Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 2. Göttingen, 1748.

Bild:
<< vorherige Seite
der Clarissa.

Konnte ich nun den Besuch meines Onckles
wol als ein Zeichen seiner Liebe gegen mich und
als eine Wohlthat ansehen? So begierig ich
auch war, dieses zu thun, so ohnmöglich war es
mir. Als ich sahe, daß er alle Gelegenheit ver-
mied, sich über meine bisherige Aufführung zu
beschweren, so that ich dieses gleichfalls, und un-
terhielt mich mit ihm von lauter Dingen die
uns nicht angiengen. Er schien bald dieses bald
jenes zu bewundern, als wenn er es noch niemahls
gesehen hätte: und ließ sich bisweilen so weit her-
ab, die Hand zu küssen, auf deren Arbeit seine
Augen gerichtet waren, um eine Materie der
Unterredung zu finden, die uns die Sache aus
dem Sinne bringen möchte, die er im Kopfe und
ich im Hertzen hatte.

Als er wegging, sagte er: wie kan ich sie hier
allein lassen, meine liebste Base! Sie pflegten
uns alle durch ihre Gesellschaft aufzumuntern.
Niemand ist sich jetzt vermuthen, daß sie herun-
ter kommen werden; allein ich habe grosse Lust,
ihre Eltern auf eine angenehme Weise zu über-
fallen! Wenn ich nur wüßte, daß nichts unan-
genehmes daraus erfolgen möchte! O mein Kind!
mein Hertz! (Wie konnte sich mein Onckle, mein
lieber allzukünstlicher Onckle, so verstellen!) Was
sagen sie? Wollen sie mir ihre Hand geben?
Wollen sie ihren Vater sprechen? Sind sie im
Stande, seine erste Hitze zu ertragen, wenn er
das liebenswürdige Kind sehen wird, das ihm

und
S 5
der Clariſſa.

Konnte ich nun den Beſuch meines Onckles
wol als ein Zeichen ſeiner Liebe gegen mich und
als eine Wohlthat anſehen? So begierig ich
auch war, dieſes zu thun, ſo ohnmoͤglich war es
mir. Als ich ſahe, daß er alle Gelegenheit ver-
mied, ſich uͤber meine bisherige Auffuͤhrung zu
beſchweren, ſo that ich dieſes gleichfalls, und un-
terhielt mich mit ihm von lauter Dingen die
uns nicht angiengen. Er ſchien bald dieſes bald
jenes zu bewundern, als wenn er es noch niemahls
geſehen haͤtte: und ließ ſich bisweilen ſo weit her-
ab, die Hand zu kuͤſſen, auf deren Arbeit ſeine
Augen gerichtet waren, um eine Materie der
Unterredung zu finden, die uns die Sache aus
dem Sinne bringen moͤchte, die er im Kopfe und
ich im Hertzen hatte.

Als er wegging, ſagte er: wie kan ich ſie hier
allein laſſen, meine liebſte Baſe! Sie pflegten
uns alle durch ihre Geſellſchaft aufzumuntern.
Niemand iſt ſich jetzt vermuthen, daß ſie herun-
ter kommen werden; allein ich habe groſſe Luſt,
ihre Eltern auf eine angenehme Weiſe zu uͤber-
fallen! Wenn ich nur wuͤßte, daß nichts unan-
genehmes daraus erfolgen moͤchte! O mein Kind!
mein Hertz! (Wie konnte ſich mein Onckle, mein
lieber allzukuͤnſtlicher Onckle, ſo verſtellen!) Was
ſagen ſie? Wollen ſie mir ihre Hand geben?
Wollen ſie ihren Vater ſprechen? Sind ſie im
Stande, ſeine erſte Hitze zu ertragen, wenn er
das liebenswuͤrdige Kind ſehen wird, das ihm

und
S 5
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0287" n="281"/>
          <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b"><hi rendition="#g">der Clari&#x017F;&#x017F;a</hi>.</hi> </fw><lb/>
          <p>Konnte ich nun den Be&#x017F;uch meines Onckles<lb/>
wol als ein Zeichen &#x017F;einer Liebe gegen mich und<lb/>
als eine Wohlthat an&#x017F;ehen? So begierig ich<lb/>
auch war, die&#x017F;es zu thun, &#x017F;o ohnmo&#x0364;glich war es<lb/>
mir. Als ich &#x017F;ahe, daß er alle Gelegenheit ver-<lb/>
mied, &#x017F;ich u&#x0364;ber meine bisherige Auffu&#x0364;hrung zu<lb/>
be&#x017F;chweren, &#x017F;o that ich die&#x017F;es gleichfalls, und un-<lb/>
terhielt mich mit ihm von lauter Dingen die<lb/>
uns nicht angiengen. Er &#x017F;chien bald die&#x017F;es bald<lb/>
jenes zu bewundern, als wenn er es noch niemahls<lb/>
ge&#x017F;ehen ha&#x0364;tte: und ließ &#x017F;ich bisweilen &#x017F;o weit her-<lb/>
ab, die Hand zu ku&#x0364;&#x017F;&#x017F;en, auf deren Arbeit &#x017F;eine<lb/>
Augen gerichtet waren, um eine Materie der<lb/>
Unterredung zu finden, die uns die Sache aus<lb/>
dem Sinne bringen mo&#x0364;chte, die er im Kopfe und<lb/>
ich im Hertzen hatte.</p><lb/>
          <p>Als er wegging, &#x017F;agte er: wie kan ich &#x017F;ie hier<lb/>
allein la&#x017F;&#x017F;en, meine lieb&#x017F;te Ba&#x017F;e! Sie pflegten<lb/>
uns alle durch ihre Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft aufzumuntern.<lb/>
Niemand i&#x017F;t &#x017F;ich jetzt vermuthen, daß &#x017F;ie herun-<lb/>
ter kommen werden; allein ich habe gro&#x017F;&#x017F;e Lu&#x017F;t,<lb/>
ihre Eltern auf eine angenehme Wei&#x017F;e zu u&#x0364;ber-<lb/>
fallen! Wenn ich nur wu&#x0364;ßte, daß nichts unan-<lb/>
genehmes daraus erfolgen mo&#x0364;chte! O mein Kind!<lb/>
mein Hertz! (Wie konnte &#x017F;ich mein Onckle, mein<lb/>
lieber allzuku&#x0364;n&#x017F;tlicher Onckle, &#x017F;o ver&#x017F;tellen!) Was<lb/>
&#x017F;agen &#x017F;ie? Wollen &#x017F;ie mir ihre Hand geben?<lb/>
Wollen &#x017F;ie ihren Vater &#x017F;prechen? Sind &#x017F;ie im<lb/>
Stande, &#x017F;eine er&#x017F;te Hitze zu ertragen, wenn er<lb/>
das liebenswu&#x0364;rdige Kind &#x017F;ehen wird, das ihm<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">S 5</fw><fw place="bottom" type="catch">und</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[281/0287] der Clariſſa. Konnte ich nun den Beſuch meines Onckles wol als ein Zeichen ſeiner Liebe gegen mich und als eine Wohlthat anſehen? So begierig ich auch war, dieſes zu thun, ſo ohnmoͤglich war es mir. Als ich ſahe, daß er alle Gelegenheit ver- mied, ſich uͤber meine bisherige Auffuͤhrung zu beſchweren, ſo that ich dieſes gleichfalls, und un- terhielt mich mit ihm von lauter Dingen die uns nicht angiengen. Er ſchien bald dieſes bald jenes zu bewundern, als wenn er es noch niemahls geſehen haͤtte: und ließ ſich bisweilen ſo weit her- ab, die Hand zu kuͤſſen, auf deren Arbeit ſeine Augen gerichtet waren, um eine Materie der Unterredung zu finden, die uns die Sache aus dem Sinne bringen moͤchte, die er im Kopfe und ich im Hertzen hatte. Als er wegging, ſagte er: wie kan ich ſie hier allein laſſen, meine liebſte Baſe! Sie pflegten uns alle durch ihre Geſellſchaft aufzumuntern. Niemand iſt ſich jetzt vermuthen, daß ſie herun- ter kommen werden; allein ich habe groſſe Luſt, ihre Eltern auf eine angenehme Weiſe zu uͤber- fallen! Wenn ich nur wuͤßte, daß nichts unan- genehmes daraus erfolgen moͤchte! O mein Kind! mein Hertz! (Wie konnte ſich mein Onckle, mein lieber allzukuͤnſtlicher Onckle, ſo verſtellen!) Was ſagen ſie? Wollen ſie mir ihre Hand geben? Wollen ſie ihren Vater ſprechen? Sind ſie im Stande, ſeine erſte Hitze zu ertragen, wenn er das liebenswuͤrdige Kind ſehen wird, das ihm und S 5

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa02_1748
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa02_1748/287
Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 2. Göttingen, 1748, S. 281. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa02_1748/287>, abgerufen am 22.11.2024.