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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 1. Göttingen, 1748.

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Hoffnung einiger Gegen-Liebe, und von dem
sie glaubet, daß er von ihrer Schwester geliebet
werde. Da verschmähete Liebe sonst sich nicht
gescheuet hat, Gifft und Dolch zu Kühlung ih-
rer Rachgier anzuwenden: so dürffen Sie sich
nicht wundern, wenn die Verbindung zwischen
den nächsten Bluts-Freunden in solchem Falle
aufhört, und eine Schwester vergißt, daß sie
eine Schwester ist.

Dieser geheime Bewegungs-Grund, der desto
stärckere Wirckungen hat, je mehr ihn Jhre
Schwester aus Hochmuth zu verbergen sucht, setzt
mich Jhrentwegen in Sorge, wenn ich dabey be-
dencke, mit wie neidischen Augen Jhre Schwester
Sie schon vorhin angesehen hat, und was für
Bewegungs-Gründe man ganz ohngescheuet vor-
bringt; und insonderheit, daß ein Bruder, der
so viel bey der gantzen Familie gilt, dessen Eigen-
nutz und Rachgier, seine zwey liebsten und herr-
schenden Leidenschafften, beyde zu Jhrem Unglück
arbeiten, mit Jhrer Schwester gemeine Sache
macht. Beyde haben jetzt die Ohren Jhrer El-
tern und Anverwandten allein, und stellen alles,
was Sie reden und thun, auf der schlimmen
Seite vor. Sie haben immer eine gehäßige Ma-
terie, die sie noch schwärtzer machen können, als
sie ist, nemlich die Schlägerey, und die üble
Lebens-Art des Herrn Lovelace. Wie wollen
Sie einer so starcken und vereinigten Macht wi-
derstehen! Jch sehe gewiß zum voraus, daß sie
über ein so sanftes Hertz, das so wenig von Wi-

der-
K 2

der Clariſſa.
Hoffnung einiger Gegen-Liebe, und von dem
ſie glaubet, daß er von ihrer Schweſter geliebet
werde. Da verſchmaͤhete Liebe ſonſt ſich nicht
geſcheuet hat, Gifft und Dolch zu Kuͤhlung ih-
rer Rachgier anzuwenden: ſo duͤrffen Sie ſich
nicht wundern, wenn die Verbindung zwiſchen
den naͤchſten Bluts-Freunden in ſolchem Falle
aufhoͤrt, und eine Schweſter vergißt, daß ſie
eine Schweſter iſt.

Dieſer geheime Bewegungs-Grund, der deſto
ſtaͤrckere Wirckungen hat, je mehr ihn Jhre
Schweſter aus Hochmuth zu verbergen ſucht, ſetzt
mich Jhrentwegen in Sorge, wenn ich dabey be-
dencke, mit wie neidiſchen Augen Jhre Schweſter
Sie ſchon vorhin angeſehen hat, und was fuͤr
Bewegungs-Gruͤnde man ganz ohngeſcheuet vor-
bringt; und inſonderheit, daß ein Bruder, der
ſo viel bey der gantzen Familie gilt, deſſen Eigen-
nutz und Rachgier, ſeine zwey liebſten und herr-
ſchenden Leidenſchafften, beyde zu Jhrem Ungluͤck
arbeiten, mit Jhrer Schweſter gemeine Sache
macht. Beyde haben jetzt die Ohren Jhrer El-
tern und Anverwandten allein, und ſtellen alles,
was Sie reden und thun, auf der ſchlimmen
Seite vor. Sie haben immer eine gehaͤßige Ma-
terie, die ſie noch ſchwaͤrtzer machen koͤnnen, als
ſie iſt, nemlich die Schlaͤgerey, und die uͤble
Lebens-Art des Herrn Lovelace. Wie wollen
Sie einer ſo ſtarcken und vereinigten Macht wi-
derſtehen! Jch ſehe gewiß zum voraus, daß ſie
uͤber ein ſo ſanftes Hertz, das ſo wenig von Wi-

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[147/0167] der Clariſſa. Hoffnung einiger Gegen-Liebe, und von dem ſie glaubet, daß er von ihrer Schweſter geliebet werde. Da verſchmaͤhete Liebe ſonſt ſich nicht geſcheuet hat, Gifft und Dolch zu Kuͤhlung ih- rer Rachgier anzuwenden: ſo duͤrffen Sie ſich nicht wundern, wenn die Verbindung zwiſchen den naͤchſten Bluts-Freunden in ſolchem Falle aufhoͤrt, und eine Schweſter vergißt, daß ſie eine Schweſter iſt. Dieſer geheime Bewegungs-Grund, der deſto ſtaͤrckere Wirckungen hat, je mehr ihn Jhre Schweſter aus Hochmuth zu verbergen ſucht, ſetzt mich Jhrentwegen in Sorge, wenn ich dabey be- dencke, mit wie neidiſchen Augen Jhre Schweſter Sie ſchon vorhin angeſehen hat, und was fuͤr Bewegungs-Gruͤnde man ganz ohngeſcheuet vor- bringt; und inſonderheit, daß ein Bruder, der ſo viel bey der gantzen Familie gilt, deſſen Eigen- nutz und Rachgier, ſeine zwey liebſten und herr- ſchenden Leidenſchafften, beyde zu Jhrem Ungluͤck arbeiten, mit Jhrer Schweſter gemeine Sache macht. Beyde haben jetzt die Ohren Jhrer El- tern und Anverwandten allein, und ſtellen alles, was Sie reden und thun, auf der ſchlimmen Seite vor. Sie haben immer eine gehaͤßige Ma- terie, die ſie noch ſchwaͤrtzer machen koͤnnen, als ſie iſt, nemlich die Schlaͤgerey, und die uͤble Lebens-Art des Herrn Lovelace. Wie wollen Sie einer ſo ſtarcken und vereinigten Macht wi- derſtehen! Jch ſehe gewiß zum voraus, daß ſie uͤber ein ſo ſanftes Hertz, das ſo wenig von Wi- der- K 2

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Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 1. Göttingen, 1748, S. 147. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa01_1748/167>, abgerufen am 27.11.2024.