"Liebe. Jch suche mich ja auch nicht von dem "Gehorsam gegen meine Eltern loos zu reissen: "wenn ich Königin von der gantzen Welt wäre, "so wollte ich meine Pflicht gegen sie und gegen "meinen Vater nie aus den Augen setzen; ich "wollte mir ihren Segen kniend ausbitten, wenn "auch millionen Menschen zugegen wären. Also - -
"Jch mag dir nicht gern in die Rede fallen, "Clärchen/ ob du gleich fertig genug bist mir "in die Rede zu fallen. Du bist noch jung, "und der Sinn ist dir nicht gebrochen. Bey "allem Ruhm, den du von deinem Gehorsam "machst bitte ich dich, mir etwas mehr Ehrer- "bietung zu erzeigen, wenn ich rede.
"Jch bitte sie um Vergebung, und um Ge- "dult, mich in einer so wichtigen Sache zu "hören. Wenn ich nicht ernstlich redete, so "würde es scheinen, als hätte ich nur einige "Grillen, nach Art der Mädchens, im Kopf, "da mir doch der Mann gäntzlich unerträglich ist.
Clarissa Harlowe!
"Liebste, allerliebste Mutter, erlauben sie mir "nur dieses mahl, daß ich sagen darf, was ich "auf dem Hertzen habe. Es ist etwas hartes "für mich, daß ich ihnen nicht einmal die Ur- "sache alles meines Unglücks nennen darf. "Denn ich soll kein unehrerbietiges Wort von "einer gewissen Person reden, die mich für eine "Hinderniß ihrer weitläufftigen und gierigen "Absichten hält, und sich gegen mich auffüh- "ret, als wenn ich ein Sclave wäre.
"Wie
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der Clariſſa.
„Liebe. Jch ſuche mich ja auch nicht von dem „Gehorſam gegen meine Eltern loos zu reiſſen: „wenn ich Koͤnigin von der gantzen Welt waͤre, „ſo wollte ich meine Pflicht gegen ſie und gegen „meinen Vater nie aus den Augen ſetzen; ich „wollte mir ihren Segen kniend ausbitten, wenn „auch millionen Menſchen zugegen waͤren. Alſo ‒ ‒
„Jch mag dir nicht gern in die Rede fallen, „Claͤrchen/ ob du gleich fertig genug biſt mir „in die Rede zu fallen. Du biſt noch jung, „und der Sinn iſt dir nicht gebrochen. Bey „allem Ruhm, den du von deinem Gehorſam „machſt bitte ich dich, mir etwas mehr Ehrer- „bietung zu erzeigen, wenn ich rede.
„Jch bitte ſie um Vergebung, und um Ge- „dult, mich in einer ſo wichtigen Sache zu „hoͤren. Wenn ich nicht ernſtlich redete, ſo „wuͤrde es ſcheinen, als haͤtte ich nur einige „Grillen, nach Art der Maͤdchens, im Kopf, „da mir doch der Mann gaͤntzlich unertraͤglich iſt.
Clariſſa Harlowe!
„Liebſte, allerliebſte Mutter, erlauben ſie mir „nur dieſes mahl, daß ich ſagen darf, was ich „auf dem Hertzen habe. Es iſt etwas hartes „fuͤr mich, daß ich ihnen nicht einmal die Ur- „ſache alles meines Ungluͤcks nennen darf. „Denn ich ſoll kein unehrerbietiges Wort von „einer gewiſſen Perſon reden, die mich fuͤr eine „Hinderniß ihrer weitlaͤufftigen und gierigen „Abſichten haͤlt, und ſich gegen mich auffuͤh- „ret, als wenn ich ein Sclave waͤre.
„Wie
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der Clariſſa.
„Liebe. Jch ſuche mich ja auch nicht von dem
„Gehorſam gegen meine Eltern loos zu reiſſen:
„wenn ich Koͤnigin von der gantzen Welt waͤre,
„ſo wollte ich meine Pflicht gegen ſie und gegen
„meinen Vater nie aus den Augen ſetzen; ich
„wollte mir ihren Segen kniend ausbitten, wenn
„auch millionen Menſchen zugegen waͤren. Alſo ‒ ‒
„Jch mag dir nicht gern in die Rede fallen,
„Claͤrchen/ ob du gleich fertig genug biſt mir
„in die Rede zu fallen. Du biſt noch jung,
„und der Sinn iſt dir nicht gebrochen. Bey
„allem Ruhm, den du von deinem Gehorſam
„machſt bitte ich dich, mir etwas mehr Ehrer-
„bietung zu erzeigen, wenn ich rede.
„Jch bitte ſie um Vergebung, und um Ge-
„dult, mich in einer ſo wichtigen Sache zu
„hoͤren. Wenn ich nicht ernſtlich redete, ſo
„wuͤrde es ſcheinen, als haͤtte ich nur einige
„Grillen, nach Art der Maͤdchens, im Kopf,
„da mir doch der Mann gaͤntzlich unertraͤglich iſt.
Clariſſa Harlowe!
„Liebſte, allerliebſte Mutter, erlauben ſie mir
„nur dieſes mahl, daß ich ſagen darf, was ich
„auf dem Hertzen habe. Es iſt etwas hartes
„fuͤr mich, daß ich ihnen nicht einmal die Ur-
„ſache alles meines Ungluͤcks nennen darf.
„Denn ich ſoll kein unehrerbietiges Wort von
„einer gewiſſen Perſon reden, die mich fuͤr eine
„Hinderniß ihrer weitlaͤufftigen und gierigen
„Abſichten haͤlt, und ſich gegen mich auffuͤh-
„ret, als wenn ich ein Sclave waͤre.
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 1. Göttingen, 1748, S. 179. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa01_1748/199>, abgerufen am 22.11.2024.
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