ich dieses merckete, so ließ ich einmahl unter der Zeit, da ich spatzieren gieng, den Schlüssel stecken; und fand sie bey meiner Zurückkunft, daß sie den Schlüssel noch in der Hand hatte, als wollte sie die Thür zuschliessen, Sie erschrack sich darüber, daß ich so bald zurück kam, ich aber ließ mir nichts mercken. Allein ich fand, daß meine Kleider nicht in ihter Ordnung lagen.
Jch zweiffelte nunmehr nicht daran, daß ihre Neugierde nicht von einem ihr gegebenen Befehl herrühren sollte: und weil ich befürchtete, daß mir das Spatzierengehen im Garten verboten werden möchte, wenn ich nicht allen Argwohn zu vermei- den suchte, so habe ich seit der Zeit unter andern Kunstgriffen auch diesen gebraucht, daß ich die Schlüssel oft stecken lasse, und das Mädchen so gar gebrauche, die Kleider heraus zu nehmen, aus Bey- sorge, (wie ich vorgebe) daß sie voll Falten werden, oder sonst Schaden leiden möchten, und um zu ver- hüten, daß das Silber nicht schmutzig werde. Jch gebe dieses wohl bisweilen für meinen Zeit-Ver- treib aus, den ich wählen müßte, weil ich sonst nichtszu thun habe. Mich dünckt, daß sie bey die- ser Beschäfftigung immer so vergnügt aussahe, als wenn sie dadurch einen Zweck erreichet hätte, der ihr mit aufgetragen wäre. Vielleicht hat die Ei- telkeit unsers Geschlechts, die sich bey hohen und niedern findet, daß sie gern schöne Kleider sehen, auch einen Theil an ihrem Vergnügen gehabt.
Jch mag wohl die Freyheit, spatzieren zu gehen, nur deswegen behalten haben, weil sich meine Ge-
schwi-
der Clariſſa.
ich dieſes merckete, ſo ließ ich einmahl unter der Zeit, da ich ſpatzieren gieng, den Schluͤſſel ſtecken; und fand ſie bey meiner Zuruͤckkunft, daß ſie den Schluͤſſel noch in der Hand hatte, als wollte ſie die Thuͤr zuſchlieſſen, Sie erſchrack ſich daruͤber, daß ich ſo bald zuruͤck kam, ich aber ließ mir nichts mercken. Allein ich fand, daß meine Kleider nicht in ihter Ordnung lagen.
Jch zweiffelte nunmehr nicht daran, daß ihre Neugierde nicht von einem ihr gegebenen Befehl herruͤhren ſollte: und weil ich befuͤrchtete, daß mir das Spatzierengehen im Garten verboten werden moͤchte, wenn ich nicht allen Argwohn zu vermei- den ſuchte, ſo habe ich ſeit der Zeit unter andern Kunſtgriffen auch dieſen gebraucht, daß ich die Schluͤſſel oft ſtecken laſſe, und das Maͤdchen ſo gar gebrauche, die Kleider heraus zu nehmen, aus Bey- ſorge, (wie ich vorgebe) daß ſie voll Falten werden, oder ſonſt Schaden leiden moͤchten, und um zu ver- huͤten, daß das Silber nicht ſchmutzig werde. Jch gebe dieſes wohl bisweilen fuͤr meinen Zeit-Ver- treib aus, den ich waͤhlen muͤßte, weil ich ſonſt nichtszu thun habe. Mich duͤnckt, daß ſie bey die- ſer Beſchaͤfftigung immer ſo vergnuͤgt ausſahe, als wenn ſie dadurch einen Zweck erreichet haͤtte, der ihr mit aufgetragen waͤre. Vielleicht hat die Ei- telkeit unſers Geſchlechts, die ſich bey hohen und niedern findet, daß ſie gern ſchoͤne Kleider ſehen, auch einen Theil an ihrem Vergnuͤgen gehabt.
Jch mag wohl die Freyheit, ſpatzieren zu gehen, nur deswegen behalten haben, weil ſich meine Ge-
ſchwi-
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der Clariſſa.
ich dieſes merckete, ſo ließ ich einmahl unter der
Zeit, da ich ſpatzieren gieng, den Schluͤſſel ſtecken;
und fand ſie bey meiner Zuruͤckkunft, daß ſie den
Schluͤſſel noch in der Hand hatte, als wollte ſie
die Thuͤr zuſchlieſſen, Sie erſchrack ſich daruͤber,
daß ich ſo bald zuruͤck kam, ich aber ließ mir nichts
mercken. Allein ich fand, daß meine Kleider
nicht in ihter Ordnung lagen.
Jch zweiffelte nunmehr nicht daran, daß ihre
Neugierde nicht von einem ihr gegebenen Befehl
herruͤhren ſollte: und weil ich befuͤrchtete, daß mir
das Spatzierengehen im Garten verboten werden
moͤchte, wenn ich nicht allen Argwohn zu vermei-
den ſuchte, ſo habe ich ſeit der Zeit unter andern
Kunſtgriffen auch dieſen gebraucht, daß ich die
Schluͤſſel oft ſtecken laſſe, und das Maͤdchen ſo gar
gebrauche, die Kleider heraus zu nehmen, aus Bey-
ſorge, (wie ich vorgebe) daß ſie voll Falten werden,
oder ſonſt Schaden leiden moͤchten, und um zu ver-
huͤten, daß das Silber nicht ſchmutzig werde. Jch
gebe dieſes wohl bisweilen fuͤr meinen Zeit-Ver-
treib aus, den ich waͤhlen muͤßte, weil ich ſonſt
nichtszu thun habe. Mich duͤnckt, daß ſie bey die-
ſer Beſchaͤfftigung immer ſo vergnuͤgt ausſahe, als
wenn ſie dadurch einen Zweck erreichet haͤtte, der
ihr mit aufgetragen waͤre. Vielleicht hat die Ei-
telkeit unſers Geſchlechts, die ſich bey hohen und
niedern findet, daß ſie gern ſchoͤne Kleider ſehen,
auch einen Theil an ihrem Vergnuͤgen gehabt.
Jch mag wohl die Freyheit, ſpatzieren zu gehen,
nur deswegen behalten haben, weil ſich meine Ge-
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 2. Göttingen, 1748, S. 237. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa02_1748/243>, abgerufen am 21.11.2024.
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