Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 1. Göttingen, 1748.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Geschichte

"Keine Bedingungen bey deiner Mutter!
"du kanst dich auf meine Vorsichtigkeit verlas-
"sen."

Jch bat sie um Vergebung, und ersuchte sie,
daß sie selbst den Schlüssel zu einem besondern
Kästchen in meinem Schreib-Tisch nehmen möch-
te, in welchem die Briefe lagen, damit sie selbst
sehen möchte, daß ich nichts vor ihr geheim hielte.
Sie that dieses und nahm alle seine und meine an
ihn geschriebene Briefe heraus. Ob ich sie
gleich ohne Bedingung bekommen habe/

sagte sie, so sollst du sie doch wieder ha-
ben/ und niemand soll sie sehen.
Jch danck-
te ihr für ihre Gütigkeit. Sie ging weg um sie
zu lesen, mit dem Versprechen, nach deren Durch-
lesung wieder zu mir zu kommen.

Sie haben alle zwischen ihm und mir vor
meiner letzten Reise gewechselten Briefe gesehen,
und Sie wissen, daß kein Ausdruck darin war,
dessen er sich rühmen kan. Jch habe seit der
Zeit durch die Jhnen mündlich gemeldete Gele-
genheit drey andere Briefe bekommen, von de-
nen ich einen noch nicht beantwortet habe.

Der Jnhalt dieser Briefe komt mit den vori-
gen ziemlich überein. Er bittet um Gegenliebe
von meiner Seiten, und giebt mir die stärcksten
Versicherungen von der Aufrichtigkeit seiner Nei-
gung gegen mich. Er beklagte sich über die nie-
derträchtigen und schimpflichen Reden, die mein
Bruder in allen Gesellschafften gegen ihn ausstößt,
über die Drohungen und den recht feindseligen

Auf-
Die Geſchichte

„Keine Bedingungen bey deiner Mutter!
„du kanſt dich auf meine Vorſichtigkeit verlaſ-
„ſen.„

Jch bat ſie um Vergebung, und erſuchte ſie,
daß ſie ſelbſt den Schluͤſſel zu einem beſondern
Kaͤſtchen in meinem Schreib-Tiſch nehmen moͤch-
te, in welchem die Briefe lagen, damit ſie ſelbſt
ſehen moͤchte, daß ich nichts vor ihr geheim hielte.
Sie that dieſes und nahm alle ſeine und meine an
ihn geſchriebene Briefe heraus. Ob ich ſie
gleich ohne Bedingung bekommen habe/

ſagte ſie, ſo ſollſt du ſie doch wieder ha-
ben/ und niemand ſoll ſie ſehen.
Jch danck-
te ihr fuͤr ihre Guͤtigkeit. Sie ging weg um ſie
zu leſen, mit dem Verſprechen, nach deren Durch-
leſung wieder zu mir zu kommen.

Sie haben alle zwiſchen ihm und mir vor
meiner letzten Reiſe gewechſelten Briefe geſehen,
und Sie wiſſen, daß kein Ausdruck darin war,
deſſen er ſich ruͤhmen kan. Jch habe ſeit der
Zeit durch die Jhnen muͤndlich gemeldete Gele-
genheit drey andere Briefe bekommen, von de-
nen ich einen noch nicht beantwortet habe.

Der Jnhalt dieſer Briefe komt mit den vori-
gen ziemlich uͤberein. Er bittet um Gegenliebe
von meiner Seiten, und giebt mir die ſtaͤrckſten
Verſicherungen von der Aufrichtigkeit ſeiner Nei-
gung gegen mich. Er beklagte ſich uͤber die nie-
dertraͤchtigen und ſchimpflichen Reden, die mein
Bruder in allen Geſellſchafften gegen ihn ausſtoͤßt,
uͤber die Drohungen und den recht feindſeligen

Auf-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="2">
        <pb facs="#f0210" n="190"/>
        <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b"> <hi rendition="#g">Die Ge&#x017F;chichte</hi> </hi> </fw><lb/>
        <p>&#x201E;Keine Bedingungen bey deiner Mutter!<lb/>
&#x201E;du kan&#x017F;t dich auf meine Vor&#x017F;ichtigkeit verla&#x017F;-<lb/>
&#x201E;&#x017F;en.&#x201E;</p><lb/>
        <p>Jch bat &#x017F;ie um Vergebung, und er&#x017F;uchte &#x017F;ie,<lb/>
daß &#x017F;ie &#x017F;elb&#x017F;t den Schlu&#x0364;&#x017F;&#x017F;el zu einem be&#x017F;ondern<lb/>
Ka&#x0364;&#x017F;tchen in meinem Schreib-Ti&#x017F;ch nehmen mo&#x0364;ch-<lb/>
te, in welchem die Briefe lagen, damit &#x017F;ie &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
&#x017F;ehen mo&#x0364;chte, daß ich nichts vor ihr geheim hielte.<lb/>
Sie that die&#x017F;es und nahm alle &#x017F;eine und meine an<lb/>
ihn ge&#x017F;chriebene Briefe heraus. <hi rendition="#fr">Ob ich &#x017F;ie<lb/>
gleich ohne Bedingung bekommen habe/</hi><lb/>
&#x017F;agte &#x017F;ie, <hi rendition="#fr">&#x017F;o &#x017F;oll&#x017F;t du &#x017F;ie doch wieder ha-<lb/>
ben/ und niemand &#x017F;oll &#x017F;ie &#x017F;ehen.</hi> Jch danck-<lb/>
te ihr fu&#x0364;r ihre Gu&#x0364;tigkeit. Sie ging weg um &#x017F;ie<lb/>
zu le&#x017F;en, mit dem Ver&#x017F;prechen, nach deren Durch-<lb/>
le&#x017F;ung wieder zu mir zu kommen.</p><lb/>
        <p>Sie haben alle zwi&#x017F;chen ihm und mir vor<lb/>
meiner letzten Rei&#x017F;e gewech&#x017F;elten Briefe ge&#x017F;ehen,<lb/>
und Sie wi&#x017F;&#x017F;en, daß kein Ausdruck darin war,<lb/>
de&#x017F;&#x017F;en er &#x017F;ich ru&#x0364;hmen kan. Jch habe &#x017F;eit der<lb/>
Zeit durch die Jhnen mu&#x0364;ndlich gemeldete Gele-<lb/>
genheit drey andere Briefe bekommen, von de-<lb/>
nen ich einen noch nicht beantwortet habe.</p><lb/>
        <p>Der Jnhalt die&#x017F;er Briefe komt mit den vori-<lb/>
gen ziemlich u&#x0364;berein. Er bittet um Gegenliebe<lb/>
von meiner Seiten, und giebt mir die &#x017F;ta&#x0364;rck&#x017F;ten<lb/>
Ver&#x017F;icherungen von der Aufrichtigkeit &#x017F;einer Nei-<lb/>
gung gegen mich. Er beklagte &#x017F;ich u&#x0364;ber die nie-<lb/>
dertra&#x0364;chtigen und &#x017F;chimpflichen Reden, die mein<lb/>
Bruder in allen Ge&#x017F;ell&#x017F;chafften gegen ihn aus&#x017F;to&#x0364;ßt,<lb/>
u&#x0364;ber die Drohungen und den recht feind&#x017F;eligen<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Auf-</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[190/0210] Die Geſchichte „Keine Bedingungen bey deiner Mutter! „du kanſt dich auf meine Vorſichtigkeit verlaſ- „ſen.„ Jch bat ſie um Vergebung, und erſuchte ſie, daß ſie ſelbſt den Schluͤſſel zu einem beſondern Kaͤſtchen in meinem Schreib-Tiſch nehmen moͤch- te, in welchem die Briefe lagen, damit ſie ſelbſt ſehen moͤchte, daß ich nichts vor ihr geheim hielte. Sie that dieſes und nahm alle ſeine und meine an ihn geſchriebene Briefe heraus. Ob ich ſie gleich ohne Bedingung bekommen habe/ ſagte ſie, ſo ſollſt du ſie doch wieder ha- ben/ und niemand ſoll ſie ſehen. Jch danck- te ihr fuͤr ihre Guͤtigkeit. Sie ging weg um ſie zu leſen, mit dem Verſprechen, nach deren Durch- leſung wieder zu mir zu kommen. Sie haben alle zwiſchen ihm und mir vor meiner letzten Reiſe gewechſelten Briefe geſehen, und Sie wiſſen, daß kein Ausdruck darin war, deſſen er ſich ruͤhmen kan. Jch habe ſeit der Zeit durch die Jhnen muͤndlich gemeldete Gele- genheit drey andere Briefe bekommen, von de- nen ich einen noch nicht beantwortet habe. Der Jnhalt dieſer Briefe komt mit den vori- gen ziemlich uͤberein. Er bittet um Gegenliebe von meiner Seiten, und giebt mir die ſtaͤrckſten Verſicherungen von der Aufrichtigkeit ſeiner Nei- gung gegen mich. Er beklagte ſich uͤber die nie- dertraͤchtigen und ſchimpflichen Reden, die mein Bruder in allen Geſellſchafften gegen ihn ausſtoͤßt, uͤber die Drohungen und den recht feindſeligen Auf-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa01_1748
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa01_1748/210
Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 1. Göttingen, 1748, S. 190. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa01_1748/210>, abgerufen am 21.11.2024.