Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 1. Göttingen, 1748.

Bild:
<< vorherige Seite

Die Geschichte
"hen will? kan der ein gutes Gemüth haben?"

"Aus Liebe zu dir, Clärchen/ verspricht er
"eben so vieles. Du bist die allerletzte, die ihm
"seine Gütigkeit gegen dich vorwerfen darf."

"Vergönnen Sie mir dis zu sagen. Wer
"wahre Glückseligkeit höher schätzt, als Geld,
"wie ich thue, die ich nicht einmal so viel brauche
"als ich habe, und das meinige zum Zeichen mei-
"nes Gehorsams fahren lassen kan - -"

"Nichts mehr! nichts mehr von deinen guten
"Wercken. Du weißt, daß du durch die Probe,
"die du mit Freuden von deinem Gehorsam ge-
"geben hast, nichts verlieren sondern gewinnen
"wirst. Du hast nur dein Brod über das
"Wasser fahren lassen. Sage also nichts mehr
"davon. Es sieht es nicht jedermann für ein
"gutes Werck an: ob ich es gleich für ein sehr
"gutes Werck halte. Und so urtheilten auch dein
"Vater und seine Brüder damahls davon."

Damahls! "sagen sie. O wie niederträch-
"tig handelt mein Bruder und meine Schwester,
"weil sie besorgen, daß die Liebe, die alle noch
"vor kurtzen auf mich wurfen - -"

"Jch höre keine Klage gegen deinen Bruder
"und Schwester an. Was für Streitigkeiten in
"unserer Familie sehe ich zu einer Zeit zum voraus,
"in welcher ich hoffete, daß ihr alle der Trost,
"meiner zunehmenden Jahre werden solltet!"

"GOtt gebe sein Gedeyen zu allen großmü-
"thigen Absichten meines Bruders und meiner
"Schwester! Jch will keine Streitigkeiten in der

"Familie

Die Geſchichte
„hen will? kan der ein gutes Gemuͤth haben?„

„Aus Liebe zu dir, Claͤrchen/ verſpricht er
„eben ſo vieles. Du biſt die allerletzte, die ihm
„ſeine Guͤtigkeit gegen dich vorwerfen darf.„

„Vergoͤnnen Sie mir dis zu ſagen. Wer
„wahre Gluͤckſeligkeit hoͤher ſchaͤtzt, als Geld,
„wie ich thue, die ich nicht einmal ſo viel brauche
„als ich habe, und das meinige zum Zeichen mei-
„nes Gehorſams fahren laſſen kan ‒ ‒„

„Nichts mehr! nichts mehr von deinen guten
„Wercken. Du weißt, daß du durch die Probe,
„die du mit Freuden von deinem Gehorſam ge-
„geben haſt, nichts verlieren ſondern gewinnen
„wirſt. Du haſt nur dein Brod uͤber das
„Waſſer fahren laſſen. Sage alſo nichts mehr
„davon. Es ſieht es nicht jedermann fuͤr ein
gutes Werck an: ob ich es gleich fuͤr ein ſehr
„gutes Werck halte. Und ſo urtheilten auch dein
„Vater und ſeine Bruͤder damahls davon.„

Damahls! „ſagen ſie. O wie niedertraͤch-
„tig handelt mein Bruder und meine Schweſter,
„weil ſie beſorgen, daß die Liebe, die alle noch
„vor kurtzen auf mich wurfen ‒ ‒„

„Jch hoͤre keine Klage gegen deinen Bruder
„und Schweſter an. Was fuͤr Streitigkeiten in
„unſerer Familie ſehe ich zu einer Zeit zum voraus,
„in welcher ich hoffete, daß ihr alle der Troſt,
„meiner zunehmenden Jahre werden ſolltet!„

„GOtt gebe ſein Gedeyen zu allen großmuͤ-
„thigen Abſichten meines Bruders und meiner
„Schweſter! Jch will keine Streitigkeiten in der

„Familie
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="2">
        <p><pb facs="#f0190" n="170"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b"><hi rendition="#g">Die Ge&#x017F;chichte</hi></hi></fw><lb/>
&#x201E;hen will? kan der ein gutes Gemu&#x0364;th haben?&#x201E;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Aus Liebe zu dir, <hi rendition="#fr">Cla&#x0364;rchen/</hi> ver&#x017F;pricht er<lb/>
&#x201E;eben &#x017F;o vieles. Du bi&#x017F;t die allerletzte, die ihm<lb/>
&#x201E;&#x017F;eine Gu&#x0364;tigkeit gegen dich <choice><sic>vorwerfeu</sic><corr>vorwerfen</corr></choice> darf.&#x201E;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Vergo&#x0364;nnen Sie mir dis zu &#x017F;agen. Wer<lb/>
&#x201E;wahre Glu&#x0364;ck&#x017F;eligkeit ho&#x0364;her &#x017F;cha&#x0364;tzt, als Geld,<lb/>
&#x201E;wie ich thue, die ich nicht einmal &#x017F;o viel brauche<lb/>
&#x201E;als ich habe, und das meinige zum Zeichen mei-<lb/>
&#x201E;nes Gehor&#x017F;ams fahren la&#x017F;&#x017F;en kan &#x2012; &#x2012;&#x201E;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Nichts mehr! nichts mehr von deinen guten<lb/>
&#x201E;Wercken. Du weißt, daß du durch die Probe,<lb/>
&#x201E;die du mit Freuden von deinem Gehor&#x017F;am ge-<lb/>
&#x201E;geben ha&#x017F;t, nichts verlieren &#x017F;ondern gewinnen<lb/>
&#x201E;wir&#x017F;t. Du ha&#x017F;t nur dein Brod u&#x0364;ber das<lb/>
&#x201E;Wa&#x017F;&#x017F;er fahren la&#x017F;&#x017F;en. Sage al&#x017F;o nichts mehr<lb/>
&#x201E;davon. Es &#x017F;ieht es nicht jedermann fu&#x0364;r ein<lb/>
&#x201E;<choice><sic>gures</sic><corr>gutes</corr></choice> Werck an: ob ich es gleich fu&#x0364;r ein &#x017F;ehr<lb/>
&#x201E;gutes Werck halte. Und &#x017F;o urtheilten auch dein<lb/>
&#x201E;Vater und &#x017F;eine Bru&#x0364;der damahls davon.&#x201E;</p><lb/>
        <p><hi rendition="#fr">Damahls!</hi> &#x201E;&#x017F;agen &#x017F;ie. O wie niedertra&#x0364;ch-<lb/>
&#x201E;tig handelt mein Bruder und meine Schwe&#x017F;ter,<lb/>
&#x201E;weil &#x017F;ie be&#x017F;orgen, daß die Liebe, die alle noch<lb/>
&#x201E;vor kurtzen auf mich wurfen &#x2012; &#x2012;&#x201E;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Jch ho&#x0364;re keine Klage gegen deinen Bruder<lb/>
&#x201E;und Schwe&#x017F;ter an. Was fu&#x0364;r Streitigkeiten in<lb/>
&#x201E;un&#x017F;erer Familie &#x017F;ehe ich zu einer Zeit zum voraus,<lb/>
&#x201E;in welcher ich hoffete, daß ihr alle der Tro&#x017F;t,<lb/>
&#x201E;meiner zunehmenden Jahre werden &#x017F;olltet!&#x201E;</p><lb/>
        <p>&#x201E;GOtt gebe &#x017F;ein Gedeyen zu allen großmu&#x0364;-<lb/>
&#x201E;thigen Ab&#x017F;ichten meines Bruders und meiner<lb/>
&#x201E;Schwe&#x017F;ter! Jch will keine Streitigkeiten in der<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">&#x201E;Familie</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[170/0190] Die Geſchichte „hen will? kan der ein gutes Gemuͤth haben?„ „Aus Liebe zu dir, Claͤrchen/ verſpricht er „eben ſo vieles. Du biſt die allerletzte, die ihm „ſeine Guͤtigkeit gegen dich vorwerfen darf.„ „Vergoͤnnen Sie mir dis zu ſagen. Wer „wahre Gluͤckſeligkeit hoͤher ſchaͤtzt, als Geld, „wie ich thue, die ich nicht einmal ſo viel brauche „als ich habe, und das meinige zum Zeichen mei- „nes Gehorſams fahren laſſen kan ‒ ‒„ „Nichts mehr! nichts mehr von deinen guten „Wercken. Du weißt, daß du durch die Probe, „die du mit Freuden von deinem Gehorſam ge- „geben haſt, nichts verlieren ſondern gewinnen „wirſt. Du haſt nur dein Brod uͤber das „Waſſer fahren laſſen. Sage alſo nichts mehr „davon. Es ſieht es nicht jedermann fuͤr ein „gutes Werck an: ob ich es gleich fuͤr ein ſehr „gutes Werck halte. Und ſo urtheilten auch dein „Vater und ſeine Bruͤder damahls davon.„ Damahls! „ſagen ſie. O wie niedertraͤch- „tig handelt mein Bruder und meine Schweſter, „weil ſie beſorgen, daß die Liebe, die alle noch „vor kurtzen auf mich wurfen ‒ ‒„ „Jch hoͤre keine Klage gegen deinen Bruder „und Schweſter an. Was fuͤr Streitigkeiten in „unſerer Familie ſehe ich zu einer Zeit zum voraus, „in welcher ich hoffete, daß ihr alle der Troſt, „meiner zunehmenden Jahre werden ſolltet!„ „GOtt gebe ſein Gedeyen zu allen großmuͤ- „thigen Abſichten meines Bruders und meiner „Schweſter! Jch will keine Streitigkeiten in der „Familie

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa01_1748
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa01_1748/190
Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 1. Göttingen, 1748, S. 170. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa01_1748/190>, abgerufen am 23.11.2024.