daß sie nicht lange anhalten kan: ihr Ausgang ist nahe vor der Thür. Sie befehlen mir, auf bessere Zeiten zu hoffen. Wohlan! ich will hoffen.
Jch kan mich doch nicht zurückhalten, daß ich nicht zuweilen ungeduldig seyn solte, nachdem ich so weit getrieben und bey andern so sehr her- unter gesetzt bin, daß, wenn auch meine gantze künftige Lebenszeit glücklich seyn solte, ich mich der Welt doch nicht würde zeigen noch mein Gesicht frölich empor heben können. Alles, alles dieses ist das Anstiften eines eigennützigen Bruders, und einer neidischen Schwester.
Allein ich muß inne halten, und auf das noch dencken, was ich schreibe. Giebt mir das nicht der verborgene Hochmuth ein, den ich eben vor- hin bereuet habe? Bin ich schon wieder so un- geduldig, da ich den vorigen Augenblick so ge- lassen war, und alles mit so kaltem Blute über- legen konnte? Es ist schwer, ach allzuschwer, den Zorn zu überwinden: insonderheit alsdenn, wenn man im Leiden ist. O mein grausamer Bruder! Allein nun wacht der Zorn schon wie- der bey mir auf. Jch will die Feder niederlegen, die ich doch nicht richtig führen kan: und will meine Ungeduld zu überwinden suchen, die mich zu noch strafbareren Vergehungen verleiten kan, wenn mir diese Züchtigung zur Besserung zuge- sandt ist.
Jch
Die Geſchichte
daß ſie nicht lange anhalten kan: ihr Ausgang iſt nahe vor der Thuͤr. Sie befehlen mir, auf beſſere Zeiten zu hoffen. Wohlan! ich will hoffen.
Jch kan mich doch nicht zuruͤckhalten, daß ich nicht zuweilen ungeduldig ſeyn ſolte, nachdem ich ſo weit getrieben und bey andern ſo ſehr her- unter geſetzt bin, daß, wenn auch meine gantze kuͤnftige Lebenszeit gluͤcklich ſeyn ſolte, ich mich der Welt doch nicht wuͤrde zeigen noch mein Geſicht froͤlich empor heben koͤnnen. Alles, alles dieſes iſt das Anſtiften eines eigennuͤtzigen Bruders, und einer neidiſchen Schweſter.
Allein ich muß inne halten, und auf das noch dencken, was ich ſchreibe. Giebt mir das nicht der verborgene Hochmuth ein, den ich eben vor- hin bereuet habe? Bin ich ſchon wieder ſo un- geduldig, da ich den vorigen Augenblick ſo ge- laſſen war, und alles mit ſo kaltem Blute uͤber- legen konnte? Es iſt ſchwer, ach allzuſchwer, den Zorn zu uͤberwinden: inſonderheit alsdenn, wenn man im Leiden iſt. O mein grauſamer Bruder! Allein nun wacht der Zorn ſchon wie- der bey mir auf. Jch will die Feder niederlegen, die ich doch nicht richtig fuͤhren kan: und will meine Ungeduld zu uͤberwinden ſuchen, die mich zu noch ſtrafbareren Vergehungen verleiten kan, wenn mir dieſe Zuͤchtigung zur Beſſerung zuge- ſandt iſt.
Jch
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Die Geſchichte
daß ſie nicht lange anhalten kan: ihr Ausgang
iſt nahe vor der Thuͤr. Sie befehlen mir, auf
beſſere Zeiten zu hoffen. Wohlan! ich will
hoffen.
Jch kan mich doch nicht zuruͤckhalten, daß ich
nicht zuweilen ungeduldig ſeyn ſolte, nachdem ich
ſo weit getrieben und bey andern ſo ſehr her-
unter geſetzt bin, daß, wenn auch meine gantze
kuͤnftige Lebenszeit gluͤcklich ſeyn ſolte, ich mich der
Welt doch nicht wuͤrde zeigen noch mein Geſicht
froͤlich empor heben koͤnnen. Alles, alles dieſes
iſt das Anſtiften eines eigennuͤtzigen Bruders,
und einer neidiſchen Schweſter.
Allein ich muß inne halten, und auf das noch
dencken, was ich ſchreibe. Giebt mir das nicht
der verborgene Hochmuth ein, den ich eben vor-
hin bereuet habe? Bin ich ſchon wieder ſo un-
geduldig, da ich den vorigen Augenblick ſo ge-
laſſen war, und alles mit ſo kaltem Blute uͤber-
legen konnte? Es iſt ſchwer, ach allzuſchwer,
den Zorn zu uͤberwinden: inſonderheit alsdenn,
wenn man im Leiden iſt. O mein grauſamer
Bruder! Allein nun wacht der Zorn ſchon wie-
der bey mir auf. Jch will die Feder niederlegen,
die ich doch nicht richtig fuͤhren kan: und will
meine Ungeduld zu uͤberwinden ſuchen, die mich
zu noch ſtrafbareren Vergehungen verleiten kan,
wenn mir dieſe Zuͤchtigung zur Beſſerung zuge-
ſandt iſt.
Jch
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 2. Göttingen, 1748, S. 404. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa02_1748/410>, abgerufen am 22.11.2024.
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