ersten Jahre seines Lebens nichts gethan als Schreyen, und seine Muskeln sind des Heulens so gewohnt geworden, daß sie den Mund nicht zum Lachen ziehen können. Selbst sein Lächeln (das Sie nie gesehen, und zum wenigsten nie ver- anlasset haben) ist seiner Gesichts-Bildung so fremde und unnatürlich, daß es ihn fast kleidet, als wenn einer aus bösem Muthe lachet.
Jch war sehr aufmercksam auf ihn, wie ich auf alle solche Wunder-Thiere zu seyn pflege: und er kam mir schon damals eckelhaft und unerträglich vor. Jch erinnere mich noch, daß ich recht froh war, als sein Lachen aufhörte, und sein Gesicht sich wieder in die vorigen verdrieslichen Falten legte; wiewohl dieses so langsam geschahe, als wenn die Muskeln, die die Gesichts-Verzerrung veranlasset hatten, durch lauter verrostete Trieb- Federn beweget würden.
Was für eine fürchterliche Sache muß selbst die Liebe eines solchen Mannes seyn? Wenn ich seine Frau wäre (was habe ich aber gesündiget, daß ich mir zur Züchtigung nur einen solchen mög- lichen Fall erdencke) so würde ich kein anderes Vergnügen haben, als daß er abwesend wäre, oder daß ich mich mit ihm zanckete. Ein me- lancholisches Frauenzimmer, das nicht leben kan ohne auf jemand zu keiffen, möchte mit ihm vergnügt leben können: denn jeder Anblick würde ihr Gelegenheit geben, sich über ihn zu ereifern, und die Bedienten würden Ursache haben, ihren Herrn in ihrem Hertzen dafür zu segnen, daß er
ihr
Die Geſchichte
erſten Jahre ſeines Lebens nichts gethan als Schreyen, und ſeine Muskeln ſind des Heulens ſo gewohnt geworden, daß ſie den Mund nicht zum Lachen ziehen koͤnnen. Selbſt ſein Laͤcheln (das Sie nie geſehen, und zum wenigſten nie ver- anlaſſet haben) iſt ſeiner Geſichts-Bildung ſo fremde und unnatuͤrlich, daß es ihn faſt kleidet, als wenn einer aus boͤſem Muthe lachet.
Jch war ſehr aufmerckſam auf ihn, wie ich auf alle ſolche Wunder-Thiere zu ſeyn pflege: und er kam mir ſchon damals eckelhaft und unertraͤglich vor. Jch erinnere mich noch, daß ich recht froh war, als ſein Lachen aufhoͤrte, und ſein Geſicht ſich wieder in die vorigen verdrieslichen Falten legte; wiewohl dieſes ſo langſam geſchahe, als wenn die Muskeln, die die Geſichts-Verzerrung veranlaſſet hatten, durch lauter verroſtete Trieb- Federn beweget wuͤrden.
Was fuͤr eine fuͤrchterliche Sache muß ſelbſt die Liebe eines ſolchen Mannes ſeyn? Wenn ich ſeine Frau waͤre (was habe ich aber geſuͤndiget, daß ich mir zur Zuͤchtigung nur einen ſolchen moͤg- lichen Fall erdencke) ſo wuͤrde ich kein anderes Vergnuͤgen haben, als daß er abweſend waͤre, oder daß ich mich mit ihm zanckete. Ein me- lancholiſches Frauenzimmer, das nicht leben kan ohne auf jemand zu keiffen, moͤchte mit ihm vergnuͤgt leben koͤnnen: denn jeder Anblick wuͤrde ihr Gelegenheit geben, ſich uͤber ihn zu ereifern, und die Bedienten wuͤrden Urſache haben, ihren Herrn in ihrem Hertzen dafuͤr zu ſegnen, daß er
ihr
<TEI><text><body><divn="2"><divn="2"><p><pbfacs="#f0304"n="284"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b"><hirendition="#g">Die Geſchichte</hi></hi></fw><lb/>
erſten Jahre ſeines Lebens nichts gethan als<lb/>
Schreyen, und ſeine Muskeln ſind des Heulens<lb/>ſo gewohnt geworden, daß ſie den Mund nicht<lb/>
zum Lachen ziehen koͤnnen. Selbſt ſein Laͤcheln<lb/>
(das Sie nie geſehen, und zum wenigſten nie ver-<lb/>
anlaſſet haben) iſt ſeiner Geſichts-Bildung ſo<lb/>
fremde und unnatuͤrlich, daß es ihn faſt kleidet,<lb/>
als wenn einer aus boͤſem Muthe lachet.</p><lb/><p>Jch war ſehr aufmerckſam auf ihn, wie ich auf<lb/>
alle ſolche Wunder-Thiere zu ſeyn pflege: und er<lb/>
kam mir ſchon damals eckelhaft und unertraͤglich<lb/>
vor. Jch erinnere mich noch, daß ich recht froh<lb/>
war, als ſein Lachen aufhoͤrte, und ſein Geſicht<lb/>ſich wieder in die vorigen verdrieslichen Falten<lb/>
legte; wiewohl dieſes ſo langſam geſchahe, als<lb/>
wenn die Muskeln, die die Geſichts-Verzerrung<lb/>
veranlaſſet hatten, durch lauter verroſtete Trieb-<lb/>
Federn beweget wuͤrden.</p><lb/><p>Was fuͤr eine fuͤrchterliche Sache muß ſelbſt<lb/>
die Liebe eines ſolchen Mannes ſeyn? Wenn ich<lb/>ſeine Frau waͤre (was habe ich aber geſuͤndiget,<lb/>
daß ich mir zur Zuͤchtigung nur einen ſolchen moͤg-<lb/>
lichen Fall erdencke) ſo wuͤrde ich kein anderes<lb/>
Vergnuͤgen haben, als daß er abweſend waͤre,<lb/>
oder daß ich mich mit ihm zanckete. Ein <hirendition="#fr">me-<lb/>
lancholiſches</hi> Frauenzimmer, das nicht leben<lb/>
kan ohne auf jemand zu keiffen, moͤchte mit ihm<lb/>
vergnuͤgt leben koͤnnen: denn jeder Anblick wuͤrde<lb/>
ihr Gelegenheit geben, ſich uͤber ihn zu ereifern,<lb/>
und die Bedienten wuͤrden Urſache haben, ihren<lb/>
Herrn in ihrem Hertzen dafuͤr zu ſegnen, daß er<lb/><fwplace="bottom"type="catch">ihr</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[284/0304]
Die Geſchichte
erſten Jahre ſeines Lebens nichts gethan als
Schreyen, und ſeine Muskeln ſind des Heulens
ſo gewohnt geworden, daß ſie den Mund nicht
zum Lachen ziehen koͤnnen. Selbſt ſein Laͤcheln
(das Sie nie geſehen, und zum wenigſten nie ver-
anlaſſet haben) iſt ſeiner Geſichts-Bildung ſo
fremde und unnatuͤrlich, daß es ihn faſt kleidet,
als wenn einer aus boͤſem Muthe lachet.
Jch war ſehr aufmerckſam auf ihn, wie ich auf
alle ſolche Wunder-Thiere zu ſeyn pflege: und er
kam mir ſchon damals eckelhaft und unertraͤglich
vor. Jch erinnere mich noch, daß ich recht froh
war, als ſein Lachen aufhoͤrte, und ſein Geſicht
ſich wieder in die vorigen verdrieslichen Falten
legte; wiewohl dieſes ſo langſam geſchahe, als
wenn die Muskeln, die die Geſichts-Verzerrung
veranlaſſet hatten, durch lauter verroſtete Trieb-
Federn beweget wuͤrden.
Was fuͤr eine fuͤrchterliche Sache muß ſelbſt
die Liebe eines ſolchen Mannes ſeyn? Wenn ich
ſeine Frau waͤre (was habe ich aber geſuͤndiget,
daß ich mir zur Zuͤchtigung nur einen ſolchen moͤg-
lichen Fall erdencke) ſo wuͤrde ich kein anderes
Vergnuͤgen haben, als daß er abweſend waͤre,
oder daß ich mich mit ihm zanckete. Ein me-
lancholiſches Frauenzimmer, das nicht leben
kan ohne auf jemand zu keiffen, moͤchte mit ihm
vergnuͤgt leben koͤnnen: denn jeder Anblick wuͤrde
ihr Gelegenheit geben, ſich uͤber ihn zu ereifern,
und die Bedienten wuͤrden Urſache haben, ihren
Herrn in ihrem Hertzen dafuͤr zu ſegnen, daß er
ihr
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 1. Göttingen, 1748, S. 284. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa01_1748/304>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.