"Hertz. Sie haben mich nicht so erzogen, daß "ich niederträchtig seyn kan.
So Clärchen! du willst deinem Vater trotzen? Jch habe schon vorhin befürchtet/ daß es so weit kommen würde. Was wird endlich daraus werden? Jch/ sprach sie mit einem Seuffzer, muß mir selbst manchen Ein- fall gefallen lassen.
"Das thut mir eben leid, liebste Mutter. "Meynen sie nicht, daß eben das, was ich an "ihrem Exempel gesehen habe, und die Furcht "vor dem, was man von einem noch härteren Ge- "müthe, das kaum halb so viel Verstand besitzt, "als mein Vater, in dem Ehestande erwarten "muß, einen Eindruck bey mir gemacht hat? "Kan ich dadurch Lust bekommen, mich zu ver- "heyrathen? Es ist noch eine Erleichterung, "wenn man dem Eigensinn eines verständigen "Mannes folgen muß: und ich erinnere mich "über dieses von ihnen gehört zu haben, daß "mein Vater vor mehreren Jahren ein aufge- "räumter und munterer Mann gewesen ist, ge- "gen dessen Gestalt und Aufführung nichts ein- "zuwenden war. Aber der Mann, den man "mir aufdringen will - -"
Halte dich nicht über deinen Vater auf. (Kan man das wol nennen, sich über seinen Va- ter aufhalten? Jch habe mich bemühet, Jhnen von Wort zu Wort zu melden, was ich sagte.) Jch muß es nochmahls sagen/ du könntest nicht so unbeweglich in deiner Abneigung
von
Die Geſchichte
„Hertz. Sie haben mich nicht ſo erzogen, daß „ich niedertraͤchtig ſeyn kan.
So Claͤrchen! du willſt deinem Vater trotzen? Jch habe ſchon vorhin befuͤrchtet/ daß es ſo weit kommen wuͤrde. Was wird endlich daraus werden? Jch/ ſprach ſie mit einem Seuffzer, muß mir ſelbſt manchen Ein- fall gefallen laſſen.
„Das thut mir eben leid, liebſte Mutter. „Meynen ſie nicht, daß eben das, was ich an „ihrem Exempel geſehen habe, und die Furcht „vor dem, was man von einem noch haͤrteren Ge- „muͤthe, das kaum halb ſo viel Verſtand beſitzt, „als mein Vater, in dem Eheſtande erwarten „muß, einen Eindruck bey mir gemacht hat? „Kan ich dadurch Luſt bekommen, mich zu ver- „heyrathen? Es iſt noch eine Erleichterung, „wenn man dem Eigenſinn eines verſtaͤndigen „Mannes folgen muß: und ich erinnere mich „uͤber dieſes von ihnen gehoͤrt zu haben, daß „mein Vater vor mehreren Jahren ein aufge- „raͤumter und munterer Mann geweſen iſt, ge- „gen deſſen Geſtalt und Auffuͤhrung nichts ein- „zuwenden war. Aber der Mann, den man „mir aufdringen will ‒ ‒„
Halte dich nicht uͤber deinen Vater auf. (Kan man das wol nennen, ſich uͤber ſeinen Va- ter aufhalten? Jch habe mich bemuͤhet, Jhnen von Wort zu Wort zu melden, was ich ſagte.) Jch muß es nochmahls ſagen/ du koͤnnteſt nicht ſo unbeweglich in deiner Abneigung
von
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Die Geſchichte
„Hertz. Sie haben mich nicht ſo erzogen, daß
„ich niedertraͤchtig ſeyn kan.
So Claͤrchen! du willſt deinem Vater
trotzen? Jch habe ſchon vorhin befuͤrchtet/
daß es ſo weit kommen wuͤrde. Was wird
endlich daraus werden? Jch/ ſprach ſie mit
einem Seuffzer, muß mir ſelbſt manchen Ein-
fall gefallen laſſen.
„Das thut mir eben leid, liebſte Mutter.
„Meynen ſie nicht, daß eben das, was ich an
„ihrem Exempel geſehen habe, und die Furcht
„vor dem, was man von einem noch haͤrteren Ge-
„muͤthe, das kaum halb ſo viel Verſtand beſitzt,
„als mein Vater, in dem Eheſtande erwarten
„muß, einen Eindruck bey mir gemacht hat?
„Kan ich dadurch Luſt bekommen, mich zu ver-
„heyrathen? Es iſt noch eine Erleichterung,
„wenn man dem Eigenſinn eines verſtaͤndigen
„Mannes folgen muß: und ich erinnere mich
„uͤber dieſes von ihnen gehoͤrt zu haben, daß
„mein Vater vor mehreren Jahren ein aufge-
„raͤumter und munterer Mann geweſen iſt, ge-
„gen deſſen Geſtalt und Auffuͤhrung nichts ein-
„zuwenden war. Aber der Mann, den man
„mir aufdringen will ‒ ‒„
Halte dich nicht uͤber deinen Vater auf.
(Kan man das wol nennen, ſich uͤber ſeinen Va-
ter aufhalten? Jch habe mich bemuͤhet, Jhnen
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 1. Göttingen, 1748, S. 230. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa01_1748/250>, abgerufen am 21.11.2024.
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