"zu erwarten haben würde, wenn ich in seiner "Gewalt wäre."
"Jch bezeuge ihm mein äusserstes Misfallen, "an den Kunst-Griffen, deren er sich bedienet, "Familien-Geheimnisse zu erforschen. Es sey "nur eine schlechte Entschuldigung, wenn man "vorgiebt, daß man anderer Leute Bediente nach "dem Rechte, der Wieder-Vergeltung besteche, "weil jene Spionen auf uns gehalten hätten. "Dieses heisse, Niederträchtigkeit durch Nieder- "trächtigkeit rechtfertigen."
"Jede Handlung sey entweder recht oder "unrecht, was vor Auslegungen und Verdre- "hungen auch die Leute machen möchten. Das "Unrecht verdammen, und es durch ein eben so "grosses Unrecht vergelten, sey nichts anders, "als das Verderben und das Laster allgemeiner "machen. Es möchten noch so viele ein Unrecht "begangen haben, so müsse doch endlich jemand "seyn, der es nicht weiter fortpflantzete, oder "die Tugend und das Recht würden von dem "Erdboden vertilget werden. Ein jedes arti- "ges Gemüth würde hiebey dencken: soll ich es "nicht seyn/ bey dem das Unrecht stille "stehet?"
"Jch überlasse ihm selbst, daß er sein Gemüth "nach dieser Regel erforschen möge, ob es artig "oder unartig sey? Jch frage ihn; ob es wohl "für mich rathsam sey, ihm einige Hoffnung zu "machen, nachdem ich seinen hitzigen Kopf ken- "ne, und so wenig Wahrscheinlichkeit vor mir se-
"he,
Die Geſchichte
„zu erwarten haben wuͤrde, wenn ich in ſeiner „Gewalt waͤre.„
„Jch bezeuge ihm mein aͤuſſerſtes Misfallen, „an den Kunſt-Griffen, deren er ſich bedienet, „Familien-Geheimniſſe zu erforſchen. Es ſey „nur eine ſchlechte Entſchuldigung, wenn man „vorgiebt, daß man anderer Leute Bediente nach „dem Rechte, der Wieder-Vergeltung beſteche, „weil jene Spionen auf uns gehalten haͤtten. „Dieſes heiſſe, Niedertraͤchtigkeit durch Nieder- „traͤchtigkeit rechtfertigen.„
„Jede Handlung ſey entweder recht oder „unrecht, was vor Auslegungen und Verdre- „hungen auch die Leute machen moͤchten. Das „Unrecht verdammen, und es durch ein eben ſo „groſſes Unrecht vergelten, ſey nichts anders, „als das Verderben und das Laſter allgemeiner „machen. Es moͤchten noch ſo viele ein Unrecht „begangen haben, ſo muͤſſe doch endlich jemand „ſeyn, der es nicht weiter fortpflantzete, oder „die Tugend und das Recht wuͤrden von dem „Erdboden vertilget werden. Ein jedes arti- „ges Gemuͤth wuͤrde hiebey dencken: ſoll ich es „nicht ſeyn/ bey dem das Unrecht ſtille „ſtehet?„
„Jch uͤberlaſſe ihm ſelbſt, daß er ſein Gemuͤth „nach dieſer Regel erforſchen moͤge, ob es artig „oder unartig ſey? Jch frage ihn; ob es wohl „fuͤr mich rathſam ſey, ihm einige Hoffnung zu „machen, nachdem ich ſeinen hitzigen Kopf ken- „ne, und ſo wenig Wahrſcheinlichkeit vor mir ſe-
„he,
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Die Geſchichte
„zu erwarten haben wuͤrde, wenn ich in ſeiner
„Gewalt waͤre.„
„Jch bezeuge ihm mein aͤuſſerſtes Misfallen,
„an den Kunſt-Griffen, deren er ſich bedienet,
„Familien-Geheimniſſe zu erforſchen. Es ſey
„nur eine ſchlechte Entſchuldigung, wenn man
„vorgiebt, daß man anderer Leute Bediente nach
„dem Rechte, der Wieder-Vergeltung beſteche,
„weil jene Spionen auf uns gehalten haͤtten.
„Dieſes heiſſe, Niedertraͤchtigkeit durch Nieder-
„traͤchtigkeit rechtfertigen.„
„Jede Handlung ſey entweder recht oder
„unrecht, was vor Auslegungen und Verdre-
„hungen auch die Leute machen moͤchten. Das
„Unrecht verdammen, und es durch ein eben ſo
„groſſes Unrecht vergelten, ſey nichts anders,
„als das Verderben und das Laſter allgemeiner
„machen. Es moͤchten noch ſo viele ein Unrecht
„begangen haben, ſo muͤſſe doch endlich jemand
„ſeyn, der es nicht weiter fortpflantzete, oder
„die Tugend und das Recht wuͤrden von dem
„Erdboden vertilget werden. Ein jedes arti-
„ges Gemuͤth wuͤrde hiebey dencken: ſoll ich es
„nicht ſeyn/ bey dem das Unrecht ſtille
„ſtehet?„
„Jch uͤberlaſſe ihm ſelbſt, daß er ſein Gemuͤth
„nach dieſer Regel erforſchen moͤge, ob es artig
„oder unartig ſey? Jch frage ihn; ob es wohl
„fuͤr mich rathſam ſey, ihm einige Hoffnung zu
„machen, nachdem ich ſeinen hitzigen Kopf ken-
„ne, und ſo wenig Wahrſcheinlichkeit vor mir ſe-
„he,
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 2. Göttingen, 1748, S. 264. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa02_1748/270>, abgerufen am 22.11.2024.
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