daß ihr der letzte seyn solt, dessen Vorsorge ich mir ausbitten oder wünschen würde.
Wie? meine Base, (sagte mein Onckle) ach- ten sie einen Bruder, einen eintzigen Bruder, so wenig? Soll er so wenig recht haben, für die Ehre seiner Schwester und seiner Familie zu sorgen?
Meine Ehre! Nein, mein lieber Onckle, ich verlange nicht, daß er für meine Ehre sorget. Die ist noch nie in Gefahr gewesen, ehe er sie durch seine ungebetene Vorsorge beflecket hat. Halten sie mir es zu gute: wenn mein Bruder sich als ein Bruder aufführet, oder sich so beträgt wie es einem Cavallier geziemet, so werde ich mehr Werthachtung gegen ihn haben, als er je- tzund meiner Meinung nach verdient.
Jch glaube, daß mein Bruder fast Lust hatte mich zu schlagen: allein mein Onckle stand zwi- schen uns. Er nannte mich aber doch ein gif- tiges Mädchen/ in dem niemand gesucht hätte/ was doch jetzt darin steckte. Hier- auf ward Herrn Solmes gesagt, ich sey nicht werth, daß er weiter um mich anhielte.
Herr Solmes nahm meine Parthey sehr ernstlich, und sagte: es sey ihm unerträglich, daß man so hart mit mir umginge.
Er sagte so viel hievon, und mein Bruder nahm seine heftige Einrede so geduldig an, daß ich Argwohn bekam, es sey eine abgeredete Car- te: man wolle mich dahin bringen, ihm Danck schuldig zu seyn; und es könnte dieses wol gar
ein
Die Geſchichte
daß ihr der letzte ſeyn ſolt, deſſen Vorſorge ich mir ausbitten oder wuͤnſchen wuͤrde.
Wie? meine Baſe, (ſagte mein Onckle) ach- ten ſie einen Bruder, einen eintzigen Bruder, ſo wenig? Soll er ſo wenig recht haben, fuͤr die Ehre ſeiner Schweſter und ſeiner Familie zu ſorgen?
Meine Ehre! Nein, mein lieber Onckle, ich verlange nicht, daß er fuͤr meine Ehre ſorget. Die iſt noch nie in Gefahr geweſen, ehe er ſie durch ſeine ungebetene Vorſorge beflecket hat. Halten ſie mir es zu gute: wenn mein Bruder ſich als ein Bruder auffuͤhret, oder ſich ſo betraͤgt wie es einem Cavallier geziemet, ſo werde ich mehr Werthachtung gegen ihn haben, als er je- tzund meiner Meinung nach verdient.
Jch glaube, daß mein Bruder faſt Luſt hatte mich zu ſchlagen: allein mein Onckle ſtand zwi- ſchen uns. Er nannte mich aber doch ein gif- tiges Maͤdchen/ in dem niemand geſucht haͤtte/ was doch jetzt darin ſteckte. Hier- auf ward Herrn Solmes geſagt, ich ſey nicht werth, daß er weiter um mich anhielte.
Herr Solmes nahm meine Parthey ſehr ernſtlich, und ſagte: es ſey ihm unertraͤglich, daß man ſo hart mit mir umginge.
Er ſagte ſo viel hievon, und mein Bruder nahm ſeine heftige Einrede ſo geduldig an, daß ich Argwohn bekam, es ſey eine abgeredete Car- te: man wolle mich dahin bringen, ihm Danck ſchuldig zu ſeyn; und es koͤnnte dieſes wol gar
ein
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Die Geſchichte
daß ihr der letzte ſeyn ſolt, deſſen Vorſorge ich
mir ausbitten oder wuͤnſchen wuͤrde.
Wie? meine Baſe, (ſagte mein Onckle) ach-
ten ſie einen Bruder, einen eintzigen Bruder,
ſo wenig? Soll er ſo wenig recht haben, fuͤr die
Ehre ſeiner Schweſter und ſeiner Familie zu
ſorgen?
Meine Ehre! Nein, mein lieber Onckle, ich
verlange nicht, daß er fuͤr meine Ehre ſorget.
Die iſt noch nie in Gefahr geweſen, ehe er ſie
durch ſeine ungebetene Vorſorge beflecket hat.
Halten ſie mir es zu gute: wenn mein Bruder
ſich als ein Bruder auffuͤhret, oder ſich ſo betraͤgt
wie es einem Cavallier geziemet, ſo werde ich
mehr Werthachtung gegen ihn haben, als er je-
tzund meiner Meinung nach verdient.
Jch glaube, daß mein Bruder faſt Luſt hatte
mich zu ſchlagen: allein mein Onckle ſtand zwi-
ſchen uns. Er nannte mich aber doch ein gif-
tiges Maͤdchen/ in dem niemand geſucht
haͤtte/ was doch jetzt darin ſteckte. Hier-
auf ward Herrn Solmes geſagt, ich ſey nicht
werth, daß er weiter um mich anhielte.
Herr Solmes nahm meine Parthey ſehr
ernſtlich, und ſagte: es ſey ihm unertraͤglich,
daß man ſo hart mit mir umginge.
Er ſagte ſo viel hievon, und mein Bruder
nahm ſeine heftige Einrede ſo geduldig an, daß
ich Argwohn bekam, es ſey eine abgeredete Car-
te: man wolle mich dahin bringen, ihm Danck
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 2. Göttingen, 1748, S. 334. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa02_1748/340>, abgerufen am 23.11.2024.
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