Gräfin zu Reventlow, Fanny: Herrn Dames Aufzeichnungen oder Begebenheiten aus einem merkwürdigen Stadtteil. München, 1913.
sie schnöde verlassen hat; aber als ich seiner neulich Erwähnung tat, fand sie ihr altes frohes Lächeln wieder, das ich so sehr an ihr liebte, und sagte zuversichtlich: "O, der kommt schon wieder." Sendt ist wieder da, unversehrt, wohlbehalten und mit dem heiteren Lächeln des Weisen stand er plötzlich vor uns. Wir saßen gerade im Garten des Eckhauses um die Maibowle, die Orlonski mit kundiger Hand bereitet. Wir feiern alle Tage Abschied, denn keiner weiß, wann er wirklich abreisen wird, und jeder Tag kann der letzte sein. Orlonski stellte wie jeden Abend die Bedingung, daß von den Wahnmochinger Ereignissen nicht mehr geredet würde, aber kaum hatten wir die ersten Gläser getrunken, so sprachen wir von nichts anderem. Maria sah leidend aus, ihre Augen lagen tief in den Höhlen. "Und doch," sagte sie, "-- und doch -- ich werde mich niemals damit abfinden, daß alles das vorbei ist." Susanna faßte schwesterlich ihre Hand: "Wenn wir wieder hier sind, wohnst du ganz bei uns -- --" "Ja -- und dann -- --" "O -- einfach vergessen," sagt Susanna, "man hat uns übel mitgespielt, und es wird besser sein, wir halten uns in Zukunft nur noch an Zinnsoldaten." In diesem Moment wurde die Glocke gezogen. Wir sie schnöde verlassen hat; aber als ich seiner neulich Erwähnung tat, fand sie ihr altes frohes Lächeln wieder, das ich so sehr an ihr liebte, und sagte zuversichtlich: „O, der kommt schon wieder.“ Sendt ist wieder da, unversehrt, wohlbehalten und mit dem heiteren Lächeln des Weisen stand er plötzlich vor uns. Wir saßen gerade im Garten des Eckhauses um die Maibowle, die Orlonski mit kundiger Hand bereitet. Wir feiern alle Tage Abschied, denn keiner weiß, wann er wirklich abreisen wird, und jeder Tag kann der letzte sein. Orlonski stellte wie jeden Abend die Bedingung, daß von den Wahnmochinger Ereignissen nicht mehr geredet würde, aber kaum hatten wir die ersten Gläser getrunken, so sprachen wir von nichts anderem. Maria sah leidend aus, ihre Augen lagen tief in den Höhlen. „Und doch,“ sagte sie, „— und doch — ich werde mich niemals damit abfinden, daß alles das vorbei ist.“ Susanna faßte schwesterlich ihre Hand: „Wenn wir wieder hier sind, wohnst du ganz bei uns — —“ „Ja — und dann — —“ „O — einfach vergessen,“ sagt Susanna, „man hat uns übel mitgespielt, und es wird besser sein, wir halten uns in Zukunft nur noch an Zinnsoldaten.“ In diesem Moment wurde die Glocke gezogen. Wir <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div type="letter" n="2"> <p><pb facs="#f0193" n="189"/> sie schnöde verlassen hat; aber als ich seiner neulich Erwähnung tat, fand sie ihr altes frohes Lächeln wieder, das ich so sehr an ihr liebte, und sagte zuversichtlich: „O, der kommt schon wieder.“</p> <p>Sendt ist wieder da, unversehrt, wohlbehalten und mit dem heiteren Lächeln des Weisen stand er plötzlich vor uns.</p> <p>Wir saßen gerade im Garten des Eckhauses um die Maibowle, die Orlonski mit kundiger Hand bereitet. Wir feiern alle Tage Abschied, denn keiner weiß, wann er wirklich abreisen wird, und jeder Tag kann der letzte sein.</p> <p>Orlonski stellte wie jeden Abend die Bedingung, daß von den Wahnmochinger Ereignissen nicht mehr geredet würde, aber kaum hatten wir die ersten Gläser getrunken, so sprachen wir von nichts anderem.</p> <p>Maria sah leidend aus, ihre Augen lagen tief in den Höhlen.</p> <p>„Und doch,“ sagte sie, „— und doch — ich werde mich niemals damit abfinden, daß alles das vorbei ist.“</p> <p>Susanna faßte schwesterlich ihre Hand: „Wenn wir wieder hier sind, wohnst du ganz bei uns — —“</p> <p>„Ja — und dann — —“</p> <p>„O — einfach vergessen,“ sagt Susanna, „man hat uns übel mitgespielt, und es wird besser sein, wir halten uns in Zukunft nur noch an Zinnsoldaten.“</p> <p>In diesem Moment wurde die Glocke gezogen. Wir </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [189/0193]
sie schnöde verlassen hat; aber als ich seiner neulich Erwähnung tat, fand sie ihr altes frohes Lächeln wieder, das ich so sehr an ihr liebte, und sagte zuversichtlich: „O, der kommt schon wieder.“
Sendt ist wieder da, unversehrt, wohlbehalten und mit dem heiteren Lächeln des Weisen stand er plötzlich vor uns.
Wir saßen gerade im Garten des Eckhauses um die Maibowle, die Orlonski mit kundiger Hand bereitet. Wir feiern alle Tage Abschied, denn keiner weiß, wann er wirklich abreisen wird, und jeder Tag kann der letzte sein.
Orlonski stellte wie jeden Abend die Bedingung, daß von den Wahnmochinger Ereignissen nicht mehr geredet würde, aber kaum hatten wir die ersten Gläser getrunken, so sprachen wir von nichts anderem.
Maria sah leidend aus, ihre Augen lagen tief in den Höhlen.
„Und doch,“ sagte sie, „— und doch — ich werde mich niemals damit abfinden, daß alles das vorbei ist.“
Susanna faßte schwesterlich ihre Hand: „Wenn wir wieder hier sind, wohnst du ganz bei uns — —“
„Ja — und dann — —“
„O — einfach vergessen,“ sagt Susanna, „man hat uns übel mitgespielt, und es wird besser sein, wir halten uns in Zukunft nur noch an Zinnsoldaten.“
In diesem Moment wurde die Glocke gezogen. Wir
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| Zitationshilfe: | Gräfin zu Reventlow, Fanny: Herrn Dames Aufzeichnungen oder Begebenheiten aus einem merkwürdigen Stadtteil. München, 1913, S. 189. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/reventlow_dames_1913/193>, abgerufen am 04.12.2024. |
