sinnigkeit. Dieses waren ihre gütigen Aus- drücke.
Was für Bewegungs-Gründe er inzwischen haben mogte, eine ihm so ungewöhnliche Gedult zu beweisen, sonderlich bey einer Person, die von ihm für ein hinlängliches Glück gehalten ward, seine Begierde rege zu machen; so ist doch dieses gewiß, daß er hiedurch manchen Verdrießlichkei- ten und Kränkungen entging. Denn weil mein Vater seine Einwilligung bis zu meines Bruders Ankunft aufschob, so erwieß ihm jedermann die Höflichkeiten, die man seinem Stande schuldig war. Wir hörten zwar von Zeit zu Zeit üble Nach- richten von seiner Lebensart, wir konnten ihn aber wegen ihrer Richtigkeit nicht befragen, ohne ihm einen grössern Vortheil über uns und mehr Recht zu geben, als die Klugheit erlaubte. Denn allem Ansehen nach war eine abschlägliche Antwort auf seine Bitte wahrscheinlicher als ein Ja.
Er behielt also einen freyen Zutritt in unser Haus, dessen er sich fast bedienen konnte, wie er nur selbst wollte. Denn da meine Freunde in sei- nem Betragen lauter Ehrerbietigkeit wahrnah- men, und keine ungestüme Heftigkeit bey ihn fan- den, so schienen sie recht vergnügt mit seinem Um- gang zu seyn. Jch aber sahe ihn für weiter nichts, als einen ordentlichen Gast an, und that nicht, als wenn mich sein Besuch näher beträffe, als irgend einen andern im Hause, war auch deswegen bey seinem Kommen und Weggehen nicht mehr als andere, bey der Hand.
Allein
B 5
der Clariſſa.
ſinnigkeit. Dieſes waren ihre guͤtigen Aus- druͤcke.
Was fuͤr Bewegungs-Gruͤnde er inzwiſchen haben mogte, eine ihm ſo ungewoͤhnliche Gedult zu beweiſen, ſonderlich bey einer Perſon, die von ihm fuͤr ein hinlaͤngliches Gluͤck gehalten ward, ſeine Begierde rege zu machen; ſo iſt doch dieſes gewiß, daß er hiedurch manchen Verdrießlichkei- ten und Kraͤnkungen entging. Denn weil mein Vater ſeine Einwilligung bis zu meines Bruders Ankunft aufſchob, ſo erwieß ihm jedermann die Hoͤflichkeiten, die man ſeinem Stande ſchuldig war. Wir hoͤrten zwar von Zeit zu Zeit uͤble Nach- richten von ſeiner Lebensart, wir konnten ihn aber wegen ihrer Richtigkeit nicht befragen, ohne ihm einen groͤſſern Vortheil uͤber uns und mehr Recht zu geben, als die Klugheit erlaubte. Denn allem Anſehen nach war eine abſchlaͤgliche Antwort auf ſeine Bitte wahrſcheinlicher als ein Ja.
Er behielt alſo einen freyen Zutritt in unſer Haus, deſſen er ſich faſt bedienen konnte, wie er nur ſelbſt wollte. Denn da meine Freunde in ſei- nem Betragen lauter Ehrerbietigkeit wahrnah- men, und keine ungeſtuͤme Heftigkeit bey ihn fan- den, ſo ſchienen ſie recht vergnuͤgt mit ſeinem Um- gang zu ſeyn. Jch aber ſahe ihn fuͤr weiter nichts, als einen ordentlichen Gaſt an, und that nicht, als wenn mich ſein Beſuch naͤher betraͤffe, als irgend einen andern im Hauſe, war auch deswegen bey ſeinem Kommen und Weggehen nicht mehr als andere, bey der Hand.
Allein
B 5
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der Clariſſa.
ſinnigkeit. Dieſes waren ihre guͤtigen Aus-
druͤcke.
Was fuͤr Bewegungs-Gruͤnde er inzwiſchen
haben mogte, eine ihm ſo ungewoͤhnliche Gedult
zu beweiſen, ſonderlich bey einer Perſon, die von
ihm fuͤr ein hinlaͤngliches Gluͤck gehalten ward,
ſeine Begierde rege zu machen; ſo iſt doch dieſes
gewiß, daß er hiedurch manchen Verdrießlichkei-
ten und Kraͤnkungen entging. Denn weil mein
Vater ſeine Einwilligung bis zu meines Bruders
Ankunft aufſchob, ſo erwieß ihm jedermann die
Hoͤflichkeiten, die man ſeinem Stande ſchuldig
war. Wir hoͤrten zwar von Zeit zu Zeit uͤble Nach-
richten von ſeiner Lebensart, wir konnten ihn aber
wegen ihrer Richtigkeit nicht befragen, ohne ihm
einen groͤſſern Vortheil uͤber uns und mehr Recht
zu geben, als die Klugheit erlaubte. Denn allem
Anſehen nach war eine abſchlaͤgliche Antwort auf
ſeine Bitte wahrſcheinlicher als ein Ja.
Er behielt alſo einen freyen Zutritt in unſer
Haus, deſſen er ſich faſt bedienen konnte, wie er
nur ſelbſt wollte. Denn da meine Freunde in ſei-
nem Betragen lauter Ehrerbietigkeit wahrnah-
men, und keine ungeſtuͤme Heftigkeit bey ihn fan-
den, ſo ſchienen ſie recht vergnuͤgt mit ſeinem Um-
gang zu ſeyn. Jch aber ſahe ihn fuͤr weiter nichts,
als einen ordentlichen Gaſt an, und that nicht, als
wenn mich ſein Beſuch naͤher betraͤffe, als irgend
einen andern im Hauſe, war auch deswegen bey
ſeinem Kommen und Weggehen nicht mehr als
andere, bey der Hand.
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 1. Göttingen, 1748, S. 25. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa01_1748/45>, abgerufen am 03.12.2024.
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