Die brave Frau kam zu mir herauf, nachdem sie genug in der Schule der Meinigen unterrich- tet war, was sie sagen sollte. Sie erzählte mir alles was vorgegangen war, und drang sehr in mich, daß ich gehorchen sollte. Sie richtete ihre Sache so gut aus, daß ich in der That mehr als jemahls glaubte, sie wäre einer Meinung mit jenen gewor- den. Als sie aber sahe, daß meine Abneigung un- überwindlich war, so bedaurte sie mit mir, daß die Meinigen so unbeweglich auf ihrem Vorsatz beharreten. Sie suchte darauf Gewißheit zu erlan- gen, ob es mein aufrichtiger Ernst sey, daß ich un- verheyrathet bleiben wollte, wenn ich Sosmesen durch dieses Versprechen abkauffen könnte. Als ich ihr das versichert hatte, so sahe sie ein, daß ein solches Anerbieten, welches Lovelacen eben so vollkommen alle Hoffnung würde benommen haben, Annehmens-würdig sey. Sie wollte so gar hinunter gehen, und gleichsahm Bürge für die Aufrichtigkeit meiner Erklärung werden, ob ich ihr gleich sagte, daß ich diesen Antrag fchon mehr als einmahl vergeblich gethan hätte.
Sie ging hinunter, kam aber bald mit Thränen zurück, weil sie über ihr Gewerbe hart angelassen war. Es hieß: sie hätten Recht auf den Gehor- sahm zu dringen, den sie foderten, und nicht den ich anzubieten Lust hätte. Mein Vorschlag sey nut ein Kunstgriff, damit ich Zeit gewinnen woll- te: sie wären mit keiner andern Bedingung zu- frieden, als daß ich Herrn Solmes heyrathete: sie hätten mir dieses schon vorhin gesagt: und
sie
Die Geſchichte
Die brave Frau kam zu mir herauf, nachdem ſie genug in der Schule der Meinigen unterrich- tet war, was ſie ſagen ſollte. Sie erzaͤhlte mir alles was vorgegangen war, und drang ſehr in mich, daß ich gehorchen ſollte. Sie richtete ihre Sache ſo gut aus, daß ich in der That mehr als jemahls glaubte, ſie waͤre einer Meinung mit jenen gewor- den. Als ſie aber ſahe, daß meine Abneigung un- uͤberwindlich war, ſo bedaurte ſie mit mir, daß die Meinigen ſo unbeweglich auf ihrem Vorſatz beharreten. Sie ſuchte darauf Gewißheit zu erlan- gen, ob es mein aufrichtiger Ernſt ſey, daß ich un- verheyrathet bleiben wollte, wenn ich Soſmeſen durch dieſes Verſprechen abkauffen koͤnnte. Als ich ihr das verſichert hatte, ſo ſahe ſie ein, daß ein ſolches Anerbieten, welches Lovelacen eben ſo vollkommen alle Hoffnung wuͤrde benommen haben, Annehmens-wuͤrdig ſey. Sie wollte ſo gar hinunter gehen, und gleichſahm Buͤrge fuͤr die Aufrichtigkeit meiner Erklaͤrung werden, ob ich ihr gleich ſagte, daß ich dieſen Antrag fchon mehr als einmahl vergeblich gethan haͤtte.
Sie ging hinunter, kam aber bald mit Thraͤnen zuruͤck, weil ſie uͤber ihr Gewerbe hart angelaſſen war. Es hieß: ſie haͤtten Recht auf den Gehor- ſahm zu dringen, den ſie foderten, und nicht den ich anzubieten Luſt haͤtte. Mein Vorſchlag ſey nut ein Kunſtgriff, damit ich Zeit gewinnen woll- te: ſie waͤren mit keiner andern Bedingung zu- frieden, als daß ich Herrn Solmes heyrathete: ſie haͤtten mir dieſes ſchon vorhin geſagt: und
ſie
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Die Geſchichte
Die brave Frau kam zu mir herauf, nachdem
ſie genug in der Schule der Meinigen unterrich-
tet war, was ſie ſagen ſollte. Sie erzaͤhlte mir alles
was vorgegangen war, und drang ſehr in mich,
daß ich gehorchen ſollte. Sie richtete ihre Sache
ſo gut aus, daß ich in der That mehr als jemahls
glaubte, ſie waͤre einer Meinung mit jenen gewor-
den. Als ſie aber ſahe, daß meine Abneigung un-
uͤberwindlich war, ſo bedaurte ſie mit mir, daß
die Meinigen ſo unbeweglich auf ihrem Vorſatz
beharreten. Sie ſuchte darauf Gewißheit zu erlan-
gen, ob es mein aufrichtiger Ernſt ſey, daß ich un-
verheyrathet bleiben wollte, wenn ich Soſmeſen
durch dieſes Verſprechen abkauffen koͤnnte. Als
ich ihr das verſichert hatte, ſo ſahe ſie ein, daß
ein ſolches Anerbieten, welches Lovelacen eben
ſo vollkommen alle Hoffnung wuͤrde benommen
haben, Annehmens-wuͤrdig ſey. Sie wollte ſo
gar hinunter gehen, und gleichſahm Buͤrge fuͤr die
Aufrichtigkeit meiner Erklaͤrung werden, ob ich
ihr gleich ſagte, daß ich dieſen Antrag fchon mehr
als einmahl vergeblich gethan haͤtte.
Sie ging hinunter, kam aber bald mit Thraͤnen
zuruͤck, weil ſie uͤber ihr Gewerbe hart angelaſſen
war. Es hieß: ſie haͤtten Recht auf den Gehor-
ſahm zu dringen, den ſie foderten, und nicht den
ich anzubieten Luſt haͤtte. Mein Vorſchlag ſey
nut ein Kunſtgriff, damit ich Zeit gewinnen woll-
te: ſie waͤren mit keiner andern Bedingung zu-
frieden, als daß ich Herrn Solmes heyrathete:
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 1. Göttingen, 1748, S. 436. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa01_1748/456>, abgerufen am 24.11.2024.
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