nichts ausrichtete, so würde er Argwohn schöpfen, daß der verhaßte Mann ein Mittel gefunden hät- te, sie selbst zu gewinnen.
Es verwiesen ihm alle diese unverdiente Be- schuldigung, darüber die gute Frau von Hertzen betrübt war, er setzte indessen noch hinzu, und niemand widersprach ihm darin: wenn sie bey ih- rem süssen Kinde nichts ausrichten könnte, so würde es am besten seyn, daß sie wieder nach Hause gienge, und zu Hause bliebe, bis sie ge- ruffen würde: sie könnte alsdenn ihr süsses Kind, unter der Zucht seines Vaters lassen. (es scheint sie muß mich aus Liebe so genannt haben.)
Jch glaube nicht, daß ein so unverschämter und so unbarmhertziger Bruder, als meiner, zu finden ist. So viel Verleugnung wird von mir erwar- tet! So viel Hochmuth und Grobheit gegen eine so brave und verständige Frau wird an ihm über- sehen und entschuldigt.
Sie antwortete ihm: so lächerlich er es auch vorstellen mögte, daß sie mich ein süsses Kind genannt hätte, so könnte sie doch wohl sagen, daß kein Frauenzimmer dieses Nahmens würdiger wäre. Sie hätte immer gefunden, daß man durch sanfte Mittel alles bey mir ausrichten könnte, selbst alsdenn, wenn ich von anderer Einsicht und Meinung wäre.
Meine Base Hervey sagte hierauf: es sey werth das weiter zu überlegen, was Frau Nor- ron gesagt hätte: es sey ihr selbst bisweilen ein Zweifel aufgestiegen, ob man zu Anfang die Mit-
tel
Die Geſchichte
nichts ausrichtete, ſo wuͤrde er Argwohn ſchoͤpfen, daß der verhaßte Mann ein Mittel gefunden haͤt- te, ſie ſelbſt zu gewinnen.
Es verwieſen ihm alle dieſe unverdiente Be- ſchuldigung, daruͤber die gute Frau von Hertzen betruͤbt war, er ſetzte indeſſen noch hinzu, und niemand widerſprach ihm darin: wenn ſie bey ih- rem ſuͤſſen Kinde nichts ausrichten koͤnnte, ſo wuͤrde es am beſten ſeyn, daß ſie wieder nach Hauſe gienge, und zu Hauſe bliebe, bis ſie ge- ruffen wuͤrde: ſie koͤnnte alsdenn ihr ſuͤſſes Kind, unter der Zucht ſeines Vaters laſſen. (es ſcheint ſie muß mich aus Liebe ſo genannt haben.)
Jch glaube nicht, daß ein ſo unverſchaͤmter und ſo unbarmhertziger Bruder, als meiner, zu finden iſt. So viel Verleugnung wird von mir erwar- tet! So viel Hochmuth und Grobheit gegen eine ſo brave und verſtaͤndige Frau wird an ihm uͤber- ſehen und entſchuldigt.
Sie antwortete ihm: ſo laͤcherlich er es auch vorſtellen moͤgte, daß ſie mich ein ſuͤſſes Kind genannt haͤtte, ſo koͤnnte ſie doch wohl ſagen, daß kein Frauenzimmer dieſes Nahmens wuͤrdiger waͤre. Sie haͤtte immer gefunden, daß man durch ſanfte Mittel alles bey mir ausrichten koͤnnte, ſelbſt alsdenn, wenn ich von anderer Einſicht und Meinung waͤre.
Meine Baſe Hervey ſagte hierauf: es ſey werth das weiter zu uͤberlegen, was Frau Nor- ron geſagt haͤtte: es ſey ihr ſelbſt bisweilen ein Zweifel aufgeſtiegen, ob man zu Anfang die Mit-
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Die Geſchichte
nichts ausrichtete, ſo wuͤrde er Argwohn ſchoͤpfen,
daß der verhaßte Mann ein Mittel gefunden haͤt-
te, ſie ſelbſt zu gewinnen.
Es verwieſen ihm alle dieſe unverdiente Be-
ſchuldigung, daruͤber die gute Frau von Hertzen
betruͤbt war, er ſetzte indeſſen noch hinzu, und
niemand widerſprach ihm darin: wenn ſie bey ih-
rem ſuͤſſen Kinde nichts ausrichten koͤnnte, ſo
wuͤrde es am beſten ſeyn, daß ſie wieder nach
Hauſe gienge, und zu Hauſe bliebe, bis ſie ge-
ruffen wuͤrde: ſie koͤnnte alsdenn ihr ſuͤſſes Kind,
unter der Zucht ſeines Vaters laſſen. (es ſcheint
ſie muß mich aus Liebe ſo genannt haben.)
Jch glaube nicht, daß ein ſo unverſchaͤmter und
ſo unbarmhertziger Bruder, als meiner, zu finden
iſt. So viel Verleugnung wird von mir erwar-
tet! So viel Hochmuth und Grobheit gegen eine
ſo brave und verſtaͤndige Frau wird an ihm uͤber-
ſehen und entſchuldigt.
Sie antwortete ihm: ſo laͤcherlich er es auch
vorſtellen moͤgte, daß ſie mich ein ſuͤſſes Kind
genannt haͤtte, ſo koͤnnte ſie doch wohl ſagen, daß
kein Frauenzimmer dieſes Nahmens wuͤrdiger
waͤre. Sie haͤtte immer gefunden, daß man
durch ſanfte Mittel alles bey mir ausrichten
koͤnnte, ſelbſt alsdenn, wenn ich von anderer
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Meine Baſe Hervey ſagte hierauf: es ſey
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 1. Göttingen, 1748, S. 438. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa01_1748/458>, abgerufen am 24.11.2024.
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