Gräfin zu Reventlow, Fanny: Herrn Dames Aufzeichnungen oder Begebenheiten aus einem merkwürdigen Stadtteil. München, 1913.aber es gäbe neuerdings eine ganze Anzahl junger Leute, die sich "gärenshalber" hier aufhielten, und zu diesen würde wohl auch ich zu rechnen sein. Eine sonderbare Definition -- "gärenshalber" -- aber der Doktor drückt sich gerne etwas gewunden aus -- das scheint überhaupt hier üblich zu sein. Wenn man darüber nachdenkt, hat er eigentlich nicht ganz unrecht. Vielleicht ist etwas Wahres daran -- es kommt mir ganz plausibel vor, daß mein Stiefvater mich gärenshalber hergeschickt hat. Nur paßt es wohl gerade auf mich nicht recht. Ich habe keine Tendenzen zum Gären und auch gar kein Verlangen danach -- überhaupt nicht viel eigne Initiative -- ich werde einfach zu irgend etwas verurteilt, und das geschieht dann mit mir. Mein Stiefvater meint es sehr gut und hat viel Verständnis für meine Veranlagung; so pflege ich im großen und ganzen auch immer zu tun, was er über mich verhängt. Verhängt -- ja, das ist wohl das richtige Wort. Schon allein die äußeren Umstände bringen es mit sich, daß immer alles eine Art Verhängnis für mich wird. Zum Beispiel in erster Linie mein Name und meine Väter. Meinen richtigen Vater habe ich kaum gekannt -- er soll sehr unsympathisch gewesen sein -- und nur den Namen von ihm bekommen. Mein Stiefvater hat einen normalen, unauffälligen Namen und war eigentlich die erste Liebe meiner Mutter. Sie aber es gäbe neuerdings eine ganze Anzahl junger Leute, die sich „gärenshalber“ hier aufhielten, und zu diesen würde wohl auch ich zu rechnen sein. Eine sonderbare Definition — „gärenshalber“ — aber der Doktor drückt sich gerne etwas gewunden aus — das scheint überhaupt hier üblich zu sein. Wenn man darüber nachdenkt, hat er eigentlich nicht ganz unrecht. Vielleicht ist etwas Wahres daran — es kommt mir ganz plausibel vor, daß mein Stiefvater mich gärenshalber hergeschickt hat. Nur paßt es wohl gerade auf mich nicht recht. Ich habe keine Tendenzen zum Gären und auch gar kein Verlangen danach — überhaupt nicht viel eigne Initiative — ich werde einfach zu irgend etwas verurteilt, und das geschieht dann mit mir. Mein Stiefvater meint es sehr gut und hat viel Verständnis für meine Veranlagung; so pflege ich im großen und ganzen auch immer zu tun, was er über mich verhängt. Verhängt — ja, das ist wohl das richtige Wort. Schon allein die äußeren Umstände bringen es mit sich, daß immer alles eine Art Verhängnis für mich wird. Zum Beispiel in erster Linie mein Name und meine Väter. Meinen richtigen Vater habe ich kaum gekannt — er soll sehr unsympathisch gewesen sein — und nur den Namen von ihm bekommen. Mein Stiefvater hat einen normalen, unauffälligen Namen und war eigentlich die erste Liebe meiner Mutter. Sie <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div type="letter" n="2"> <p><pb facs="#f0016" n="12"/> aber es gäbe neuerdings eine ganze Anzahl junger Leute, die sich „gärenshalber“ hier aufhielten, und zu diesen würde wohl auch ich zu rechnen sein.</p> <p>Eine sonderbare Definition — „gärenshalber“ — aber der Doktor drückt sich gerne etwas gewunden aus — das scheint überhaupt hier üblich zu sein. Wenn man darüber nachdenkt, hat er eigentlich nicht ganz unrecht. Vielleicht ist etwas Wahres daran — es kommt mir ganz plausibel vor, daß mein Stiefvater mich gärenshalber hergeschickt hat. Nur paßt es wohl gerade auf mich nicht recht. Ich habe keine Tendenzen zum Gären und auch gar kein Verlangen danach — überhaupt nicht viel eigne Initiative — ich werde einfach zu irgend etwas verurteilt, und das geschieht dann mit mir. Mein Stiefvater meint es sehr gut und hat viel Verständnis für meine Veranlagung; so pflege ich im großen und ganzen auch immer zu tun, was er über mich verhängt.</p> <p>Verhängt — ja, das ist wohl das richtige Wort. Schon allein die äußeren Umstände bringen es mit sich, daß immer alles eine Art Verhängnis für mich wird. Zum Beispiel in erster Linie mein Name und meine Väter. Meinen richtigen Vater habe ich kaum gekannt — er soll sehr unsympathisch gewesen sein — und nur den Namen von ihm bekommen. Mein Stiefvater hat einen normalen, unauffälligen Namen und war eigentlich die erste Liebe meiner Mutter. Sie </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [12/0016]
aber es gäbe neuerdings eine ganze Anzahl junger Leute, die sich „gärenshalber“ hier aufhielten, und zu diesen würde wohl auch ich zu rechnen sein.
Eine sonderbare Definition — „gärenshalber“ — aber der Doktor drückt sich gerne etwas gewunden aus — das scheint überhaupt hier üblich zu sein. Wenn man darüber nachdenkt, hat er eigentlich nicht ganz unrecht. Vielleicht ist etwas Wahres daran — es kommt mir ganz plausibel vor, daß mein Stiefvater mich gärenshalber hergeschickt hat. Nur paßt es wohl gerade auf mich nicht recht. Ich habe keine Tendenzen zum Gären und auch gar kein Verlangen danach — überhaupt nicht viel eigne Initiative — ich werde einfach zu irgend etwas verurteilt, und das geschieht dann mit mir. Mein Stiefvater meint es sehr gut und hat viel Verständnis für meine Veranlagung; so pflege ich im großen und ganzen auch immer zu tun, was er über mich verhängt.
Verhängt — ja, das ist wohl das richtige Wort. Schon allein die äußeren Umstände bringen es mit sich, daß immer alles eine Art Verhängnis für mich wird. Zum Beispiel in erster Linie mein Name und meine Väter. Meinen richtigen Vater habe ich kaum gekannt — er soll sehr unsympathisch gewesen sein — und nur den Namen von ihm bekommen. Mein Stiefvater hat einen normalen, unauffälligen Namen und war eigentlich die erste Liebe meiner Mutter. Sie
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