Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 2. Göttingen, 1748.

Bild:
<< vorherige Seite

der Clarissa.
nicht auch seine natürliche Hefftigkeit wenigstens
einigermassen überwunden haben? Es ist mei-
ner Einsicht nach der Anfang zur Besserung,
daß man über die plötzlichen Anfälle seiner Lei-
denschafften, aus denen oft das grösseste Unheil
entsteht, Meister werde, und daß man lerne es
zu ertragen, wenn Dinge anders lauffen als man
hoffete und wünschete. Was soll man von ei-
nem, der noch nicht seinen Zorn bändigen kan,
in Absicht auf diejenigen Leidenschafften für Hoff-
nung haben, deren Versuchung noch stärcker zu
seyn pflegt, und die durch die Gewohnheit und
lange Uebung mächtiger geworden sind?

Jch bitte Sie, mein Schatz, haben Sie die
Gütigkeit, sich nach den Verkleidungen zu er-
kundigen, durch die sich Herr Lovelace in sei-
nem Wirthshause unkenntlich zu machen sucht.
Es soll in einem schlechten Dorfe liegen, wel-
ches er Neale nennet. Wenn es das Dorf ist,
dafür ich es halte, so habe ich immer gegläubt,
es wäre so klein, daß es nicht einmahl einen Nah-
men hätte, und ich habe nie von einem Wirths-
hause, das darin seyn sollte, gehört. Da er sich
viel dort aufhalten muß, um immer in der Nä-
he zu seyn, so möchte ich gern einige Nachricht
von seiner Aufführung haben, und was die Leute
dort von ihm halten. Jn so langer Zeit muß
er sich entweder durch ärgerliche Handlungen
blos geben, oder man muß seine Besserung mer-
cken können. Jch bitte Sie, seyn Sie mir so
viel zu Willen, und erkundigen Sie sich genau

nach
N 3

der Clariſſa.
nicht auch ſeine natuͤrliche Hefftigkeit wenigſtens
einigermaſſen uͤberwunden haben? Es iſt mei-
ner Einſicht nach der Anfang zur Beſſerung,
daß man uͤber die ploͤtzlichen Anfaͤlle ſeiner Lei-
denſchafften, aus denen oft das groͤſſeſte Unheil
entſteht, Meiſter werde, und daß man lerne es
zu ertragen, wenn Dinge anders lauffen als man
hoffete und wuͤnſchete. Was ſoll man von ei-
nem, der noch nicht ſeinen Zorn baͤndigen kan,
in Abſicht auf diejenigen Leidenſchafften fuͤr Hoff-
nung haben, deren Verſuchung noch ſtaͤrcker zu
ſeyn pflegt, und die durch die Gewohnheit und
lange Uebung maͤchtiger geworden ſind?

Jch bitte Sie, mein Schatz, haben Sie die
Guͤtigkeit, ſich nach den Verkleidungen zu er-
kundigen, durch die ſich Herr Lovelace in ſei-
nem Wirthshauſe unkenntlich zu machen ſucht.
Es ſoll in einem ſchlechten Dorfe liegen, wel-
ches er Neale nennet. Wenn es das Dorf iſt,
dafuͤr ich es halte, ſo habe ich immer geglaͤubt,
es waͤre ſo klein, daß es nicht einmahl einen Nah-
men haͤtte, und ich habe nie von einem Wirths-
hauſe, das darin ſeyn ſollte, gehoͤrt. Da er ſich
viel dort aufhalten muß, um immer in der Naͤ-
he zu ſeyn, ſo moͤchte ich gern einige Nachricht
von ſeiner Auffuͤhrung haben, und was die Leute
dort von ihm halten. Jn ſo langer Zeit muß
er ſich entweder durch aͤrgerliche Handlungen
blos geben, oder man muß ſeine Beſſerung mer-
cken koͤnnen. Jch bitte Sie, ſeyn Sie mir ſo
viel zu Willen, und erkundigen Sie ſich genau

nach
N 3
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0203" n="197"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b"><hi rendition="#g">der Clari&#x017F;&#x017F;a</hi>.</hi></fw><lb/>
nicht auch &#x017F;eine natu&#x0364;rliche Hefftigkeit wenig&#x017F;tens<lb/>
einigerma&#x017F;&#x017F;en u&#x0364;berwunden haben? Es i&#x017F;t mei-<lb/>
ner Ein&#x017F;icht nach der Anfang zur Be&#x017F;&#x017F;erung,<lb/>
daß man u&#x0364;ber die plo&#x0364;tzlichen Anfa&#x0364;lle &#x017F;einer Lei-<lb/>
den&#x017F;chafften, aus denen oft das gro&#x0364;&#x017F;&#x017F;e&#x017F;te Unheil<lb/>
ent&#x017F;teht, Mei&#x017F;ter werde, und daß man lerne es<lb/>
zu ertragen, wenn Dinge anders lauffen als man<lb/>
hoffete und wu&#x0364;n&#x017F;chete. Was &#x017F;oll man von ei-<lb/>
nem, der noch nicht &#x017F;einen Zorn ba&#x0364;ndigen kan,<lb/>
in Ab&#x017F;icht auf diejenigen Leiden&#x017F;chafften fu&#x0364;r Hoff-<lb/>
nung haben, deren Ver&#x017F;uchung noch &#x017F;ta&#x0364;rcker zu<lb/>
&#x017F;eyn pflegt, und die durch die Gewohnheit und<lb/>
lange Uebung ma&#x0364;chtiger geworden &#x017F;ind?</p><lb/>
          <p>Jch bitte Sie, mein Schatz, haben Sie die<lb/>
Gu&#x0364;tigkeit, &#x017F;ich nach den Verkleidungen zu er-<lb/>
kundigen, durch die &#x017F;ich Herr <hi rendition="#fr">Lovelace</hi> in &#x017F;ei-<lb/>
nem Wirthshau&#x017F;e unkenntlich zu machen &#x017F;ucht.<lb/>
Es &#x017F;oll in einem &#x017F;chlechten Dorfe liegen, wel-<lb/>
ches er Neale nennet. Wenn es das Dorf i&#x017F;t,<lb/>
dafu&#x0364;r ich es halte, &#x017F;o habe ich immer gegla&#x0364;ubt,<lb/>
es wa&#x0364;re &#x017F;o klein, daß es nicht einmahl einen Nah-<lb/>
men ha&#x0364;tte, und ich habe nie von einem Wirths-<lb/>
hau&#x017F;e, das darin &#x017F;eyn &#x017F;ollte, geho&#x0364;rt. Da er &#x017F;ich<lb/>
viel dort aufhalten muß, um immer in der Na&#x0364;-<lb/>
he zu &#x017F;eyn, &#x017F;o mo&#x0364;chte ich gern einige Nachricht<lb/>
von &#x017F;einer Auffu&#x0364;hrung haben, und was die Leute<lb/>
dort von ihm halten. Jn &#x017F;o langer Zeit muß<lb/>
er &#x017F;ich entweder durch a&#x0364;rgerliche Handlungen<lb/>
blos geben, oder man muß &#x017F;eine Be&#x017F;&#x017F;erung mer-<lb/>
cken ko&#x0364;nnen. Jch bitte Sie, &#x017F;eyn Sie mir &#x017F;o<lb/>
viel zu Willen, und erkundigen Sie &#x017F;ich genau<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">N 3</fw><fw place="bottom" type="catch">nach</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[197/0203] der Clariſſa. nicht auch ſeine natuͤrliche Hefftigkeit wenigſtens einigermaſſen uͤberwunden haben? Es iſt mei- ner Einſicht nach der Anfang zur Beſſerung, daß man uͤber die ploͤtzlichen Anfaͤlle ſeiner Lei- denſchafften, aus denen oft das groͤſſeſte Unheil entſteht, Meiſter werde, und daß man lerne es zu ertragen, wenn Dinge anders lauffen als man hoffete und wuͤnſchete. Was ſoll man von ei- nem, der noch nicht ſeinen Zorn baͤndigen kan, in Abſicht auf diejenigen Leidenſchafften fuͤr Hoff- nung haben, deren Verſuchung noch ſtaͤrcker zu ſeyn pflegt, und die durch die Gewohnheit und lange Uebung maͤchtiger geworden ſind? Jch bitte Sie, mein Schatz, haben Sie die Guͤtigkeit, ſich nach den Verkleidungen zu er- kundigen, durch die ſich Herr Lovelace in ſei- nem Wirthshauſe unkenntlich zu machen ſucht. Es ſoll in einem ſchlechten Dorfe liegen, wel- ches er Neale nennet. Wenn es das Dorf iſt, dafuͤr ich es halte, ſo habe ich immer geglaͤubt, es waͤre ſo klein, daß es nicht einmahl einen Nah- men haͤtte, und ich habe nie von einem Wirths- hauſe, das darin ſeyn ſollte, gehoͤrt. Da er ſich viel dort aufhalten muß, um immer in der Naͤ- he zu ſeyn, ſo moͤchte ich gern einige Nachricht von ſeiner Auffuͤhrung haben, und was die Leute dort von ihm halten. Jn ſo langer Zeit muß er ſich entweder durch aͤrgerliche Handlungen blos geben, oder man muß ſeine Beſſerung mer- cken koͤnnen. Jch bitte Sie, ſeyn Sie mir ſo viel zu Willen, und erkundigen Sie ſich genau nach N 3

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa02_1748
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa02_1748/203
Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 2. Göttingen, 1748, S. 197. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa02_1748/203>, abgerufen am 24.11.2024.