Sie können dencken, wie sehr mich dieser Brief rühren musste, dessen fürchterlicher Jnhalt mir so liebreich an das Hertz geleget ward. Setzen Sie sich einmahl an meine Stelle. Jch dachte mit Schmertzen bey mir selbst: warum soll ich einen so beschwerlichen Kampf zwischen der Unmöglichkeit diesen Befehl zu erfüllen, und zwischen so gütigen, so herabgelasienen, so beweglichen Worten einer Mutter, erfahren. Jch glaube, ich hätte mich gern lassen vor den Altar führen, wenn ich nur zum voraus versichert seyn könnte, daß ich vor dem Al- tar sterben würde, ehe die Trauung vollzogen wä- re, und dem Solmes ein Recht über mich gege- ben hätte. Allein wenn ich daran dencke, daß ich mit einem Manne mein Leben zubringen soll, und für einen Mann leben soll, der mir unleydlich ist! wie hart ist das!
Wie kann man die Pracht der Kleider für einen Bewegungs-Grund halten, dadurch ich gerühret werden soll? da ich immer geglaubt habe, daß ei- ne rechtschaffene Frau ihren Leib in keiner andern Absicht mit Kleidern schmücken müsse, als ihrem Manne zu gefallen, und seine Wahl bey andern die sie sehen zu rechtfertigen; und daß sie sich dabey hüten soll, nicht anderer Augen auf sich zu ziehen. Müssen nicht selbst diese reichen Stoffe meinen Un- muth veremehren? Wer kann ohne Misvergnügen darauf dencken, sich zu putzen um Herrn Solme- sens werth zu seyn?
Es war mir ohnmöglich auf die vorgeschriebene Bedingung hinunter zu gehen. Können Sie es
für
Die Geſchichte
Sie koͤnnen dencken, wie ſehr mich dieſer Brief ruͤhren muſſte, deſſen fuͤrchterlicher Jnhalt mir ſo liebreich an das Hertz geleget ward. Setzen Sie ſich einmahl an meine Stelle. Jch dachte mit Schmertzen bey mir ſelbſt: warum ſoll ich einen ſo beſchwerlichen Kampf zwiſchen der Unmoͤglichkeit dieſen Befehl zu erfuͤllen, und zwiſchen ſo guͤtigen, ſo herabgelaſienen, ſo beweglichen Worten einer Mutter, erfahren. Jch glaube, ich haͤtte mich gern laſſen vor den Altar fuͤhren, wenn ich nur zum voraus verſichert ſeyn koͤnnte, daß ich vor dem Al- tar ſterben wuͤrde, ehe die Trauung vollzogen waͤ- re, und dem Solmes ein Recht uͤber mich gege- ben haͤtte. Allein wenn ich daran dencke, daß ich mit einem Manne mein Leben zubringen ſoll, und fuͤr einen Mann leben ſoll, der mir unleydlich iſt! wie hart iſt das!
Wie kann man die Pracht der Kleider fuͤr einen Bewegungs-Grund halten, dadurch ich geruͤhret werden ſoll? da ich immer geglaubt habe, daß ei- ne rechtſchaffene Frau ihren Leib in keiner andern Abſicht mit Kleidern ſchmuͤcken muͤſſe, als ihrem Manne zu gefallen, und ſeine Wahl bey andern die ſie ſehen zu rechtfertigen; und daß ſie ſich dabey huͤten ſoll, nicht anderer Augen auf ſich zu ziehen. Muͤſſen nicht ſelbſt dieſe reichen Stoffe meinen Un- muth veremehren? Wer kann ohne Misvergnuͤgen darauf dencken, ſich zu putzen um Herrn Solme- ſens werth zu ſeyn?
Es war mir ohnmoͤglich auf die vorgeſchriebene Bedingung hinunter zu gehen. Koͤnnen Sie es
fuͤr
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Die Geſchichte
Sie koͤnnen dencken, wie ſehr mich dieſer Brief
ruͤhren muſſte, deſſen fuͤrchterlicher Jnhalt mir ſo
liebreich an das Hertz geleget ward. Setzen Sie
ſich einmahl an meine Stelle. Jch dachte mit
Schmertzen bey mir ſelbſt: warum ſoll ich einen ſo
beſchwerlichen Kampf zwiſchen der Unmoͤglichkeit
dieſen Befehl zu erfuͤllen, und zwiſchen ſo guͤtigen,
ſo herabgelaſienen, ſo beweglichen Worten einer
Mutter, erfahren. Jch glaube, ich haͤtte mich
gern laſſen vor den Altar fuͤhren, wenn ich nur zum
voraus verſichert ſeyn koͤnnte, daß ich vor dem Al-
tar ſterben wuͤrde, ehe die Trauung vollzogen waͤ-
re, und dem Solmes ein Recht uͤber mich gege-
ben haͤtte. Allein wenn ich daran dencke, daß ich
mit einem Manne mein Leben zubringen ſoll, und
fuͤr einen Mann leben ſoll, der mir unleydlich iſt!
wie hart iſt das!
Wie kann man die Pracht der Kleider fuͤr einen
Bewegungs-Grund halten, dadurch ich geruͤhret
werden ſoll? da ich immer geglaubt habe, daß ei-
ne rechtſchaffene Frau ihren Leib in keiner andern
Abſicht mit Kleidern ſchmuͤcken muͤſſe, als ihrem
Manne zu gefallen, und ſeine Wahl bey andern
die ſie ſehen zu rechtfertigen; und daß ſie ſich dabey
huͤten ſoll, nicht anderer Augen auf ſich zu ziehen.
Muͤſſen nicht ſelbſt dieſe reichen Stoffe meinen Un-
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 1. Göttingen, 1748, S. 472. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa01_1748/492>, abgerufen am 23.11.2024.
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