Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 2. Göttingen, 1748.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Geschichte

Sie nahm die Schlüssel hin, umarmete mich,
und bat mich um Vergebung. Sie wollte noch
mehr sagen, allein ich merckte, daß sie sich scheue-
te, es in Gegenwart der Elisabeth zu thun.

Jch sagte: bedauren sie mich nicht. Es wird
ihnen als eine Sünde angerechnet werden. Sie
sehen ja, wer nicht weit von uns ist.

Das unverschämte Thier lächelte, und unter-
stand sich zu sagen: wenn eine Fräulein mit der
andern in solchen Umständen Mitleiden hat, so
kan man von der jüngern Fräulein auch gute
Hoffnung auf das künftige haben.

Jch nennete sie ein abgeschmacktes Ding, und
befahl ihr, sie sollte mir vor den Augen wegge-
hen.

Sie sagte: von Hertzen gern wollte sie das
thun, wenn ihr nur meine Mutter nicht befoh-
len hätte, bey mir zu bleiben.

Die Ursache hievon erfuhr ich bald. Denn
als ich hinauf auf meine Stube gehen wollte,
nachdem mich Dorthgen verlassen hatte, so sag-
te sie mir: sie hätte Befehl (so leid es ihr auch
thäte) mich zu bitten, daß ich nicht hinauf ge-
hen möchte.

Jch antwortete ihr: so eine dreiste Magd als
sie sollte mir das nicht verbieten.

Sie klingelte, und mein Bruder kam gleich
herein, und begegnete mir in der Thür.

Zurück! zurück! Fräulein (sagte er) jetzt könnt
ihr nicht auf die Stube gehen.

Jch
Die Geſchichte

Sie nahm die Schluͤſſel hin, umarmete mich,
und bat mich um Vergebung. Sie wollte noch
mehr ſagen, allein ich merckte, daß ſie ſich ſcheue-
te, es in Gegenwart der Eliſabeth zu thun.

Jch ſagte: bedauren ſie mich nicht. Es wird
ihnen als eine Suͤnde angerechnet werden. Sie
ſehen ja, wer nicht weit von uns iſt.

Das unverſchaͤmte Thier laͤchelte, und unter-
ſtand ſich zu ſagen: wenn eine Fraͤulein mit der
andern in ſolchen Umſtaͤnden Mitleiden hat, ſo
kan man von der juͤngern Fraͤulein auch gute
Hoffnung auf das kuͤnftige haben.

Jch nennete ſie ein abgeſchmacktes Ding, und
befahl ihr, ſie ſollte mir vor den Augen wegge-
hen.

Sie ſagte: von Hertzen gern wollte ſie das
thun, wenn ihr nur meine Mutter nicht befoh-
len haͤtte, bey mir zu bleiben.

Die Urſache hievon erfuhr ich bald. Denn
als ich hinauf auf meine Stube gehen wollte,
nachdem mich Dorthgen verlaſſen hatte, ſo ſag-
te ſie mir: ſie haͤtte Befehl (ſo leid es ihr auch
thaͤte) mich zu bitten, daß ich nicht hinauf ge-
hen moͤchte.

Jch antwortete ihr: ſo eine dreiſte Magd als
ſie ſollte mir das nicht verbieten.

Sie klingelte, und mein Bruder kam gleich
herein, und begegnete mir in der Thuͤr.

Zuruͤck! zuruͤck! Fraͤulein (ſagte er) jetzt koͤnnt
ihr nicht auf die Stube gehen.

Jch
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0346" n="340"/>
          <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b"> <hi rendition="#g">Die Ge&#x017F;chichte</hi> </hi> </fw><lb/>
          <p>Sie nahm die Schlu&#x0364;&#x017F;&#x017F;el hin, umarmete mich,<lb/>
und bat mich um Vergebung. Sie wollte noch<lb/>
mehr &#x017F;agen, allein ich merckte, daß &#x017F;ie &#x017F;ich &#x017F;cheue-<lb/>
te, es in Gegenwart der <hi rendition="#fr">Eli&#x017F;abeth</hi> zu thun.</p><lb/>
          <p>Jch &#x017F;agte: bedauren &#x017F;ie mich nicht. Es wird<lb/>
ihnen als eine Su&#x0364;nde angerechnet werden. Sie<lb/>
&#x017F;ehen ja, wer nicht weit von uns i&#x017F;t.</p><lb/>
          <p>Das unver&#x017F;cha&#x0364;mte Thier la&#x0364;chelte, und unter-<lb/>
&#x017F;tand &#x017F;ich zu &#x017F;agen: wenn eine Fra&#x0364;ulein mit der<lb/>
andern in &#x017F;olchen Um&#x017F;ta&#x0364;nden Mitleiden hat, &#x017F;o<lb/>
kan man von der ju&#x0364;ngern Fra&#x0364;ulein auch gute<lb/>
Hoffnung auf das ku&#x0364;nftige haben.</p><lb/>
          <p>Jch nennete &#x017F;ie ein abge&#x017F;chmacktes Ding, und<lb/>
befahl ihr, &#x017F;ie &#x017F;ollte mir vor den Augen wegge-<lb/>
hen.</p><lb/>
          <p>Sie &#x017F;agte: von Hertzen gern wollte &#x017F;ie das<lb/>
thun, wenn ihr nur meine Mutter nicht befoh-<lb/>
len ha&#x0364;tte, bey mir zu bleiben.</p><lb/>
          <p>Die Ur&#x017F;ache hievon erfuhr ich bald. Denn<lb/>
als ich hinauf auf meine Stube gehen wollte,<lb/>
nachdem mich <hi rendition="#fr">Dorthgen</hi> verla&#x017F;&#x017F;en hatte, &#x017F;o &#x017F;ag-<lb/>
te &#x017F;ie mir: &#x017F;ie ha&#x0364;tte Befehl (&#x017F;o leid es ihr auch<lb/>
tha&#x0364;te) mich zu bitten, daß ich nicht hinauf ge-<lb/>
hen mo&#x0364;chte.</p><lb/>
          <p>Jch antwortete ihr: &#x017F;o eine drei&#x017F;te Magd als<lb/>
&#x017F;ie &#x017F;ollte mir das nicht verbieten.</p><lb/>
          <p>Sie klingelte, und mein Bruder kam gleich<lb/>
herein, und begegnete mir in der Thu&#x0364;r.</p><lb/>
          <p>Zuru&#x0364;ck! zuru&#x0364;ck! Fra&#x0364;ulein (&#x017F;agte er) jetzt ko&#x0364;nnt<lb/>
ihr nicht auf die Stube gehen.</p><lb/>
          <fw place="bottom" type="catch">Jch</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[340/0346] Die Geſchichte Sie nahm die Schluͤſſel hin, umarmete mich, und bat mich um Vergebung. Sie wollte noch mehr ſagen, allein ich merckte, daß ſie ſich ſcheue- te, es in Gegenwart der Eliſabeth zu thun. Jch ſagte: bedauren ſie mich nicht. Es wird ihnen als eine Suͤnde angerechnet werden. Sie ſehen ja, wer nicht weit von uns iſt. Das unverſchaͤmte Thier laͤchelte, und unter- ſtand ſich zu ſagen: wenn eine Fraͤulein mit der andern in ſolchen Umſtaͤnden Mitleiden hat, ſo kan man von der juͤngern Fraͤulein auch gute Hoffnung auf das kuͤnftige haben. Jch nennete ſie ein abgeſchmacktes Ding, und befahl ihr, ſie ſollte mir vor den Augen wegge- hen. Sie ſagte: von Hertzen gern wollte ſie das thun, wenn ihr nur meine Mutter nicht befoh- len haͤtte, bey mir zu bleiben. Die Urſache hievon erfuhr ich bald. Denn als ich hinauf auf meine Stube gehen wollte, nachdem mich Dorthgen verlaſſen hatte, ſo ſag- te ſie mir: ſie haͤtte Befehl (ſo leid es ihr auch thaͤte) mich zu bitten, daß ich nicht hinauf ge- hen moͤchte. Jch antwortete ihr: ſo eine dreiſte Magd als ſie ſollte mir das nicht verbieten. Sie klingelte, und mein Bruder kam gleich herein, und begegnete mir in der Thuͤr. Zuruͤck! zuruͤck! Fraͤulein (ſagte er) jetzt koͤnnt ihr nicht auf die Stube gehen. Jch

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa02_1748
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa02_1748/346
Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 2. Göttingen, 1748, S. 340. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa02_1748/346>, abgerufen am 23.11.2024.