Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 1. Göttingen, 1748.

Bild:
<< vorherige Seite
der Clarissa.

Jch sagte: er hätte alles dieses niemand als sich
selbst zu dancken, weil er sich durch seine Leichtsin-
nigkeit selbst einen Vorwurf gemacht hätte. Es
wäre nicht mehr als billig, daß man von einem
Menschen übel redete, der selbst nicht besorgt
wäre, seinen guten Nahmen zu erhalten.

Er wollte sich rechtfertigen; allein ich sagte ihm,
ich würde seiner eigenen Vorschrift folgen, und
ihn nicht nach seinen Worten sondern nach seinen
Wercken beurtheilen.

Er antwortete: wenn seine Feinde nicht so
viel Gewalt in Händen hätten, und so unbe-
weglich wären; wenn sie nicht, bereits so harte
Zwangs-Mittel gebraucht hätten, aus denen man
schliessen müßte, daß sie alles wagen wollten;
wenn sie mir die Erlaubniß geben wollten, selbst
zu wählen, oder unverheyrathet zu bleiben: so
wollte er gern eine Probe-Zeit von einem Jahr
und noch länger aushalten. Allein er wüßte ge-
wiß, daß ein eintziger Monath entweder alle Ab-
sichten der Meinigen erfüllen oder zernichten
würde. Jch würde selbst am besten wissen, ob
ich einige Hoffnung hätte, daß mein Vater nach-
geben würde. Er glaubte nicht, daß ich die ge-
ringste hätte.

Jch sagte: ich wollte alle Mittel versuchen, die
mir der Gehorsahm und die Liebe der Meinigen
gegen mich übrig liessen, ehe ich einen fremden
Schutz suchte. Wenn alle Mittel fruchtlos wä-
ren, so wollte ich mich des Gutes, das mir so viel

Neyd
der Clariſſa.

Jch ſagte: er haͤtte alles dieſes niemand als ſich
ſelbſt zu dancken, weil er ſich durch ſeine Leichtſin-
nigkeit ſelbſt einen Vorwurf gemacht haͤtte. Es
waͤre nicht mehr als billig, daß man von einem
Menſchen uͤbel redete, der ſelbſt nicht beſorgt
waͤre, ſeinen guten Nahmen zu erhalten.

Er wollte ſich rechtfertigen; allein ich ſagte ihm,
ich wuͤrde ſeiner eigenen Vorſchrift folgen, und
ihn nicht nach ſeinen Worten ſondern nach ſeinen
Wercken beurtheilen.

Er antwortete: wenn ſeine Feinde nicht ſo
viel Gewalt in Haͤnden haͤtten, und ſo unbe-
weglich waͤren; wenn ſie nicht, bereits ſo harte
Zwangs-Mittel gebraucht haͤtten, aus denen man
ſchlieſſen muͤßte, daß ſie alles wagen wollten;
wenn ſie mir die Erlaubniß geben wollten, ſelbſt
zu waͤhlen, oder unverheyrathet zu bleiben: ſo
wollte er gern eine Probe-Zeit von einem Jahr
und noch laͤnger aushalten. Allein er wuͤßte ge-
wiß, daß ein eintziger Monath entweder alle Ab-
ſichten der Meinigen erfuͤllen oder zernichten
wuͤrde. Jch wuͤrde ſelbſt am beſten wiſſen, ob
ich einige Hoffnung haͤtte, daß mein Vater nach-
geben wuͤrde. Er glaubte nicht, daß ich die ge-
ringſte haͤtte.

Jch ſagte: ich wollte alle Mittel verſuchen, die
mir der Gehorſahm und die Liebe der Meinigen
gegen mich uͤbrig lieſſen, ehe ich einen fremden
Schutz ſuchte. Wenn alle Mittel fruchtlos waͤ-
ren, ſo wollte ich mich des Gutes, das mir ſo viel

Neyd
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="2">
        <pb facs="#f0435" n="415"/>
        <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b"> <hi rendition="#g">der Clari&#x017F;&#x017F;a.</hi> </hi> </fw><lb/>
        <p>Jch &#x017F;agte: er ha&#x0364;tte alles die&#x017F;es niemand als &#x017F;ich<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t zu dancken, weil er &#x017F;ich durch &#x017F;eine Leicht&#x017F;in-<lb/>
nigkeit &#x017F;elb&#x017F;t einen Vorwurf gemacht ha&#x0364;tte. Es<lb/>
wa&#x0364;re nicht mehr als billig, daß man von einem<lb/>
Men&#x017F;chen u&#x0364;bel redete, der &#x017F;elb&#x017F;t nicht be&#x017F;orgt<lb/>
wa&#x0364;re, &#x017F;einen guten Nahmen zu erhalten.</p><lb/>
        <p>Er wollte &#x017F;ich rechtfertigen; allein ich &#x017F;agte ihm,<lb/>
ich wu&#x0364;rde &#x017F;einer eigenen Vor&#x017F;chrift folgen, und<lb/>
ihn nicht nach &#x017F;einen Worten &#x017F;ondern nach &#x017F;einen<lb/>
Wercken beurtheilen.</p><lb/>
        <p>Er antwortete: wenn &#x017F;eine Feinde nicht &#x017F;o<lb/>
viel Gewalt in Ha&#x0364;nden ha&#x0364;tten, und &#x017F;o unbe-<lb/>
weglich wa&#x0364;ren; wenn &#x017F;ie nicht, bereits &#x017F;o harte<lb/>
Zwangs-Mittel gebraucht ha&#x0364;tten, aus denen man<lb/>
&#x017F;chlie&#x017F;&#x017F;en mu&#x0364;ßte, daß &#x017F;ie alles wagen wollten;<lb/>
wenn &#x017F;ie mir die Erlaubniß geben wollten, &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
zu wa&#x0364;hlen, oder unverheyrathet zu bleiben: &#x017F;o<lb/>
wollte er gern eine Probe-Zeit von einem Jahr<lb/>
und noch la&#x0364;nger aushalten. Allein er wu&#x0364;ßte ge-<lb/>
wiß, daß ein eintziger Monath entweder alle Ab-<lb/>
&#x017F;ichten der Meinigen erfu&#x0364;llen oder zernichten<lb/>
wu&#x0364;rde. Jch wu&#x0364;rde &#x017F;elb&#x017F;t am be&#x017F;ten wi&#x017F;&#x017F;en, ob<lb/>
ich einige Hoffnung ha&#x0364;tte, daß mein Vater nach-<lb/>
geben wu&#x0364;rde. Er glaubte nicht, daß ich die ge-<lb/>
ring&#x017F;te ha&#x0364;tte.</p><lb/>
        <p>Jch &#x017F;agte: ich wollte alle Mittel ver&#x017F;uchen, die<lb/>
mir der Gehor&#x017F;ahm und die Liebe der Meinigen<lb/>
gegen mich u&#x0364;brig lie&#x017F;&#x017F;en, ehe ich einen fremden<lb/>
Schutz &#x017F;uchte. Wenn alle Mittel fruchtlos wa&#x0364;-<lb/>
ren, &#x017F;o wollte ich mich des Gutes, das mir &#x017F;o viel<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Neyd</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[415/0435] der Clariſſa. Jch ſagte: er haͤtte alles dieſes niemand als ſich ſelbſt zu dancken, weil er ſich durch ſeine Leichtſin- nigkeit ſelbſt einen Vorwurf gemacht haͤtte. Es waͤre nicht mehr als billig, daß man von einem Menſchen uͤbel redete, der ſelbſt nicht beſorgt waͤre, ſeinen guten Nahmen zu erhalten. Er wollte ſich rechtfertigen; allein ich ſagte ihm, ich wuͤrde ſeiner eigenen Vorſchrift folgen, und ihn nicht nach ſeinen Worten ſondern nach ſeinen Wercken beurtheilen. Er antwortete: wenn ſeine Feinde nicht ſo viel Gewalt in Haͤnden haͤtten, und ſo unbe- weglich waͤren; wenn ſie nicht, bereits ſo harte Zwangs-Mittel gebraucht haͤtten, aus denen man ſchlieſſen muͤßte, daß ſie alles wagen wollten; wenn ſie mir die Erlaubniß geben wollten, ſelbſt zu waͤhlen, oder unverheyrathet zu bleiben: ſo wollte er gern eine Probe-Zeit von einem Jahr und noch laͤnger aushalten. Allein er wuͤßte ge- wiß, daß ein eintziger Monath entweder alle Ab- ſichten der Meinigen erfuͤllen oder zernichten wuͤrde. Jch wuͤrde ſelbſt am beſten wiſſen, ob ich einige Hoffnung haͤtte, daß mein Vater nach- geben wuͤrde. Er glaubte nicht, daß ich die ge- ringſte haͤtte. Jch ſagte: ich wollte alle Mittel verſuchen, die mir der Gehorſahm und die Liebe der Meinigen gegen mich uͤbrig lieſſen, ehe ich einen fremden Schutz ſuchte. Wenn alle Mittel fruchtlos waͤ- ren, ſo wollte ich mich des Gutes, das mir ſo viel Neyd

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa01_1748
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa01_1748/435
Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 1. Göttingen, 1748, S. 415. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa01_1748/435>, abgerufen am 26.11.2024.