mich, nennete mich ihr liebes Kind/ und sag- te mir: mein Vater sollte nichts davon erfahren, daß ich mich seinem Willen eine Zeitlang wider- setzt hätte. Er hätte uns auf eine Ausflucht ge- holfen, damit sie ihr langes Aussenbleiben ent- schuldigen könnte. Komm mein Hertz/ sag- te sie, das Essen wird gleich aufgetragen werden. Wir wollen hinunter gehen. Mit diesen Worten ergriff sie meine Hand.
Hierüber erschrack ich, und sagte: "Wie? ich "soll mit Jhnen hinunter gehen, um meinen "Vater in der Meynung zu bestärcken, daß wir "von Vorbereitungen zur Hochzeit geredet haben. "O meine liebe Mutter, befehlen sie mir nicht, "mit ihnen zu gehen, wenn diese Auslegung dar- "über gemacht werden soll.
"Du siehst, mein Kind, antwortete sie, daß "dein Vater über unser längeres Aussenbleiben "die noch schlimmere Auslegung machen wird, "als wolltest du über etwas streiten und rechten, "was doch schlechterdings deine Schuldigkeit ist. "Sey versichert, daß ihm dieses unerträglich "seyn wird. Hat er dir nicht selbst vor einigen "Tagen gesagt, daß er Gehorsam fodert? Jch "will dich zum dritten mahl verlassen. Jch muß "etwas zu deiner Entschuldigung erdencken: "soll ich sagen, daß deine Blödigkeit bey dieser "Gelegenheit - -
"Jch bitte sie, sagen sie nichts von Blödig- "keit bey einer solchen Gelegenheit. Dadurch "würde ich Anlaß geben zu hoffen - -
Wilst
Die Geſchichte
mich, nennete mich ihr liebes Kind/ und ſag- te mir: mein Vater ſollte nichts davon erfahren, daß ich mich ſeinem Willen eine Zeitlang wider- ſetzt haͤtte. Er haͤtte uns auf eine Ausflucht ge- holfen, damit ſie ihr langes Auſſenbleiben ent- ſchuldigen koͤnnte. Komm mein Hertz/ ſag- te ſie, das Eſſen wird gleich aufgetragen werden. Wir wollen hinunter gehen. Mit dieſen Worten ergriff ſie meine Hand.
Hieruͤber erſchrack ich, und ſagte: „Wie? ich „ſoll mit Jhnen hinunter gehen, um meinen „Vater in der Meynung zu beſtaͤrcken, daß wir „von Vorbereitungen zur Hochzeit geredet haben. „O meine liebe Mutter, befehlen ſie mir nicht, „mit ihnen zu gehen, wenn dieſe Auslegung dar- „uͤber gemacht werden ſoll.
„Du ſiehſt, mein Kind, antwortete ſie, daß „dein Vater uͤber unſer laͤngeres Auſſenbleiben „die noch ſchlimmere Auslegung machen wird, „als wollteſt du uͤber etwas ſtreiten und rechten, „was doch ſchlechterdings deine Schuldigkeit iſt. „Sey verſichert, daß ihm dieſes unertraͤglich „ſeyn wird. Hat er dir nicht ſelbſt vor einigen „Tagen geſagt, daß er Gehorſam fodert? Jch „will dich zum dritten mahl verlaſſen. Jch muß „etwas zu deiner Entſchuldigung erdencken: „ſoll ich ſagen, daß deine Bloͤdigkeit bey dieſer „Gelegenheit ‒ ‒
„Jch bitte ſie, ſagen ſie nichts von Bloͤdig- „keit bey einer ſolchen Gelegenheit. Dadurch „wuͤrde ich Anlaß geben zu hoffen ‒ ‒
Wilſt
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Die Geſchichte
mich, nennete mich ihr liebes Kind/ und ſag-
te mir: mein Vater ſollte nichts davon erfahren,
daß ich mich ſeinem Willen eine Zeitlang wider-
ſetzt haͤtte. Er haͤtte uns auf eine Ausflucht ge-
holfen, damit ſie ihr langes Auſſenbleiben ent-
ſchuldigen koͤnnte. Komm mein Hertz/ ſag-
te ſie, das Eſſen wird gleich aufgetragen
werden. Wir wollen hinunter gehen.
Mit dieſen Worten ergriff ſie meine Hand.
Hieruͤber erſchrack ich, und ſagte: „Wie? ich
„ſoll mit Jhnen hinunter gehen, um meinen
„Vater in der Meynung zu beſtaͤrcken, daß wir
„von Vorbereitungen zur Hochzeit geredet haben.
„O meine liebe Mutter, befehlen ſie mir nicht,
„mit ihnen zu gehen, wenn dieſe Auslegung dar-
„uͤber gemacht werden ſoll.
„Du ſiehſt, mein Kind, antwortete ſie, daß
„dein Vater uͤber unſer laͤngeres Auſſenbleiben
„die noch ſchlimmere Auslegung machen wird,
„als wollteſt du uͤber etwas ſtreiten und rechten,
„was doch ſchlechterdings deine Schuldigkeit iſt.
„Sey verſichert, daß ihm dieſes unertraͤglich
„ſeyn wird. Hat er dir nicht ſelbſt vor einigen
„Tagen geſagt, daß er Gehorſam fodert? Jch
„will dich zum dritten mahl verlaſſen. Jch muß
„etwas zu deiner Entſchuldigung erdencken:
„ſoll ich ſagen, daß deine Bloͤdigkeit bey dieſer
„Gelegenheit ‒ ‒
„Jch bitte ſie, ſagen ſie nichts von Bloͤdig-
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 1. Göttingen, 1748, S. 172. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa01_1748/192>, abgerufen am 27.11.2024.
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