gelebt werden sollte, so wird dieser jemand -- ich stelle ihn mir etwa als versonnenen Gelehrten oder ernsten Forscher vor -- vielleicht mäßiges Interesse an meiner Person nehmen und nur so nebenbei in stiller Anerkennung den Hut ziehen, wenn er erfährt, daß es bloß ein junger Mann aus Berlin war, welcher Dame hieß und sich verurteilt fühlte, das Wichtigste über diesen bemerkenswerten Stadtteil aufzuzeichnen. Und doch kann der Chronist wiederum nicht ganz sein Ich eliminieren, in dem die Umwelt sich widerspiegelt. Mag der Spiegel noch so anspruchslos und schlicht gerahmt sein, -- wenn man ihn verhängt oder aus dem Zimmer trägt, wirft er kein Bild mehr zurück -- --) Empfinden und meine Sehnsucht neigen sich doch immer wieder ihnen zu. (Meine Selbstkritik macht bei nochmaligem Durchlesen die Wahrnehmung, daß ich hier wohl nahe daran war, in einen romantisch pathetischen Ton zu verfallen, und sie warnt mich davor. Ich will in diesen Blättern nur Chronist sein, und dem Chronisten ziemt es nicht, mit seinen eigenen Empfindungen zu stark in den Vordergrund zu treten. Sollten sie etwa in späteren Tagen oder Jahren in jemandes Hände geraten, der mit Staunen Kenntnis davon nimmt, was Wahnmoching war und bedeutete, was hier lebte, gelebt wurde und gelebt werden sollte, so wird dieser jemand — ich stelle ihn mir etwa als versonnenen Gelehrten oder ernsten Forscher vor — vielleicht mäßiges Interesse an meiner Person nehmen und nur so nebenbei in stiller Anerkennung den Hut ziehen, wenn er erfährt, daß es bloß ein junger Mann aus Berlin war, welcher Dame hieß und sich verurteilt fühlte, das Wichtigste über diesen bemerkenswerten Stadtteil aufzuzeichnen. Und doch kann der Chronist wiederum nicht ganz sein Ich eliminieren, in dem die Umwelt sich widerspiegelt. Mag der Spiegel noch so anspruchslos und schlicht gerahmt sein, — wenn man ihn verhängt oder aus dem Zimmer trägt, wirft er kein Bild mehr zurück — —) <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="1"> <div type="letter" n="2"> <p><pb facs="#f0109" n="105"/> Empfinden und meine Sehnsucht neigen sich doch immer wieder ihnen zu.</p> <p>(Meine Selbstkritik macht bei nochmaligem Durchlesen die Wahrnehmung, daß ich hier wohl nahe daran war, in einen romantisch pathetischen Ton zu verfallen, und sie warnt mich davor. Ich will in diesen Blättern nur Chronist sein, und dem Chronisten ziemt es nicht, mit seinen eigenen Empfindungen zu stark in den Vordergrund zu treten. Sollten sie etwa in späteren Tagen oder Jahren in jemandes Hände geraten, der mit Staunen Kenntnis davon nimmt, was Wahnmoching war und bedeutete, was hier lebte, gelebt wurde und gelebt werden sollte, so wird dieser jemand — ich stelle ihn mir etwa als versonnenen Gelehrten oder ernsten Forscher vor — vielleicht mäßiges Interesse an meiner Person nehmen und nur so nebenbei in stiller Anerkennung den Hut ziehen, wenn er erfährt, daß es bloß ein junger Mann aus Berlin war, welcher Dame hieß und sich verurteilt fühlte, das Wichtigste über diesen bemerkenswerten Stadtteil aufzuzeichnen.</p> <p>Und doch kann der Chronist wiederum nicht ganz sein Ich eliminieren, in dem die Umwelt sich widerspiegelt. Mag der Spiegel noch so anspruchslos und schlicht gerahmt sein, — wenn man ihn verhängt oder aus dem Zimmer trägt, wirft er kein Bild mehr zurück — —)</p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [105/0109]
Empfinden und meine Sehnsucht neigen sich doch immer wieder ihnen zu.
(Meine Selbstkritik macht bei nochmaligem Durchlesen die Wahrnehmung, daß ich hier wohl nahe daran war, in einen romantisch pathetischen Ton zu verfallen, und sie warnt mich davor. Ich will in diesen Blättern nur Chronist sein, und dem Chronisten ziemt es nicht, mit seinen eigenen Empfindungen zu stark in den Vordergrund zu treten. Sollten sie etwa in späteren Tagen oder Jahren in jemandes Hände geraten, der mit Staunen Kenntnis davon nimmt, was Wahnmoching war und bedeutete, was hier lebte, gelebt wurde und gelebt werden sollte, so wird dieser jemand — ich stelle ihn mir etwa als versonnenen Gelehrten oder ernsten Forscher vor — vielleicht mäßiges Interesse an meiner Person nehmen und nur so nebenbei in stiller Anerkennung den Hut ziehen, wenn er erfährt, daß es bloß ein junger Mann aus Berlin war, welcher Dame hieß und sich verurteilt fühlte, das Wichtigste über diesen bemerkenswerten Stadtteil aufzuzeichnen.
Und doch kann der Chronist wiederum nicht ganz sein Ich eliminieren, in dem die Umwelt sich widerspiegelt. Mag der Spiegel noch so anspruchslos und schlicht gerahmt sein, — wenn man ihn verhängt oder aus dem Zimmer trägt, wirft er kein Bild mehr zurück — —)
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