sen, können sie denn wohl vermuthen, daß ich eine solche Sclavin, eine so armseelige Sclavin bin, die durch dergleichen Mittel ihnen geneigt gemacht werden könnte?
Und ihr (zu meinem Bruder) wenn ihr denckt, daß sich alle sanftmüthigen Leute leicht zwingen lassen, und daß niemand großmüthig seyn kan, der nicht lärmt und pochet; so glaubt gewiß, daß ihr euch bisher betrogen habt. Denn ihr sollt von nun an erfahren, daß man bey einem erhabenen Gemüthe keine Zwangmittel gebrau- chen dürfe, und daß - -
Er hub Hände und Augen in die Höhe: kan Wort weiter, (sagte der herrschsüchtige Tyrann) kein Wort weiter! ich befehle es euch! hören sie die Reden wohl? (zu meinem Onckle) das ist die Stimme ihrer Base, die sonst keine Feh- ler haben sollte! Das ist die, von der sie sonst so viel hielten!
Herr Solmes sahe aus, als wenn er nicht wüßte, was er endlich zu der Sache dencken soll- te. Wenn ich mit ihm allein gewesen wäre, so hätte ich seiner gewiß los werden können.
Mein Onckle kam auf mich zu, und sahe mich von Haupt bis auf die Füsse an: ist es mög- lich, daß sie das sind, Clärchen? kommen alle diese ausschweiffenden Reden von ihnen?
Ja! (sagte ich) es ist möglich! Und ich ge- traue mich zu sagen, daß alle diese Hefftigkeit die natürliche Folge der Härte, und der Grob- heit ist, die ich selbst in ihrer Gegenwart habe
er-
Zweyter Theil. X
der Clariſſa.
ſen, koͤnnen ſie denn wohl vermuthen, daß ich eine ſolche Sclavin, eine ſo armſeelige Sclavin bin, die durch dergleichen Mittel ihnen geneigt gemacht werden koͤnnte?
Und ihr (zu meinem Bruder) wenn ihr denckt, daß ſich alle ſanftmuͤthigen Leute leicht zwingen laſſen, und daß niemand großmuͤthig ſeyn kan, der nicht laͤrmt und pochet; ſo glaubt gewiß, daß ihr euch bisher betrogen habt. Denn ihr ſollt von nun an erfahren, daß man bey einem erhabenen Gemuͤthe keine Zwangmittel gebrau- chen duͤrfe, und daß ‒ ‒
Er hub Haͤnde und Augen in die Hoͤhe: kan Wort weiter, (ſagte der herrſchſuͤchtige Tyrann) kein Wort weiter! ich befehle es euch! hoͤren ſie die Reden wohl? (zu meinem Onckle) das iſt die Stimme ihrer Baſe, die ſonſt keine Feh- ler haben ſollte! Das iſt die, von der ſie ſonſt ſo viel hielten!
Herr Solmes ſahe aus, als wenn er nicht wuͤßte, was er endlich zu der Sache dencken ſoll- te. Wenn ich mit ihm allein geweſen waͤre, ſo haͤtte ich ſeiner gewiß los werden koͤnnen.
Mein Onckle kam auf mich zu, und ſahe mich von Haupt bis auf die Fuͤſſe an: iſt es moͤg- lich, daß ſie das ſind, Claͤrchen? kommen alle dieſe ausſchweiffenden Reden von ihnen?
Ja! (ſagte ich) es iſt moͤglich! Und ich ge- traue mich zu ſagen, daß alle dieſe Hefftigkeit die natuͤrliche Folge der Haͤrte, und der Grob- heit iſt, die ich ſelbſt in ihrer Gegenwart habe
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Zweyter Theil. X
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der Clariſſa.
ſen, koͤnnen ſie denn wohl vermuthen, daß ich
eine ſolche Sclavin, eine ſo armſeelige Sclavin
bin, die durch dergleichen Mittel ihnen geneigt
gemacht werden koͤnnte?
Und ihr (zu meinem Bruder) wenn ihr denckt,
daß ſich alle ſanftmuͤthigen Leute leicht zwingen
laſſen, und daß niemand großmuͤthig ſeyn kan,
der nicht laͤrmt und pochet; ſo glaubt gewiß,
daß ihr euch bisher betrogen habt. Denn ihr
ſollt von nun an erfahren, daß man bey einem
erhabenen Gemuͤthe keine Zwangmittel gebrau-
chen duͤrfe, und daß ‒ ‒
Er hub Haͤnde und Augen in die Hoͤhe: kan
Wort weiter, (ſagte der herrſchſuͤchtige Tyrann)
kein Wort weiter! ich befehle es euch! hoͤren
ſie die Reden wohl? (zu meinem Onckle) das
iſt die Stimme ihrer Baſe, die ſonſt keine Feh-
ler haben ſollte! Das iſt die, von der ſie ſonſt
ſo viel hielten!
Herr Solmes ſahe aus, als wenn er nicht
wuͤßte, was er endlich zu der Sache dencken ſoll-
te. Wenn ich mit ihm allein geweſen waͤre, ſo
haͤtte ich ſeiner gewiß los werden koͤnnen.
Mein Onckle kam auf mich zu, und ſahe mich
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lich, daß ſie das ſind, Claͤrchen? kommen alle
dieſe ausſchweiffenden Reden von ihnen?
Ja! (ſagte ich) es iſt moͤglich! Und ich ge-
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die natuͤrliche Folge der Haͤrte, und der Grob-
heit iſt, die ich ſelbſt in ihrer Gegenwart habe
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 2. Göttingen, 1748, S. 321. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa02_1748/327>, abgerufen am 25.11.2024.
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