Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 1. Göttingen, 1748.

Bild:
<< vorherige Seite
der Clarissa.

Es sind noch viele andere anstößige Stellen in
Jhrem sehr frey geschriebenen Brieffe: wir müs-
sen sie aus Jhrem erbitternten Gemüth herlei-
ten. Jch freue mich, daß Jhnen das Wort einge-
fallen ist, sonst würde ich keinen Nahmen zu der
Sache haben finden können. Jch würde gewiß
keine Urfache gehabt haben, einen gelindern Nah-
men dafür zu suchen.

Jch habe sie noch hertzlich lieb. Ob Sie
gleich meines Bruders Tochter sind, so scheue ich
mich doch nicht zu sagen, daß Sie die schönste
Fräulein sind, die ich jemahls gesehen habe. Allein
auf mein Gewissen! ich glaube, Sie sollten Jhren
Eltern geborchen, und mir und meinem Bruder
Hans gefällig seyn: denn Sie wissen wohl, daß
uns nichts als ihr Bestes am Hertzen liegt; Jhr
Bestes, so wie es mit unserem Besten und mit un-
serer Ehre bestehen kann. Was müssen wir von
einem solchen Gliede der Familie dencken, daß das
gemeine Beste nicht befördern helffen will? und
das zwischen den Gliedern Partheyen und Streit
anzurichten sucht? GOtt behüt uns in Gnaden!
sage ich dazu. Sie sehen, daß ich für das gemei-
ne Beste bin. Was kann ich für Vortheil davon
haben, es gehe auch wie es gehe? Brauche ich
oder verlange ich von jemand etwas für mich?
Oder thut es mein Bruder Hans?

Ach aber Sie können keine Liebe zu Herrn
Solmes fassen! Jch antworte: Sie wissen selbst

nicht
A a 3
der Clariſſa.

Es ſind noch viele andere anſtoͤßige Stellen in
Jhrem ſehr frey geſchriebenen Brieffe: wir muͤſ-
ſen ſie aus Jhrem erbitternten Gemuͤth herlei-
ten. Jch freue mich, daß Jhnen das Wort einge-
fallen iſt, ſonſt wuͤrde ich keinen Nahmen zu der
Sache haben finden koͤnnen. Jch wuͤrde gewiß
keine Urfache gehabt haben, einen gelindern Nah-
men dafuͤr zu ſuchen.

Jch habe ſie noch hertzlich lieb. Ob Sie
gleich meines Bruders Tochter ſind, ſo ſcheue ich
mich doch nicht zu ſagen, daß Sie die ſchoͤnſte
Fraͤulein ſind, die ich jemahls geſehen habe. Allein
auf mein Gewiſſen! ich glaube, Sie ſollten Jhren
Eltern geborchen, und mir und meinem Bruder
Hans gefaͤllig ſeyn: denn Sie wiſſen wohl, daß
uns nichts als ihr Beſtes am Hertzen liegt; Jhr
Beſtes, ſo wie es mit unſerem Beſten und mit un-
ſerer Ehre beſtehen kann. Was muͤſſen wir von
einem ſolchen Gliede der Familie dencken, daß das
gemeine Beſte nicht befoͤrdern helffen will? und
das zwiſchen den Gliedern Partheyen und Streit
anzurichten ſucht? GOtt behuͤt uns in Gnaden!
ſage ich dazu. Sie ſehen, daß ich fuͤr das gemei-
ne Beſte bin. Was kann ich fuͤr Vortheil davon
haben, es gehe auch wie es gehe? Brauche ich
oder verlange ich von jemand etwas fuͤr mich?
Oder thut es mein Bruder Hans?

Ach aber Sie koͤnnen keine Liebe zu Herrn
Solmes faſſen! Jch antworte: Sie wiſſen ſelbſt

nicht
A a 3
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="2">
        <div>
          <pb facs="#f0393" n="373"/>
          <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b"> <hi rendition="#g">der Clari&#x017F;&#x017F;a.</hi> </hi> </fw><lb/>
          <p>Es &#x017F;ind noch viele andere an&#x017F;to&#x0364;ßige Stellen in<lb/>
Jhrem &#x017F;ehr frey ge&#x017F;chriebenen Brieffe: wir mu&#x0364;&#x017F;-<lb/>
&#x017F;en &#x017F;ie aus Jhrem <hi rendition="#fr">erbitternten Gemu&#x0364;th</hi> herlei-<lb/>
ten. Jch freue mich, daß Jhnen das Wort einge-<lb/>
fallen i&#x017F;t, &#x017F;on&#x017F;t wu&#x0364;rde ich keinen Nahmen zu der<lb/>
Sache haben finden ko&#x0364;nnen. Jch wu&#x0364;rde gewiß<lb/>
keine Urfache gehabt haben, einen gelindern Nah-<lb/>
men dafu&#x0364;r zu &#x017F;uchen.</p><lb/>
          <p>Jch habe &#x017F;ie noch hertzlich lieb. Ob Sie<lb/>
gleich meines Bruders Tochter &#x017F;ind, &#x017F;o &#x017F;cheue ich<lb/>
mich doch nicht zu &#x017F;agen, daß Sie die &#x017F;cho&#x0364;n&#x017F;te<lb/>
Fra&#x0364;ulein &#x017F;ind, die ich jemahls ge&#x017F;ehen habe. Allein<lb/>
auf mein Gewi&#x017F;&#x017F;en! ich glaube, Sie &#x017F;ollten Jhren<lb/>
Eltern geborchen, und mir und meinem Bruder<lb/><hi rendition="#fr">Hans</hi> gefa&#x0364;llig &#x017F;eyn: denn Sie wi&#x017F;&#x017F;en wohl, daß<lb/>
uns nichts als ihr Be&#x017F;tes am Hertzen liegt; Jhr<lb/>
Be&#x017F;tes, &#x017F;o wie es mit un&#x017F;erem Be&#x017F;ten und mit un-<lb/>
&#x017F;erer Ehre be&#x017F;tehen kann. Was mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en wir von<lb/>
einem &#x017F;olchen Gliede der Familie dencken, daß das<lb/>
gemeine Be&#x017F;te nicht befo&#x0364;rdern helffen will? und<lb/>
das zwi&#x017F;chen den Gliedern Partheyen und Streit<lb/>
anzurichten &#x017F;ucht? GOtt behu&#x0364;t uns in Gnaden!<lb/>
&#x017F;age ich dazu. Sie &#x017F;ehen, daß ich fu&#x0364;r das gemei-<lb/>
ne Be&#x017F;te bin. Was kann ich fu&#x0364;r Vortheil davon<lb/>
haben, es gehe auch wie es gehe? Brauche ich<lb/>
oder verlange ich von jemand etwas fu&#x0364;r mich?<lb/>
Oder thut es mein Bruder <hi rendition="#fr">Hans?</hi></p><lb/>
          <p>Ach aber Sie ko&#x0364;nnen keine Liebe zu Herrn<lb/><hi rendition="#fr">Solmes</hi> fa&#x017F;&#x017F;en! Jch antworte: Sie wi&#x017F;&#x017F;en &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">A a 3</fw><fw place="bottom" type="catch">nicht</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[373/0393] der Clariſſa. Es ſind noch viele andere anſtoͤßige Stellen in Jhrem ſehr frey geſchriebenen Brieffe: wir muͤſ- ſen ſie aus Jhrem erbitternten Gemuͤth herlei- ten. Jch freue mich, daß Jhnen das Wort einge- fallen iſt, ſonſt wuͤrde ich keinen Nahmen zu der Sache haben finden koͤnnen. Jch wuͤrde gewiß keine Urfache gehabt haben, einen gelindern Nah- men dafuͤr zu ſuchen. Jch habe ſie noch hertzlich lieb. Ob Sie gleich meines Bruders Tochter ſind, ſo ſcheue ich mich doch nicht zu ſagen, daß Sie die ſchoͤnſte Fraͤulein ſind, die ich jemahls geſehen habe. Allein auf mein Gewiſſen! ich glaube, Sie ſollten Jhren Eltern geborchen, und mir und meinem Bruder Hans gefaͤllig ſeyn: denn Sie wiſſen wohl, daß uns nichts als ihr Beſtes am Hertzen liegt; Jhr Beſtes, ſo wie es mit unſerem Beſten und mit un- ſerer Ehre beſtehen kann. Was muͤſſen wir von einem ſolchen Gliede der Familie dencken, daß das gemeine Beſte nicht befoͤrdern helffen will? und das zwiſchen den Gliedern Partheyen und Streit anzurichten ſucht? GOtt behuͤt uns in Gnaden! ſage ich dazu. Sie ſehen, daß ich fuͤr das gemei- ne Beſte bin. Was kann ich fuͤr Vortheil davon haben, es gehe auch wie es gehe? Brauche ich oder verlange ich von jemand etwas fuͤr mich? Oder thut es mein Bruder Hans? Ach aber Sie koͤnnen keine Liebe zu Herrn Solmes faſſen! Jch antworte: Sie wiſſen ſelbſt nicht A a 3

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa01_1748
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa01_1748/393
Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 1. Göttingen, 1748, S. 373. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa01_1748/393>, abgerufen am 27.11.2024.